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Zweisprachigkeit will gelernt sein  
  Mehrsprachigkeit in Europa wird immer mehr zum Thema: Speziell in den Grenzregionen Österreichs wird Mehrsprachigkeit langsam, aber sicher zur Normalität. In binationalen Partnerschaften treffen immer häufiger mehrere Sprachen aufeinander. Georg Gombos, Erziehungswissenschaftler an der Uni Klagenfurt, erläutert die Chancen des bilingualen Spracherwerbs und erklärt, wie das Lernen mehrer Sprachen gelingen kann.  
"Sprachlichkeit ist unteilbar"
Was weiß man über das Gehirn von zwei- oder mehrsprachig aufgewachsenen Menschen?

Gombos: Der Mensch kann alle möglichen Sprachen lernen, ein Leben lang. Die Forschungsergebnisse sprechen dafür, dass man möglichst früh - ab der Geburt bzw. dem zweiten oder dritten Lebensjahr - damit anfangen sollte, um positive Effekte für das weitere Lernen zu erzielen. Die Gehirnforschung hat mit bildgebenden Verfahren gezeigt, dass Sprachen nicht getrennt voneinander abgespeichert werden. Mehrere Sprachen können einander helfen.

Diese Forschung unterstützt, was vernünftige Pädagogen schon immer gesagt haben: Sprachen muss man lange und gut anbieten, dann werden sie entsprechend gut gelernt. Untersuchungen zeigen, dass zweisprachige Menschen auch kognitiv, kreativ, metalinguistisch (d.h. Reflexionsfähigkeit, Schlussfolgerungen über Sprache) oder mathematisch profitieren können - im Vergleich zu einsprachigen.
Wie ist das im Kindesalter, wenn man damit anfängt?

Kognitionsforscher heben hervor, dass mehrsprachige Kinder früh merken: Ein Wort, mit dem man einen Gegenstand bezeichnet, ist nicht ident mit dem Gegenstand selbst. Neben den Voraussetzungen, die die Kinder mitbringen, kommt der systemische Faktor. Alle Menschen stecken in Beziehungssystemen, die explizite oder implizite Botschaften beinhalten.

Für diese sind Kinder sehr empfänglich und sie beeinflussen ihre Haltung zum Lernen massiv. Wenn Kinder eine Ablehnung und Abwertung der Sprache erleben - im engsten Kreis, in Gruppen, Institutionen, Medien oder in der Gesellschaft - so kann das einen negativen Einfluss haben.
Welche Sprache ist bei Ablehnung oder Abwertung am meisten betroffen?

Die Sprachlichkeit des Menschen ist unteilbar und das Selbstwertgefühl noch wichtiger als die Motivation. Also sind potenziell alle Sprachen des Kindes betroffen.

Das Kind wird die im Status höhere Sprache eher betonen, die andere vernachlässigen, ohne zu wissen, dass es sich damit dem Risiko aussetzt, in beiden Sprachen schwach zu bleiben.
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Schwerpunkt: "Sprechen Sie Wissenschaft?"
"Sprechen Sie Wissenschaft? Wissenschaftssprache im öffentlichen Dialog" heißt eine Initiative von BMWF und Ö1 Wissenschaft. Forscher und Forscherinnen verschiedener Disziplinen reflektierten dabei in science.ORF.at in Gastbeiträgen und Interviews über den wissenschaftlichen Sprachgebrauch und den Bedarf an Wissenschaftskommunikation. Dieser Beitrag schließt die Serie ab.
->   Initiative
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Wie soll man also reagieren, wenn sich jemand durch fehlerhafte Sprache und Akzent outet?

Unangenehmes Herummäkeln in Verbindung mit Bewertungen kann zum Verstummen führen. Es ist besser, man versucht, auf das Kind einzugehen und zu verstehen, was gemeint ist.

Wenn der Inhalt verstanden wurde, kann man mit dem Lernenden die korrekte Version wiederholen - in der Haltung: Machen wir aus dem "gut" ein "besser".
Wie können Eltern die zweisprachige Erziehung im Alltag umsetzen?

Wir kennen positive und negative Einflussfaktoren. Ob das einzelne Kind es schafft oder scheitert, weiß man vorher nicht. Wichtig ist, dass die Eltern selbst ein positives Selbstwertgefühl in Bezug auf ihre mitgebrachte Sprache haben.

Sonst fragen sich die Kinder gleich: Wozu soll ich die Sprache lernen, wenn sich meine Eltern in der Öffentlichkeit dafür schämen? Das Kind will in erster Linie am Leben partizipieren, die Sprache ist ein Mittel dazu.
Was heißt das konkret?

Lernt das Kind zwei oder mehrere Sprachen - sei es in der Familie, im Kindergarten oder in der Schule-, so hat sich das Prinzip: "eine Person = eine Sprache" am besten bewährt. Wenn die Erwachsenen ständig hin und herwechseln, muss man damit rechnen, dass sich die gesellschaftlich dominante Sprache durchsetzt. Das Kind lernt, was mehr und leichter verfügbar ist.

Es braucht also Räume, in denen die Sprachen leben können und Personen, die das Kind einbeziehen. Wenn es geht, sollte man einem Kind Situationen ermöglichen, in denen auch andere Menschen die Sprache sprechen. Eltern und Gesellschaft sollten einen Rahmen bieten, in dem sich das Kind entfalten kann.
Welche Schwierigkeiten treten auf?

Jedes Kind, auch einsprachige Kinder, gehen durch eine Sprachentwicklung. Die Sprache(n) werden zunächst formelhaft verwendet.

Wenn ein Kind beginnt, die Regeln der Sprache zu entschlüsseln und anzuwenden, gehen die Mehrsprachigen durch eine Phase der Mischung. Da verlieren manche Leute die Nerven, das entwirrt sich aber wieder.
Wie geht es Migrantenkindern mit Zweisprachigkeit?

Manchen Migrantenkindern wird nicht ermöglicht, sich sprachlich sowohl in der Erstsprache als auch in der Zweitsprache langfristig und gut zu entwickeln. Das kann zu Problemen führen. Das Motto sollte "sowohl, als auch" und nicht "entweder - oder" lauten.

Also müssen die Eltern ermutigt werden, die Erstsprache zu Hause gut zu vermitteln, damit auf dem Fundament Deutsch als Zweitsprache aufgebaut werden kann. Da bin ich für Arbeitsteilung. Am schlimmsten ist es, wenn die Eltern ihre Herkunftssprache verleugnen, nicht weitergeben und stattdessen die Zweitsprache schlecht sprechen.
Was zeichnet gelungene Beispiele transkultureller Pädagogik im Kindergarten aus?

Das Prinzip "eine Person, eine Sprache" gilt auch in mehrsprachigen Kindergärten, die eigene kindgerechte Aktivitäten anbieten, um die Sprachen erlebbar zu machen. In der Alpen-Adria-Region gibt es vernetzte Kindergärten, die halbtags die Pädagogen austauschen und mit den Kindern Deutsch, Slowenisch und Italienisch arbeiten. In Kindergärten mit einem hohen Migrantenanteil können die Pädagogen ein sprachenfreundliches Umfeld schaffen.

Symbolische Maßnahmen sind sehr wichtig: Grüßen lernen in der Sprache des Kindes, die Eltern einladen und mit allen Kindern Lieder aus verschiedenen Ländern einstudieren. Außerdem muttersprachliche Zusatzkräfte für die stark vertretenen Sprachen engagieren. In einem Klima des Miteinanders, können sich die Kinder gesehen und angenommen fühlen. Das ist zentral für das Selbstwertgefühl.
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Studie: Selbstwert und Sprachkompetenz
Welchen Einfluss hat ein schlechtes Selbstwertgefühl bei Migrantenkindern auf das Erlernen einer zweiten Sprache neben der Muttersprache? Im Zuge einer Langzeitstudie untersuchte die Kommunikationstrainerin Reva Akkus die Entwicklung psychischer Stabilität bzw. Instabilität im Zuge des bilingualen Spracherwerbs in der Migration.
->   Studie
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Stundenlang pauken ist also kein Erfolgsrezept an sich?

Wir werden der Sache nicht gerecht, wenn wir Sprachenlernen im engeren Sinn betrachten. Es handelt sich immer um soziale Räume. Ein Kind kann man nicht sprachlich überfordern, sondern nur sozial.

Sprachen leben aufgrund der Bereiche, in denen man sie anwenden kann. Man lernt, weil einem die Kultur gefällt, der Job aussichtsreich ist oder man sich verliebt. Sprachen sind ein Instrument um die Welt zu erfassen.
Was können mehrsprachig aufgewachsene Kinder besonders gut?

Die totale Offenheit gegenüber Sprachen ist ein Schatz. Hier in Kärnten haben wir das Glück, dass drei Kulturen, Sprachen und Sprachfamilien - germanische, romanische und slawische - zusammentreffen. Eine Sprache, die man lernt, eröffnet den Zugang zur ganzen Sprachfamilie.
Zeigen sich bei mehrsprachig aufgewachsenen Kindern typische Schwächen?

Mehrsprachige Menschen beherrschen ihre Sprachen nicht alle auf dem gleichen hohen Niveau - und zwar deswegen, weil die Sprachen Lebensbereichen, Situationen zugeordnet sind. Daher ist es wichtig, Sprachenlernen als einen lebenslangen Prozess zu sehen und tolerant mit Fehlern umzugehen.

Astrid Kuffner, science.ORF.at, 3.11.08
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Georg Gombos
Georg Gombos (51) arbeitet am Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung in der Abteilung für Interkulturelle Bildung der Uni Klagenfurt Der gebürtige Wiener wurde selbst zweisprachig (Ungarisch/Deutsch) erzogen und erlebte das als unproblematisch und natürlich. Seine Söhne erzieht er ebenfalls mehrsprachig.
->   Gombos
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->   Frühkindliche Zweisprachigkeit
->   Alle Beiträge der Serie "Sprechen Sie Wissenschaft"
 
 
 
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01.01.2010