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Publizieren als Luxus
Verknappungspolitik in der Wissenschaft
 
  Drei Forscher haben den Wissenschaftsbetrieb nach wirtschaftlichen Kriterien durchleuchtet und eine massive Verknappung festgestellt: Einer kleinen Zahl einflussreicher Fachjournale stehe ein ständig wachsendes Volumen an Studien gegenüber. Das führe nicht nur zu einem verzerrten Bild der Realität, sondern fördere auch Riten, wie sie im Bereich der Luxusgüter üblich sind.  
"The Winner's Curse"
In der ökonomischen Theorie nennt man es den "Fluch des Gewinners": Bieten beispielsweise Ölfirmen um Bohrungsrechte, dann tun sie das nicht, ohne zuvor den Rat von Fachleuten eingeholt zu haben, die den Wert des Ölvorkommens beziffern. Der Mittelwert dieser Schätzungen ist vermutlich eine ganz gute Annäherung an die Realität, beim Wettstreit der Gebote setzt sich in der Regel jedoch jene Firma durch, deren Schätzung am höchsten lag. Das führt dazu, dass bei Auktionen mitunter mehr bezahlt wird, als das verkaufte Produkt tatsächlich wert ist.

Laut Neal S. Young vom National Heart Lung and Blood Institute der NIH gibt es so etwas auch in der Wissenschaft. Unter den vielen Manuskripten, die bei Fachjournalen zur Publikation eingereicht würden, setze sich keineswegs eine repräsentative Gruppe durch. Im Gegenteil: Oft seien es Studien mit extremen, spektakulären und überraschenden Resultaten, die bei diesem Wettrennen die Nase vorne hätten.

Für die anderen bleibe oft nur mehr die publizistische B-Liga übrig - und dort heiße Publikation oft: "finale Eintragung in das Vergessen." Der Fluch dieser Verzerrung treffe nicht nur die Wissenschaft selbst, sondern auch die deren erste Konsumenten: Studenten, Ärzte, Techniker, Medien.
Forschung durch die ökonomische Brille betrachtet
Für seinen Artikel im Open Access Journal "PLoS Medicine" (Bd. 5, S. e201) hat Young einen durchaus interessanten Ansatz gewählt. "Dieser Essay geht von der Annahme aus, dass wissenschaftliche Information ein wirtschaftliches Gut ist, und dass wissenschaftliche Journale ein Medium für deren Austausch und Verbreitung sind", heißt es zu Beginn des Texts, der sich wie ein Sündenregister des zeitgenössischen Forschungsbetriebes liest. Negative Daten würden viel zu selten publiziert, widersprüchliche Resultate detto, lautet einer der Vorwürfe.

Außerdem werde das Missverhältnis zwischen verfügbaren Daten und wahrgenommener Publikationsfläche immer extremer, lautet ein anderer, was Young und seine Co-Autoren an folgenden Zahlen illustrieren: Das derzeit laufende Forschungsprojekt "Cancer Genome Atlas" betreibt etwa den zentausendfachen Aufwand in Sachen Gensequenzierung als es das Humangenomprojekt getan hat, bis zu seinem Abschluss wird es vermutlich gerade mal ein Zehntel so lange brauchen.

Diesem gewaltigen Output an Rohdaten steht eine durchaus begrenzte Zahl an Top-Journalen gegenüber. In der Biologie gehen beispielsweise 68 Prozent der am häufigsten zitierten Studien auf das Konto von nur sechs Journalen, in der klinischen Medizin halten die Top-Sechs gar 83 Prozent. Das geht wiederum mit extrem hohen Ablehnungsraten in der Upper-Class der Fachjournale einher, wo oft mehr als 90 Prozent der eingereichten Manuskripte in den Papierkorb wandern.
Das Publikations-Nadelöhr
Kurzum: Alle wollen in den Top-Journalen publizieren, aber nur die wenigsten schaffen es. Der Weg von den Labordaten zur gedruckten Studie geht durch ein Nadelöhr - in ökonomischen Begriffen müsse man das als eine künstliche Verknappung auffassen, kritisieren Young und Co., und sehen eine gewisse Analogie zur Welt der Luxuswaren, wo man ebenfalls die Menge verfügbarer Güter bewusst niedrig hält.

Als Bestätigung dieser These werten die Autoren das bei großen Fachjournalen beliebte Argument, es gebe für mehr Studien schlichtweg keinen Platz im nächsten Heft. Auf der Website von "Nature" heißt es etwa: "Von den wöchentlich eingereichten 170 Papers können wir aus Platzgründen nur etwa zehn Prozent veröffentlichen, daher sind unsere Selektionskriterien sehr streng."

Das sei im Zeitalter elektronischer Speichermedien nicht wirklich überzeugend, schreiben die die Autoren und brechen eine Lanze für freie digitale Datenbanken, Online- und Open-Access-Journale als Gegengewicht zur etablierten Verknappungskultur.
Wer macht den ersten Schritt?
Ob dieser Apell auch etwas an der gängigen Praxis ändern wird, bleibt allerdings abzuwarten: Denn zum einen scheint es recht unwahrscheinlich, dass die etablierten Journale ihre Marktposition aus eigener Initiative schwächen werden. Zum anderen liegt die Ursache des Verzerrungseffektes nicht zuletzt in den Köpfen der Forscher selbst. Auch sie orientieren sich gerne an simplen Maßzahlen und prominenten Fachmedien.

Neal S. Young kann da nur bedingt als Vorbild gelten: In seiner Publikationsliste spielen Open-Access-Journale keine Rolle, mit Veröffentlichungen in Top-Journalen wie "Nature" oder "The Lancet" ist sie dafür gut bestückt.

Robert Czepel, science.ORF.at, 7.10.08
->   Neal S. Young
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01.01.2010