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Englisch: Einzige globale Wissenschaftssprache
Aber: Je mehr Fremdsprachen, desto besser
 
  Ohne Englisch läuft heutzutage gar nichts. Aber nur mit Englisch läuft es nicht gut genug. Zu diesem Schluss kommt die Wiener Sprachwissenschaftlerin Gerlinde Mautner. Im Zuge des Symposiums "Die Sprache in der globalisierten Welt" reflektiert sie über die Bedeutung der Wissenschaftssprache Englisch und das Erlernen anderer Fremdsprachen.  
Publish in English, perish in German?
Von Gerlinde Mautner

Zum Einstieg - eine (wahre) Anekdote aus dem wissenschaftlichen Alltag:
A: "Writing this book in German was a big mistake. I might as well have thrown it straight into the bin."
B: "Yes, it's as if you'd written it in Urdu, except you'd have more readers in Urdu than in German."

Was uns dieser Dialog vor Augen führt, soll anhand von fünf Thesen näher erläutert werden.
Einzige globale Wissenschaftssprache
These 1: Die Etablierung des Englischen als einzige globale Wissenschaftssprache ist de facto vollzogen und entspricht den Bedürfnissen der globalen scientific community. Wo in der Wissenschaft über Länder- und Sprachgrenzen hinweg gearbeitet wird - auf Konferenzen, in gemeinsamen Publikationen und Projekten - da geschieht das in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle in englischer Sprache.

Sehr häufig ist diese Sprachwahl kein Kotau gegenüber "imperialistisch einsprachigen" Amerikanern oder Briten, sondern der gemeinsame Nenner der Fremdsprachenkenntnisse von "Non-natives" des Englischen, und damit auch ein "neutraler Boden" zwischen ihnen.
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Symposium "Sprache in der globalisierten Welt"
Im Zuge der Initiative "Sprechen Sie Wissenschaft?" - getragen vom BMWF und der Ö1 Wissenschaftsredaktion - findet am 16. Oktober 2008 um 16 Uhr im RadioKulturhaus (Argentinierstraße 30a, 1040 Wien) ein Symposium zur "Sprache in der globalisierten Welt" statt. Experten diskutieren über die Veränderungen der Sprache in der globalisierten Welt und ihre Auswirkungen auf Politik, Medien und Wissenschaft.
->   Mehr über die Veranstaltung
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Fertigkeit einer Fremdsprache
Um ein Fachbuch oder einen wissenschaftlichen Artikel zu verfassen, braucht es neben der Kenntnis von Fachterminologie auch das Beherrschen von komplexen sprachlichen Techniken für Argumentation, Beweisführung und Rhetorik. Dieses hohe Niveau in einer Fremdsprache zu erlernen, ist schwierig genug.

Zu erwarten, dass Wissenschaftler sich die Zeit nehmen, diese Fertigkeiten in mehr als einer Fremdsprache zu perfektionieren, ist illusorisch. Es gibt zwar Fälle von umfassend polyglotten Wissenschaftlern, aber sie sind zu selten, um aus ihnen eine allgemein durchsetzungsfähige Sprachenpolitik abzuleiten.
Dominanz des Englischen
These 2: Solange die geopolitische Situation sich nicht fundamental ändert, wird die Dominanz des Englischen unverändert bleiben, ja sich weiter konsolidieren: Dies zu der immer wieder häufig hörbaren Forderung, "so wie sich China entwickelt, wären wir besser beraten, statt Englisch Mandarin zu lernen".
Und selbst wenn sich die geopolitische Situation ändert, bedeutet das nicht notwendigerweise, und sicher nicht über Nacht, eine "Entthronung" des Englischen. Die Entwicklung ist nämlich sehr weit fortgeschritten und hat auch schon eine Eigendynamik bekommen, die sie von den ursprünglichen Bedingungen ihres Entstehens abkoppelt.
Fundamentale Kulturtechnik
Dieser Trend hin zum Englischen schafft unter den Forschern sowohl Gewinner und Verlierer: jene, die Englisch auf hohem Niveau, mit guter Argumentationstechnik und differenziertem Vokabular schreiben, und jene, die das nicht tun können oder wollen.

Im Laufe von nur etwa einer Generation sind Englischkenntnisse von einer nützlichen, aber nicht zwingenden Zusatzqualifikation zu einer fundamentalen Kulturtechnik mutiert. Forscher und Forscherinnen, die der internationalen Wissenschaftssprache Englisch nicht in ausreichendem Maße mächtig sind, sehen sich ihrer Stimme und des wirkungsvollen Ausdrucks ihrer statusgebenden Kompetenzen beraubt.
Als Lingua Franca akzeptiert
These 3: Individuen, Organisationen und Staaten könnten gegen diese Entwicklung ankämpfen, tun dies meist aber nicht, weil es insgesamt rationaler ist, in der einen lingua franca zu agieren.

Worin besteht denn der "Preis", wenn man nicht "mitspielt"? Auf der Ebene des einzelnen Forschers besteht er im Ausschluss aus dem internationalen kritischen Wissenschaftsdiskurs und im Verzicht auf allerlei "goodies" symbolischer aber auch materieller Natur. Auf institutioneller Ebene, also seitens der Universitäten, Fakultäten und Institute, riskiert man den Abstieg in die Provinzliga.
Ökonomisch motivierte Entscheidung
Warum, könnte man fragen, dieses "Entweder-Oder", warum nicht beides kultivieren, Englisch und Deutsch? Nun, von vielen funktional zweisprachigen Forschern wird das sehr wohl praktiziert. Man publiziert schon noch auf Deutsch, wenn das aufgrund des jeweiligen Zielpublikums sinnvoll erscheint.

Allerdings führt die Einschätzung der Sinnhaftigkeit immer öfter zu einer Entscheidung für das Englische. Es ist also durchaus ein ökonomisches Kalkül, das Wissenschaftler zur Wahl des Englischen motiviert - "ökonomisch" nicht im Sinne von "monetär motiviert", sondern im Sinne einer Orientierung am optimalen Verhältnis von Aufwand (input) und Ertrag (output). Ist Deutsch und sind andere Sprachen insgesamt also verurteilt "unterzugehen"? Meiner Ansicht nein, denn:
Deutsch für Popularisierung
These 4: Außerhalb der formalen Wissenschaftskommunikation werden Deutsch und andere Sprachen ihre informations- und identitäts¬vermittelnde Bedeutung behalten: im privaten Bereich, in der schulischen Sozialisation, in Politik, Kultur, vielen Bereichen der Wirtschaft und überall dort, wo Wissen popularisiert werden soll.

Das Lebendighalten vieler Sprachen in möglichst vielen Lebensbereichen ist ohne Zweifel ein Wert für sich, und zwar in ganz besonderem Maße wegen der Bedeutung für die interkulturelle Verständigung. Selbst wenn Angehörige unterschiedlicher Nationen und Kulturen Englisch als Verkehrssprache wählen, weil sie damit beide gut zurechtkommen und es oft das fairste Arrangement ist, so hilft es bei der Verständigung dennoch enorm, wenn ein Interaktionspartner oder am besten beide die jeweils andere Sprache sprechen oder zumindest verstehen.
Fremdsprachen lernen
These 5: Je überzeugter man davon ist, dass einerseits Mehrsprachigkeit generell wertvoll und erstrebenswert ist, dass aber andererseits ein mehrsprachiger "Wissenschaftsbetrieb" illusorisch ist, desto wichtiger ist es, das Lernen anderer Fremdsprachen im Rahmen der Schul- und Universitätsausbildung zu forcieren, also in jener Lebensphase, in der Bildung quasi noch die "Hauptbeschäftigung" ist.

Danach, im Berufsleben der Wissenschaftler ist die Wahrscheinlichkeit einfach zu hoch, dass die zeitlichen Ressourcen nicht mehr prioritär dem Fremdsprachenlernen gewidmet werden; nicht zuletzt deshalb, weil die Ansprüche, ein "life-long learner" zu sein, in Bezug auf so viele andere Wissensbestände und Fertigkeiten ohnehin schon so gnadenlos hoch sind, und weil der Wettbewerbsdruck in der Hochschullandschaft insgesamt gestiegen ist.
Wichtiges Fundament
Wenn mehr Wissenschaftler, und natürlich auch mehr Wissenschaftler mit englischer Muttersprache, in Schule und Universität mehr Fremdsprachen lernen würden, bekäme auch die Kommunikation in der lingua franca Englisch eine andere Qualität. Sie wäre von einem besseren Fundament getragen, weil es dann mehr Wissenschaftlern möglich wäre, fremde kulturelle Konzepte und Denkweisen zu verstehen und daher umso kreativer, effizienter und sachgerechter über das Medium Englisch Bedeutungen untereinander auszuhandeln.

Aus den Thesen 1 bis 3 leite ich das Motto ab, "Ohne Englisch läuft gar nichts", aus den Thesen 4 und 5 den Zusatz: "nur mit Englisch läuft es nicht gut genug".

[3.10.08]
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Über die Autorin:
Gerlinde Mautner ist Vorstand des Instituts für Englische Wirtschaftskommunikation an der Wirtschaftsuniversität Wien. Die Expertin für Unternehmens- und Marketingkommunikation beschäftigt sich vor allem mit Sprach- und Kommunikationsdesign sowie Diskursanalyse.
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->   Alle Beiträge der Serie "Sprechen Sie Wissenschaft"
->   Initiative "Sprechen Sie Wissenschaft?"
 
 
 
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01.01.2010