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Poker: Können Computer bald besser bluffen?  
  Schummerige Räume, viele leere Whiskey-Gläser, die Aschenbecher voller Zigarettenstummel und versteinerte Mienen: Poker steht wie kaum ein anderes Spiel für rätselhafte Männlichkeit, die sich aus einer Mischung von Schläue und Coolness ergibt. Nun könnte aber auch diese Bastion fallen: nicht durch Frauen, sondern durch schnöde Computer.  
Bei einem der weltweit größten Pokerturniere in Las Vegas (USA) im Juli 2008 gewann ein Programm namens Polaris gegen drei menschliche Gegenspieler. 17 Jahre lang arbeiteten Forscher der Universität Alberta an einer Software, die mit der Komplexität des Poker-Spiels umgehen kann. Denn im Unterschied zu Schach und Dame muss die "künstliche Intelligenz" mit hoher Unsicherheit zurechtkommen.
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Über "Human set to fold as poker bots raise the stake" berichtet der "New Scientist" in seiner Ausgabe vom 15. November 2008 (S. 28f).
->   "New Scientist"
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Mensch verliert bei Dame und Schach
"Deep Blue" ist eine Legende unter den Computern. 1997 besiegte er als erste Maschine den Weltmeister Garry Kasparow, im Juli 2007 folgte der nächste Schlag gegen die menschliche Intelligenz, als kanadische Wissenschaftler ein Programm vorstellten, das jedes Dame-Spiel gewinnt.

Diese Spiele haben eines gemeinsam: Spieler mit ausgeprägten mathematischen Fähigkeiten haben bessere Chancen. Logischerweise sind deshalb auch Computer mit nahezu beliebig erweiterbaren Rechenkapazitäten dem Menschen überlegen. Und: Die Fakten des Spiels liegen offen am Tisch, es kann anhand des Offensichtlichen die beste Strategie errechnet werden.
->   Computer setzt "Dame"-Spiel schachmatt
Poker: Menschen bluffen - meist - besser
Ganz anders sieht die Situation beim Poker aus: Das Spiel lebt davon, das Blatt der anderen nicht zu kennen. Bluff und Täuschung können über Sieg und Niederlage entscheiden - mit genau diesen Fähigkeiten können Prozessoren, Speicher und Software aber gemeinhin wenig anfangen.

Die Forscher um Darse Billings von der Poker Research Group der Universität Alberta wählten zur Entwicklung ihres Programms eine relativ einfache Poker-Variante mit Namen "Texas hold 'em": Jeder Spieler - die Software wurde für nur zwei Teilnehmer ausgelegt - bekommt anfangs zwei Karten, im Lauf des Spiels werden fünf weitere am Tisch offen gelegt. Gewonnen hat der Spieler, der am Ende die beste Kombination vorlegen kann.
->   Mehr über "Texas hold 'em" (Wikipedia)
Schwieriges Terrain
Beim Schach arbeitet der Computer mit einem "Entscheidungsbaum": Er kalkuliert jede Möglichkeit, die sich anhand der Brettsituation ergibt, und berechnet die Erfolgswahrscheinlichkeit. Beim Poker gibt es keine objektiv beste Strategie, im Gegenteil: Sie kann sich schnell ändern, je nachdem, wie sich das Gegenüber verhält.

"Wir bewegen uns in einem Gebiet, in dem Information unzuverlässig, unvollständig, sogar absichtlich falsch sein kann", beschreibt Poker-Forscher Billings im "New Scientist". Gemeinsam mit seinen Kollegen musste er also ein Programm entwickeln, das mit Unsicherheiten umzugehen in der Lage ist.
Programm mit Standardsituationen gefüttert
Die Forscher gingen das Problem so an, dass sie den Computer mit Standardsituationen fütterten. 2005 hatten sie einen Algorithmus, der zehn Milliarden Situationen und mögliche Interpretationen "kennt". Bis zuletzt erweiterten sie den "Wissensstand" ihrer Software auf 1.000 Milliarden. Aber auch die einfache Poker-Variante, auf die sie ihr Programm zuschnitten, kennt rund eine Milliarde mal eine Milliarde (1018) Möglichkeiten.

Also begannen die Forscher, Kartenkombinationen mit häufigen Spielverläufen zu verklammern. Nach und nach "lernte" Polaris, die beste Strategie in einer Datenbank zu finden, in der Spielsimulationen immer weiter ausgebaut wurden.
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Erfolg durch Unterprogramme
Das Erfolgsrezept, so die Forscher, lag in der Entwicklung zahlreicher Unterprogramme, die ganz unterschiedliche Eigenschaften haben. Ein Unterprogramm beispielsweise spielt aggressiv, ohne aber dabei aber auf die Reaktionen der Gegner zu achten. Ein anderes analysiert nur die Spielsituationen, ein drittes die Spieler-Reaktionen usw. Die Ergebnisse aller einzelnen Berechnungen werden dann als Summe zusammengeführt und eine Reaktion "ausgeworfen".
->   Mehr über Polaris (Wikipedia)
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Finanzmärkte: Mehr Poker als Schach
Bei der Arbeit der Forscher geht es aber nicht (nur) um den Spaß beim Poker-Spielen, sondern eigentlich um die Entwicklung künstlich-intelligenter Systeme, die mit Unsicherheiten umgehen können. Sowohl in der Biologie als auch in der Wirtschaft seien Systeme gefragt, die Unwägbarkeiten miteinbeziehen.

Noel Sharkey, Experte für künstliche Intelligenz der Universität Sheffield in Großbritannien, sieht noch eine weitere Anwendungsmöglichkeit: die Finanzmärkte. Seine einfache Begründung: Die Märkte seien "vielmehr mit Poker als mit Schach vergleichbar: Zu keinem Zeitpunkt kennt man alle Variablen des Spiels."

Elke Ziegler, science.ORF.at, 12.11.08
->   Poker Research Group (University of Alberta)
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01.01.2010