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Wissenschaftsbetrug: So agieren die USA und Europa  
  Nach den wissenschaftlichen Betrugsskandalen der letzten Monate feilt Österreich derzeit an einer "Agentur für wissenschaftliche Integrität". Reichlich spät - in Europa ebenso wie in den USA existieren bereits seit Anfang der 90er Jahre diverse nationale Kontroll- und Prüfstellen. Ein Überblick der verschiedenen Modelle.  
Europäischer Vorreiter: Skandinavien
Manipulierte beziehungsweise ethisch zweifelhafte Studien an Medizin-Universitäten und immer mehr Plagiatsvorwürfe - wissenschaftliches Fehlverhalten hat sich in Österreich in der jüngsten Vergangenheit massiv gehäuft.

Anlass genug für den Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF), im Auftrag des Wissenschaftsministeriums im Laufe der nächsten Wochen ein übergeordnetes Kontrollorgan zu etablieren, das derartige Entwicklungen in der österreichischen Scientific Community untersuchen und präventive Maßnahmen setzen soll.

Die Einrichtung der "Agentur für wissenschaftliche Integrität" - so der Arbeitstitel der unabhängigen Prüfstelle - erfolgt im europäischen Vergleich reichlich spät. Insbesondere die nordischen Länder führten sehr früh nationale Institutionen zur Behandlung von Vorwürfen wissenschaftlicher Unredlichkeit ein:

Dänemark und Norwegen bereits im Jahr 1992, Finnland 1994 und Schweden 1997. In England erließ die Organisation "Medical Research Council (MRC)" 1997 Richtlinien für den Umgang mit wissenschaftlichen Fehlverhalten.
Nachbarländer einen Schritt voraus
In Deutschland befassen sich insbesondere das Pendant zum FWF, die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG), und die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) mit der Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis. In der Schweiz wurde im Juni 1999 durch die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) die Kommission "Wissenschaftliche Integrität in der Medizin und Biomedizin" geschaffen - mit der Aufgabe, Richtlinien zu entwerfen und eine Instanz für den Umgang mit Fehlverhalten vorzuschlagen.
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Agentur für wissenschaftliche Integrität
FWF-Präsident Christoph Kratky kündigt an, dass die "Agentur für wissenschaftliche Integrität" noch im Herbst dieses Jahres starten soll. Aufgabe des unabhängigen Kontrollorgans soll es sein, Vorwürfe von Fehlverhalten nach rechtsstaatlichen Prinzipien zu prüfen und dann einen Bericht, möglicherweise auch Empfehlungen, abzugeben. Kern der Beratungs- und Prüfstelle soll eine Art Weisenrat aus überwiegend hochkarätigen Wissenschaftlern aus dem deutschsprachigen Ausland bilden, die in ihrer Kompetenz und Integrität über jeden Zweifel erhaben seien.
->   Wissenschaftsfonds (FWF)
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Pionierarbeit in den USA
Vorreiter im Bemühen um wissenschaftliche Integrität sind die USA. Hier befassen sich neben zahlreichen kleineren Institutionen insbesondere die Organe der zwei großen nationalen Förderungsorganisationen seit 1989 mit wissenschaftlichem Fehlverhalten und haben dazu zentrale Prüfstellen eingerichtet:

Das "Office of Inspector General (OIG)", verantwortliches Organ der "National Science Foundation (NSF)" und das "Office of Research Integrity (ORI)" des US-Departments of Health and Human Services (DHHS), der auch die ¿National Institutes for Health (NIH), die größten Forschungsförderungseinrichtung der Welt, angehören.

Beide Behörden haben ähnliche, aber nicht identische Definitionen von "scientific misconduct" und Regeln zum Umgang veröffentlicht. Sie sind für alle Institutionen bindend, die Fördermittel in Anspruch nehmen wollen. Diese müssen nachweisen, dass sie ein internes Verfahren etabliert haben, wie mit Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens umgegangen wird.
->   Office of Inspector General (OIG)
->   Office of Research Integrity (OIG)
Zweistufiges Verfahren
Die Verantwortung für die Behandlung von Vorwürfen liegt bei den amerikanischen Prüfstellen in erster Linie bei den Universitäten ebenso wie den Forschungsinstituten oder Unternehmen mit Forschungseinheiten. Bei Verdacht auf wissenschaftliche Unredlichkeit ist ein zweistufiges Verfahren vorgesehen.

In einer informellen Voruntersuchung wird geklärt, ob Anlass besteht, eine förmliche Untersuchung einzuleiten. Beide Schritte liegen meist in der Verantwortung zentraler Universitätsorgane und dienen der Klärung des Sachverhalts. Anschließend werden die Sanktionen - sie liegen zwischen Abmahnung und Entlassung - verhängt. Sowohl NSF, als auch NIH verlangen, dass ihnen Beginn und Abschluss jeder förmlichen Untersuchung, bei der Projektmittel involviert sind, angezeigt werden.
Strenge Sanktionen
Sowohl das Office Inspector General, als auch das Office of Research Integrity können das Verfahren übernehmen oder nach dessen Abschluss eigene Ermittlungen erheben. Das ORI hat überdies für die zuständigen Prüfstellen der Institutionen, die Mittel der National Institutes for Health verwalten, einen detaillierten Leitfaden entwickelt, wie mit Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens umzugehen ist.

Neben den inneruniversitären Strafmaßnahmen verhängen ORI und OIG eigene Sanktionen: Betroffene Forscher beziehungsweise Institutionen können im schlimmsten Fall bis zu fünf Jahre von der Antragsberechtigung oder von Gutachtergremien ausgeschlossen werden.

Vielfach werden bei der Antragsstellung Auflagen wie die Aufsichtspflicht der betroffenen Institution erhoben oder die Verpflichtung abgenommen, bestimmte Publikationen zurückzuziehen oder zu korrigieren.
Kontrollstellen in Europa
Als erste europäisches Land hat wie erwähnt Dänemark im Jahr 1992 auf Initiative des Dänischen Medizinischen Forschungsrates (DMRC) ein nationales Gremium zur Behandlung von Vorwürfen wissenschaftlicher Unredlichkeit gebildet. Die so genannten "Danish Committees on Scientific Dishonesty (DCSD)" sind vom dänischen Wissenschaftsministerium eingerichtet und in der dänische Agentur für Wissenschaft, Technologie und Innovation angesiedelt.

Die DCSD beschäftigen sich mit allen Beschwerden zu vorsätzlichem oder grob verlässigem Fehlverhalten in Form von Fälschung oder verzerrter Interpretation von Daten, Erfindung von Ergebnissen, selektiver Ausblendung "unerwünschter" Erkenntnisse, Plagiatserstellung oder der Irreführung in Förderanträgen.
->   Dänische Prüfstelle DCSD
Vorbild Dänemark
Die drei Gremien - Gesundheit und Medizin, Naturwissenschaften und Technik, Kultur- und Sozialwissenschaften - bestehen jeweils aus einem Vorsitzenden und sechs Mitgliedern, die offiziell vom dänischen Wissenschaftsminister einberufen werden.

Im Gegensatz zu den USA erwartet man sich in Dänemark nicht, dass die Vorwürfe wissenschaftlichen Fehlverhaltens in den einzelnen betroffenen Institutionen behandelt werden. Das dänische Modell ist Vorbild für größtenteils analoge, aber weniger detailliert ausgearbeitete Regelungen in den anderen skandinavischen Ländern geworden.
Britisches Beratungsorgan
In Großbritannien hat sich 2006 neben den Richtlinien des "Medical Research Councils" das "UK Research Integrity Office" (UKRIO) gebildet. Die unabhängige Prüfstelle wird von den Universitäten des Landes unterstützt und steht allen Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen ebenso wie einzelnen Wissenschaftlern mit Rat und Tat bei Problemen wissenschaftlichen Fehlverhaltens bei.

Das UKRIO ist lediglich ein Beratungs- und Vermittlungsorgan - es leitet keine Sanktionen ein. Es stellt ein standardisiertes und klar definiertes Protokoll zur umfassenden, fairen und vertraulichen Untersuchung von Betrugsverdacht zur Verfügung.

Geleitet wird die britische Prüfstelle von einem Board, deren Mitglieder von den Organisationen nominiert werden, die Gesundheits- und biomedizinische Forschung regulieren beziehungsweise fördern.
->   UK Research Integrity Office
Deutsches Modell: Ombudsmann
In Deutschland gibt es bislang ebenfalls keine eigene Prüfstelle nach britischem oder amerikanischem Modell. Die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG) ebenso wie die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) beschäftigen aber jeweils einen Ombudsmann.

Während der Berater der DFG allen Wissenschaftlern unmittelbar und unabhängig von einem Bezug zur DFG zur Verfügung steht, richtet sich der MPG-Ombudsmann lediglich an Mitarbeiter des Forschungsunternehmens.

Der Ombudsmann der DFG versteht sich als reine Beratungs- und Vermittlungseinrichtung, er stellt nicht wissenschaftliches Fehlverhalten fest und verhängt auch keine Sanktionen. Hegt der Ombudsmann aber innerhalb der DFG einen begründeten Betrugsverdacht, wird die Angelegenheit an den Unterausschuss für Fehlverhaltensangelegenheiten bei der DFG abgegeben.

Alle Fehlverhalten außerhalb der Forschungsgesellschaft können vom Ombudsmann an ein lokales Untersuchungsgremium weitergeleitet werden.
EU-weite Kontrollstelle fehlt
Eine Kontrollstelle für wissenschaftliches Fehlverhalten auf EU-Ebene gibt es derzeit noch nicht. Die "European Science Foundation" leitet derzeit ein Forschungsprogramm - "European Coordinated Approaches to Research Integrity (ESCARI)" -, in dem für Europa gültige Normen für die Durchführung von wissenschaftlichen Forschungen definiert werden.

Geplant ist auch die Errichtung einer dem US-amerikanischen Organ ORI vergleichbaren Institution in Europa. Um die Harmonisierung von Prinzipien, Standards und Systemen zur Förderung von gutem Verhalten in der Wissenschaft voranzutreiben, bemüht man sich derzeit, bereits bestehende nationale Kontrollstellen in Europa zu vernetzen: Das "European Network of Research Intergrity Organisations (ENRIO)" hat derzeit 12 Mitglieder.

Eva-Maria Gruber, science.ORF.at, 21.11.08
->   Ombudsmann der DFG
->   Ombudsmann der MPG
->   European Science Foundation
 
 
 
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01.01.2010