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Radioaktivität: Sonne steuert Kernzerfall  
  Die Zerfallsrate radioaktiver Elemente ist Lehrbüchern zufolge unveränderlich. Stimmt gar nicht, schreiben nun US-Physiker in einer aktuellen Studie. Ihren Daten zufolge ist der Kernzerfall auch von äußeren Einflüssen abhängig - und zwar von der Distanz zwischen Erde und Sonne.  
"Konstant unter allen Bedingungen"
Ernest Rutherford, einer der Pioniere der Atomphysik, notierte anno 1930 in seinem Buch "Radiations from Radioactive Substances": "Die Zerfallsrate eines Elements erweist sich als konstant unter allen Bedingungen." Diese Ansicht gilt im Wesentlichen auch heute noch.

Der Zerfall radioaktiver Elemente mag zwar ein spontaner Prozess sein, bei dem es zu Zufallsschwankungen kommt, aber die sollten sich über längere Zeiträume herausmitteln. Äußere Einflüsse spielen dabei laut gängiger Meinung jedenfalls keine Rolle.

Ausnahmen gelten allenfalls beim Betazerfall unter dem Einfluss extrem starker elektromagnetischer Felder, aber das hat der These vom autonomen Zerfallsprozess bisher nicht geschadet.
Silizium und Radium scheren aus
Etwas mehr Probleme könnte diesbezüglich eine Arbeit bereiten, die der US-Physiker Jere H. Jenkins auf dem Preprintserver "arXiv" (0808.3283v1) veröffentlicht hat.

Darin stellt er eine Neuanalyse zweier Langzeitexperimente aus den 1980er-Jahren vor, bei denen Variationen radioaktiver Zerfallsraten festgestellt wurden. Physiker vom Brookhaven National Laboratory hatten damals berichtet, dass die Betastrahlung von Silizium-32 offenbar jährlichen Schwankungen unterworfen sei. Und Forscher der deutschen Physikalisch-Technischen Bundesanstalt hatten ähnliches beim Alphazerfall von Radium-226 festgestellt.

Jenkins zeigt nun mit fünf weiteren Kollegen, dass die Messkurven dieser beiden Experimente offenbar mehr oder weniger synchron verlaufen. Und: Sie lassen sich offenbar mit einer äußeren Einflussgröße zur Deckung bringen, nämlich mit der Distanz zwischen Erde und Sonne.
Feinstrukturkonstante am Opfertisch
Dass es sich bei dem Gleichlauf der Messungen aus den 1980ern um einen Zufallseffekt handelt, kann man mehr oder weniger ausschließen - die Wahrscheinlichkeit dafür steht bei Eins zu vier Billionen. Was die Ursache des mysteriösen Effekts anlangt, herrscht indes noch keine Einigkeit.

Im Prinzip gibt es bis jetzt zwei Erklärungsansätze: Der britische Physiker und prominente Buchautor John Barrow hat mit seinem Kollegen Douglas J. Shaw eine Theorie entwickelt, der zufolge ein von der Sonne produziertes Feld für das radioaktive Auf und Ab verantwortlich sei. Dieses Feld soll die berühmte Feinstrukturkonstante verändern, die mit anderen Grundgrößen der Physik, etwa der Lichtgeschwindigkeit oder dem Planck'schen Wirkungsquantum, zusammenhängt, und deren Größe letztlich für die Stabilität der Atome sorgt.

Mit anderen Worten, die Barrow-Shaw'sche Theorie erklärt zwar einen rätselhaften Effekt, nimmt allerdings die Degradierung einer fundamentalen Konstante zu einer Variablen in Kauf.
Die Neutrino-Theorie
Etwas weniger Erschütterung im physikalischen Theoriengebäude würde folgende Idee auslösen: Einige Physiker glauben, dass radioaktive Kerne mit Neutrinos interagieren könnten. Wie genau das vor sich gehen soll, weiß man noch nicht, Fakt ist jedenfalls, dass der Neutrinoflux der Sonne tatsächlich Schwankungen unterworfen ist.

Jere Jenkins hat außerdem Messdaten in petto, die gut zu dieser Erklärung passen würden. Im Dezember 2006 fiel in seinem Labor die Zerfallsrate von Mangan-54 dramatisch ab, just zu dieser Zeit ereignete sich, wie man heute weiß, eine Sonneneruption.

Testbar ist die Neutrino-Theorie übrigens auch: Man müsste lediglich Zerfallsexperimente in der Nähe einer künstlichen Neutrinoquelle durchführen. Dafür würden sich etwa Kernkraftwerke anbieten.

Robert Czepel, science.ORF.at, 30.9.08
->   Jere Jenkins
->   Feinstrukturkonstante - Wikipedia
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01.01.2010