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Forscher: HI-Virus griff mit Verstädterung um sich  
  Dass Infektionen mit dem HI-Virus epidemische Ausmaße annehmen konnten, hängt eng mit der Entstehung von Großstädten in Westafrika zusammen, stellt ein internationales Team von Wissenschaftlern fest. Zwischen 1884 und 1924 habe sich erstmals HIV-1 unter Menschen ausgebreitet - zu dieser Zeit entstanden auch die ersten Großstädte wie Kinshasa, die heutige Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo.  
Den Forschern ist es gelungen, durch den Vergleich von zwei Gewebeproben aus den Jahren 1959 und 1960 einen Stammbaum des damals bereits verbreiteten HIV-1 zu erstellen.

Die Analyse habe ergeben, dass das Virus schon Ende des 19. Jahrhunderts entstanden sein muss, und nicht erst 1930, berichteten sie schon im Juni 2008 auf einer Konferenz. Nun ist die entsprechende Publikation mit zusätzlichen Daten und Fakten erschienen.
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Die Studie "Direct evidence of extensive diversity of HIV-1 in Kinshasa by 1960" von Michael Worobey, Marlea Gemmel (beide Universität Arizona) und Kollegen ist am 2. Oktober 2008 in "Nature" erschienen (Band 455, S. 661-665, DOI:10.1038/nature07390).
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Weiteres Puzzleteilchen
Die größte Schwierigkeit bei der Suche nach den Ursprüngen von HIV sind die fehlenden Proben. Dabei wäre gerade bei HIV-1, der am weitesten verbreiteten und hoch-ansteckenden Variante des HI-Virus, das Wissen über Entstehung und Verbreitungsgeschwindigkeit wichtig, um bei der Suche nach Gegenmaßnahmen weiterzukommen.

Die Forscher um Michael Worobey und Marlea Gemmel fügen nun ein weiteres Puzzleteilchen zu dem Bild von HIV-1 hinzu, an dem seit seiner Identifikation als wichtigster AIDS-Verursacher vor 25 Jahren über 60 Millionen Menschen gestorben sind.
27 Gewebeproben analysiert
 
Bild: Nature

Den Forschern gelang es, zusätzlich zu der ältesten bekannten Virensequenz aus dem Jahr 1959, die von einem Mann aus Kinshasa stammt, in einer weiteren Probe das HI-Virus 1 zu isolieren.

Als Untersuchungsmaterial zogen sie 27 Gewebeproben - acht Lymphknoten, neun Leber- und zehn Plazentaproben - heran, die zwischen 1958 und 1962 in Kinshasa durch Paraffin haltbar gemacht worden waren (siehe Bild oben). In einem Lymphknoten, der von einer in Kinshasa verstorbenen Frau stammt, fanden sie RNA des HI-Virus 1.
Kann nicht erst 1930 entstanden sein
Auf Basis der genetischen Ausstattung der beiden Virenproben erstellten die Wissenschaftler Stammbäume und erkannten, dass die bisherige Annahme, wonach HIV in den 1930er Jahren entstanden ist, korrigiert werden muss:

Es gehe sich nicht aus, die höchst unterschiedlichen Erreger in so kurzer Zeit auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückzuführen.
Großstädte förderten Ausbreitung
 
Bild: Royal Museum for Central Africa

Wahrscheinlicher sei deshalb, dass HIV-1 schon zwischen 1884 und 1924 entstanden ist und erst durch die Entstehung der ersten großen Städte in Westafrika um sich griff.

Kinshasa etwa bestand noch 1884, als das obige Bild entstand, aus wenigen Häusern, bis zur Mitte der 1930er Jahre explodierte es auf mehr als 40.000 Einwohner.
Außergewöhnlich vielfältig und flexibel
Jede Information über Ursprung und Diversifikation von HIV-1 sei wertvoll bei der Suche nach effektiven Gegenmitteln, hält Dan Barouch von der Harvard Medical School in Boston in einem die Studie begleitenden Kommentar fest.

Denn das Grundproblem bei der Entwicklung etwa einer HIV-Impfung seien die außergewöhnliche Vielfalt und die hohe Mutationsrate des Erregers: Allein die Hauptgruppe von HIV-1 mit Bezeichnung "M" (für englisch "main") hat sich in neun Stämme aufgespalten mit zahllosen rekombinanten Variationen.
Zwei Impfstrategien, beide bisher erfolglos
Nicht zuletzt deshalb sind bisherige Versuche, einen Impfstoff gegen HIV-1 zu entwickeln, gescheitert. Zwei Strategien wurden bisher verfolgt, wie Barouch beschreibt: Zum einen wird mit der Infektion durch das Virus selbst gearbeitet. Das zeigte zwar bei Affen gute Erfolge, Versuche am Menschen mit dem lebenden Virus sind jedoch undenkbar. Und die abgetötete Variante war nur teilweise erfolgreich.

Die zweite Möglichkeit ist die lapidar so genannte "DNA-Impfung": Durch die Injektion von in ihrem Erbgut modifizierten Viren könnte die Produktion von Antikörpern angeregt werden. Diese Technologie stecke aber noch in den Kinderschuhen, denn noch könnte nicht garantiert werden, dass die modifizierten Viren tatsächlich an ihren Bestimmungsort gelangen.
Mehr Geld und "frische" Ideen
Angesichts dieser Probleme sprachen viele Forscher bereits von einem "Scheitern der HIV-Forschung". Das sei aber überstürzt, so Harvard-Experte Barouch. Vielmehr brauche es mehr Geld für Grundlagenforschung und vermehrt junge Forscher, die die Probleme mit neuen Ideen angehen.

[science.ORF.at, 2.10.08]
->   Michael Worobey
->   Dan Barouch
->   Mehr über HIV im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010