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Don't do the Bosenova
Explodiert das Kühlsystem des LHC?
 
  Der Large Hadron Collider (LHC) am CERN kommt nicht zur Ruhe: Erst vor einigen Monate wurden Befürchtungen laut, der Teilchenbeschleuniger bei Genf erzeuge Schwarze Löcher und löse damit den Untergang der Welt aus. Nun schlagen Kritiker erneut Alarm. Sie behaupten, das gesamte Kühlsystem könne infolge eines quantenmechanischen Effekts in die Luft gehen. Unsinn, beruhigen CERN-Physiker, es bestehe keine Gefahr.  
Panne nach einer Woche
Am LHC zwar rege Betriebsamkeit, aber dessen 27 Kilometer langer Tunnel ist verwaist - rasende Teilchen sucht man dort zurzeit vergebens. Grund dafür ist eine defekte elektrische Schaltverbindung, derentwegen die größte Maschine der Welt am 19. September - nur eine Woche nach ihrem Start - abgeschaltet wurde. Seitdem sind Reparaturarbeiten im Gange, mit Experimenten ist nicht vor dem Frühjahr des nächsten Jahres zu rechnen.
Die Schwarze-Löcher-Affäre
Zumindest die Theoretiker des Europäischen Kernforschungszentrums CERN haben dennoch alle Hände voll zu tun. Sie müssen Horror-Szenarien zu möglichen Nebenwirkungen der geplanten Experimente widerlegen, die sogar schon Gerichte beschäftigt haben. Eines lautete etwa, am LHC könne infolge der Teilchenkollisionen ein Schwarzes Loch entstehen, das zunächst den LHC und seine Physiker, dann die Schweiz und zum Schluss die ganze Welt verschlinge.

Völlig unbegründet, für stabile Schwarze Löcher seien die obwaltenden Energien viel zu gering, lautete die Antwort von Theoretikern in einer kürzlich veröffentlichten Studie (Journal of Physics G: Bd. 35, S. 115004). Gleichwohl muss man in diesem Fall auch die eifrige PR-Abteilung des CERN in die Pflicht nehmen: Wer den LHC fortgesetzt als "Urknallmaschine" bewirbt, darf sich nicht wundern, wenn das mitunter wörtlich genommen wird.
Angst vor Bosonen
Nun bringen die LHC-Kritiker einen neuen Einwand aus der Abteilung Grusel-Physik aufs Tapet. "Bosenova" heißt das Phänomen, das nichts mit brasilianischer Musik, sondern mit den sogenannten Bosonen, Teilchen mit ganzzahligem Spin, zu tun hat.

Das Argument baut auf der Tatsache auf, dass Bosonen nahe dem absoluten Nullpunkt einen eigenartigen Zustand annehmen, in dem viele individuelle Teilchen zu einem Kollektiv, quasi einem riesigen Superteilchen, verschmelzen. Der Effekt wurde in den 1920er Jahren vorhergesagt und 60 Jahre später erstmals im Labor erzeugt.

Mittlerweile gehört die bloße Herstellung eines "Bose-Einstein-Kondensats" (kurz: BEC), wie der Zustand offiziell heißt, zu den Standardübungen von guten Experimentalphysikern. Heute geht es in der Forschung eher darum, die BECs gezielt zu manipulieren und damit beispielsweise die Grundlagen für Quantencomputer zu schaffen.
Explodierendes Helium?
Zurück zur Bosenova: Der Name geht auf ein Experiment von Elizabeth Donley von der University of Colorado aus dem Jahr 2001 zurück. Sie hat damals ein pulsierendes magnetisches Feld an ein BEC angelegt, dieses schrumpfte daraufhin in sich zusammen, wurde so klein, dass man es nicht mehr nachweisen konnte - und explodierte.

Heute weiß man, dass die Supernova im Taschenformat durch einen quantenmechanischen Resonanzeffekt ausgelöst wird und im Prinzip auch mit viel größeren Teilchenensembles funktionieren würde.

Genau das befürchten die LHC-Alarmisten: Sie weisen darauf hin, dass sich in der Kühlanlage des Large Hadrone Colliders 700.000 Liter flüssiges, ultrakaltes Helium befinden, was im Prinzip nichts anderes als ein gigantisches BEC sei. Nachdem am LHC die vermutlich stärksten Magneten der Erde zum Einsatz kommen, habe man irrtümlich die Zutaten für eine Explosion ungeahnten Ausmaßes vereinigt, lautet der Vorwurf. Ist das Kühlsystem des LHC eine tickende Zeitbombe?
"Helium ist sicher"
Keineswegs, das Szenario entbehre jeglicher Grundlage, schreiben nun Malcolm Fairbairn und Bob McElrath von der Theorie-Abteilung des CERN in einer neuen Entgegnung (arxiv, 0809.4004v1).

Die beiden Physiker weisen darauf hin, dass Helium gar nicht die physikalischen Voraussetzung für so eine Reaktion habe, deswegen sei diese Überlegung schlichtweg falsch und überhaupt unberechtigt. Um sich doppelt abzusichern spielen die beiden Physiker dennoch ein Szenario "phantastischer Physik mit dem Bruch der Quantenmechanik" durch, und kommen zu dem Schluss: Selbst wenn (was ohnehin nicht der Fall ist) Bosenovae enstehen könnten, bestünde dennoch keine Gefahr.

Resümee der Studie: "Es gibt keine wie auch immer geartete Wissenschaft, aus der hervorgeht, dass etwas Gefährliches mit dem Helium-Kühlsystem des LHC passieren könnte. Wir haben keinen Zweifel, dass Helium sicher ist. Es kann zu keinerlei unvorhergesehenen katastrophalen Explosionen führen."

Im Weblog "physics arXiv blog" gibt es zu diesem Satz einen hübschen Kommentar: "Das ist beruhigend und beeindruckend. Vorhersehbare Katastrophen ausschließen zu können, ist ohne Zweifel eine nützliche Fähigkeit. Aber unvorhersehbare Katastrophen - das ist wirklich erstaunlich."

Robert Czepel, science.ORF.at, 7.11.08
->   CERN
->   Large Hadron Collider - Wikipedia
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01.01.2010