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Die unsichtbare Bremse
Physiker klären den Totwassereffekt
 
  So schön kann Physik sein: Drei französische Physiker haben in einem Wasserbecken Experimente mit einem Spielzeugschiff durchgeführt. Sie erklären, warum (große) Schiffe mitunter im Meer "stecken bleiben".  
Das "tote Wasser"
Als der norwegische Polarforscher Fridtjof Nansen im August 1893 in die Gewässer rund um den Nordenskiöld-Archipel einfuhr, wurde sein Schiff "Fram" aus unerfindlichen Gründen plötzlich so langsam, als würde es durch ein Meer zähen Honigs fahren. "Fram schien durch eine mysteriöse Kraft zurückgehalten zu werden, sie reagierte auch nicht auf die Bewegungen des Ruders", notierte Nansen in seinem Tagebuch.

"In normalen Gewässern und mit leichter Beladung fuhr die Fram sechs bis sieben Knoten. Aber in diesem toten Wasser schaffte sie nicht einmal anderthalb Knoten. Wir änderten die Fahrtrichtung, fuhren Schleifen, manchmal machten wir sogar kehrt. Wir versuchten alle möglich Tricks um davon loszukommen - aber vergeblich."
Bremseffekt
Heute weiß man: Was Nautiker als "totes Wasser" bezeichnen, kann ohne Probleme mit klassischer Physik erklärt werden. Das zeigt eine Studie, die zwei französische Physiker auf dem Preprintserver "arXiv" (0810.1702v1) veröffentlicht haben. Bislang war bekannt, dass der Effekt zustande kommt, wenn sich zwei unterschiedlich dichte Sorten von Wasser treffen.

Das ist etwa mitunter in Fjorden der Fall, wo das Schmelzwasser von Gletschern eine stabile Schicht über dem salzigen Meerwasser ausbildet. Romain Vasseur, Matthieu Mercier und Thierry Dauxois vom Physik-Department der Universität Lyon haben den Totwassereffekt nun mit einem Spielzeugschiff nachgestellt und bestätigen die Notizen von Fridtjof Nansen.

Zieht man das Boot mit einer konstanten Kraft durch das Wasser, verliert es beständig an Fahrt. Unter Umständen kann die Kraft sogar völlig verpuffen und das Boot bleibt an Ort und Stelle stehen - gerade so, als gäbe es kein Seil, an dem das Boot gezogen wird.
Welle unter Wasser
Schuld daran ist eine unter Normalbedingungen unsichtbare Welle, die sich zwischen den beiden unterschiedlich dichten Wasserschichten aufbaut. Romain Vasseur und seine Kollegen haben diese verborgene Welle durch Rotfärbung des Oberflächenwassers sichtbar gemacht. Auf einem entsprechenden Video ist zu erkennen, dass die Welle zunächst im Kielwasser entsteht und dann sukzessive an Höhe und Geschwindigkeit gewinnt, bis sie das Spielzeugboot einholt.

Das führt offenbar zu großen Reibungskräften, durch deren Wirkung das Boot bisweilen im Wasser förmlich feststeckt. Bemerkenswert daran ist, dass die Oberfläche des Wassers dabei völlig ruhig bleibt, für Fridtjof Nansen muss das tote Wasser tatsächlich eine äußerst mysteriöse Erscheinung gewesen sein.
->   Der Versuch auf Video
Auch drei Schichten bremsen
 
Bild: Romain Vasseur, Matthieu Mercier, Thierry Dauxois

Romain Vasseur und seine Kollegen wiesen zudem nach, der Totwassereffekt auch unter komplizierteren Bedingungen mit drei verschiedenen Wasserschichten funktioniert (Bild oben). Das ist das eigentlich Neue an dieser Studie - ähnliche Versuche mit zwei Schichten hatte nämlich der niederländische Physiker Leo Maas bereits vor zwei Jahren durchgeführt.

Er stand seinen französischen Kollegen nun beim Aufbau des Experiments mit Rat und Tat zur Seite, entsprechend lautet der Schlusssatz der ungewöhnlichen Studie: "We warmly thank Leo Maas for suggestions and Playmobil for the quality of the boat."

Robert Czepel, science.ORF.at, 15.10.08
->   Leo Maas: Dead Water
->   Université de Lyon
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01.01.2010