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Bären: Forschung und Politik müssen kommunizieren  
  Bären bewegen die Gemüter - in Österreich ebenso wie in Schweden. Aber: Macht es einen Unterschied in der Wissenschaftsermittlung, ob die Forschungsobjekte zum Alltag der Menschen gehören wie in Skandinavien oder Seltenheitswert haben wie in der Alpenrepublik? Der Wildtierbiologe Andreas Zedrosser sagt: Nein. Der Bärenexperte von der BOKU Wien kennt die Situation in beiden Ländern und erläutert die Parallelen. Großer Unterschied: Forschung und Politik in Schweden kommunizieren besser.  
Der Bär ist los ...!
Von Andreas Zedrosser

Im Frühsommer 2006 hat Bär JJ2 alias Bruno mit seinem Streifzug durch Österreich und Deutschland Berühmtheit wie kaum ein anderer Bär erlangt - wenn man von Stoff- und Comicbären absieht. Zeitgleich mit seiner Wanderung durch die alpinen Wälder streifte Bruno auch durch die in- und ausländischen Blätterwälder. Sogar der ansonsten seriösen New York Times war der Bär eine Meldung wert!

Atemlos wurde verfolgt, welche Schandtat Bruno als nächste beging, oder wie der "Robin Hood" unter den Bären seinen Häschern entgangen war, bis er letztendlich hinterrücks erschossen wurde. Jeder echte Held kann nur durch die heimtückische Kugel in den Rücken besiegt werden.
Dichtung und Wahrheit
Das in den Medien von diesem Bären gezeichnete Bild spiegelte die ganze Breite menschlicher - nicht bäriger - Emotionen gegenüber dem Raubtier wider: Plüsch- und Zotteltier, Freiheitsheld, blutrünstiger Mörder, gefährliche Bestie. Selbst auserkorene Bärenexperten sprossen überall wie Schwammerln aus dem Boden.

Die Medien verbreiteten wissenschaftliche Wahrheit und journalistische Dichtung gleichzeitig. Und fast jeder wusste am besten, was man mit dem Bären zu tun hatte und wie man den Bären am besten fangen könnte - wie beim Fussball: Jeder Österreicher ist ein Teamchef.
Umgang mit Bären
Das Endergebnis war ein richtiges Kramuri, bei dem sich Bärenfreunde und Gegner beschimpften. Und der Bär war tot. Typisch Österreich! Woanders wäre dass NIE passiert!

Aber, ist Österreich wirklich so anders im Umgang mit seinen Bären beziehungsweise in der medialen Vermittlung eines wissenschaftlich fundierten und von der Politik und Gesellschaft anerkannten Managements dieser Tiere? Der Autor hat das Privileg, sowohl in Österreich als auch in Schweden wissenschaftlich mit Bären zu arbeiten. Ein Vergleich der beiden Länder bietet sich daher an.
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Schwerpunkt: "Sprechen Sie Wissenschaft?"
"Sprechen Sie Wissenschaft? Wissenschaftssprache im öffentlichen Dialog" heißt eine Initiative von BMWF und Ö1 Wissenschaft. Forscher und Forscherinnen verschiedener Disziplinen reflektieren dabei in science.ORF.at in Gastbeiträgen und Interviews über den wissenschaftlichen Sprachgebrauch und den Bedarf an Wissenschaftskommunikation.
->   Initiative
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Interesse an Forschungsinput
Betrachten wir also Schweden, ein Land mit acht Millionen Einwohnern und 3.000 Bären. In Schweden war es jahrzehntelang das Ziel, den Bärenbestand anwachsen zu lassen. Man war dabei äußert erfolgreich, und hatte die am schnellsten wachsende Braunbärenpopulation der Welt.

Es gibt in Schweden ein sehr großes Interesse an wissenschaftlichen Erkenntnissen über Bären, auch von offizieller Seite. Das weltweit größte Bärenprojekt - das "Scandinavian Brown Bear Research Project" - läuft schon seit über 20 Jahren, und wird von der schwedischen Regierung hauptgesponsert.
Wissenschaftlich basiertes Management
Das Management der Bärenpopulation basiert fast ausschließlich auf Forschungsergebnissen und gilt als eines der besten der Welt. Zwei Drittel des Landes, Zentral- und Nordschweden, sind von Bären flächendeckend besiedelt. Man ist Bären also gewohnt.

Die Kommunikation zwischen dem Dreigestirn Forschung, Gesellschaft und Politik funktioniert anscheinend gut. Ein wichtiger Grund dafür ist die Bereitschaft der schwedischen Politiker, unabhängige Forschung zu fördern, und vor allem Forschungsergebnisse in ihre Beschlüsse einzubauen. Hier kann die österreichische Gesellschaft noch viel lernen!
Positive und negative Beachtung
Aber, ist deswegen alles eitel Wonne im Umgang der Schweden mit ihren Bären? Zwar ist man ein Leben mit Bären gewohnt, aber trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, ist der Bär ein häufiger Gast in den schwedischen Medien.

Bei 3.000 Bären, acht Millionen Schweden und der Bärenjagd kommt es immer wieder zu ungewöhnlichen Ereignissen, die in den Medien positive als auch negative Beachtung finden. Was aber wäre, wenn ein schwedischer Bruno auftauchen würde?
"Schwedischer" Bruno
Tatsächlich gab es ein ähnliches Ereignis: 1998 wanderte "Granfjell", ein junges Bärenmännchen, eine über 1.000 km lange Strecke von Mittelschweden über die Stadt Stockholm (!) bis nach Südschweden, in einer Region ohne Bärenbestand und daher ohne jegliche Bärenerfahrung. Gab es ein mediales Interesse für diesen Bären? Na klar!

Die Leute waren zunächst fasziniert von der langen Wanderung dieses Tieres, die Stimmung war äußerst positiv. Der Bär lebte ein Jahr unauffällig, und daher auch ruhig und unbehelligt in Südschweden. Die lokale Jägerschaft sprach für den Bären eine freiwillige Schonung aus.

Aber im darauf folgenden Jahr fing das Tier an Schafe zu reißen. Die Stimmung - auch in den Medien - schwang um, der Bär wurde im Auftrag der Behörden erlegt. Eine "Bruno light" Version also.
Politik und Wissenschaft müssen kooperieren
Die Moral dieser Geschichte: Bären engagieren! Auch in einem "bärengewohnten" Land wie Schweden verursacht Meister Petz Schlagzeilen, Bärenfreunde und Bärengegner prallen medial aufeinander. Daher ist das Öffentlichkeits- und Medienchaos rund um Bruno im "Bären unerfahrenen" Österreich - nüchtern betrachtet - durchaus nachvollziehbar.

Prinzipiell ist öffentliches und mediales Interesse für eine in Österreich bedrohte Tierart zu begrüßen. Dem Bärenbestand in Österreich geht es, milde ausgedrückt, nicht gut. Wie auch immer man die Erhaltung bzw. das Wiedereinwandern des Braunbären - oder anderer Tierarten - in Österreich fördern will: Ohne die Unterstützung durch die öffentliche Meinung wird es schwierig.

Um diese zu erreichen, müssen Politik und Forschung bereit und fähig sein, miteinander zu kommunizieren. Aber auch die Medien müssen bereit sein zu informieren und nicht zu sensationalisieren!

[20.10.08]
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Über den Autor
Andreas Zedrosser ist Wildtierbiologe am Department für Integrative Biologie und Biodiversitätsforschung - Bereich Wildbiologie und Jagdwirtschaft - an der Universität für Bodenkultur. Der Bärenexperte arbeitet seit sieben Jahren am Institut für Ökologie der Landwirtschaftsuniversität in Norwegen und ist Mitarbeiter des "Scandinavian Brown Bear Research Project". Zedrosser leitet derzeit das vom Wissenschaftsfonds (FWF) geförderte Projekt "Sexuell selektierter Infantizid beim Braunbären".
->   Andreas Zedrosser
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->   Brown Bear Research Project
->   Alle Beiträge der Serie "Sprechen Sie Wissenschaft"
 
 
 
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01.01.2010