News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 
Seyla Benhabib fordert "Rechte der Anderen"  
  Eines der größten Probleme der Globalisierung ist die ständig wachsende Migration. Wie nun westliche Gesellschaften mit der Fremdheit des kulturelle Anderen umgehen, ist das Thema des Buches "Die Rechte der Anderen" der amerikanischen Philosophin und Politikwissenschaftlerin Seyla Benhabib. Sie fordert ein "Menschenrecht auf Staatsangehörigkeit".  
Politische Zugehörigkeit
Ausgangspunkt des Buches ist die Frage nach der politischen Zugehörigkeit, die bis jetzt mit der Staatsbürgerschaft verbunden ist. Die jeweilige Staatsbürgerschaft verleiht bestimmte Rechte, die den Fremden, den Migranten, den Asylanten nicht gewährt werden.

Die allmähliche Aufweichung des Nationalstaats - als eine Folge der Globalisierung - erfordert nach Benhabib eine andere politische Praxis, die den Anderen als Gleichberechtigten behandelt.
Immanuel Kant: "Weltbürgerrecht"
Einen ersten Hinweis auf eine andere politische Praxis findet Benhabib in Immanuel Kants Schrift ""Zum ewigen Frieden", die er 1795 publizierte. Dort spricht der Philosoph von einem "Weltbürgerrecht", das mit einer allgemeinen "Hospitalität" (Gastfreundschaft) einhergeht.

Diese Gastfreundschaft stellt er sich nicht als eine subjektive, großzügige Geste vor, sondern als ein Recht, das allen Menschen zusteht.
Hannah Arendt: "Das Recht, Rechte zu haben"
Ein weiterer Hinweis stammt von der Philosophin Hannah Arendt, die das Recht des Einzelnen betonte, Rechte zu haben. Für Arendt bestand ein enger Zusammenhang zwischen dem "Bösen in der Politik" und der Staatenlosigkeit.

Sie ging davon aus, dass erst die Aberkennung der Staatsbürgerschaft es totalitären Regimen ermöglichte, Menschen als "vogelfrei" zu erklären und nach Belieben mit ihnen zu verfahren; sie wurden zu, "politisch gesprochen, lebenden Leichnamen".
"Menschenrecht auf Staatsangehörigkeit"
Damit sich dieser Vorgang nicht wiederholt, folgt Benhabib den Hinweisen von Kant und Arendt und postuliert "so etwas wie ein Menschenrecht auf Staatsangehörigkeit". Das bedeutet ein Recht auf den Erwerb sämtlicher bürgerlicher Rechte wie Recht auf Eigentum, Vereinigungs- und Vertragsfreiheit und das passive und aktive Wahlrecht.

Sie fordert, dass "jedem Eingereisten der Weg zur Einbürgerung prinzipiell offen stehen muss". Sie ist sich bewusst, dass diese Forderung eine Provokation für all jene darstellt, die unermüdlich den Rechtsanspruch von Asylanten und Migranten auf Staatsangehörigkeit bestreiten.
...
Zitat
"Eines haben die politischen Entwicklungen, die einwanderungsfeindliche Parteien der Rechten an die Macht gebracht haben, gezeigt: In den Händen von Demagogen und rechten Politikern können Migrations- und Asylfragen zu unberechenbaren Zeitbomben werden"
...
"Kein Mensch ist illegal"
Das Überschreiten von Grenzen ist für Benhabib keineswegs eine Handlung, die es zu kriminalisieren gilt, sondern der Ausdruck einer oft verzweifelten Suche nach einem besseren Leben. Sie nimmt die plakative Forderung "Kein Mensch ist illegal" auf und akzeptiert die damit verbundene Einschränkung der Souveränität der Nationalstaaten.

Der bestimmende Gesichtspunkt dabei ist die Notsituation der Menschen, die um Einbürgerung ansuchen. Personen, die sich in extremen Notlagen befinden, darf die Unterstützung nicht verweigert werden.
"Menschen ohne Papiere"
Im letzten Kapitel kommt Benhabib auf die Problematik von "Menschen ohne Papiere" zu sprechen. In den Vereinigten Staaten leben rund 13 Millionen Immigranten, die zwar durch ihre Arbeit am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, von Sozialleistungen aber ausgeschlossen sind.

Sie kämpfen als Mitglieder der amerikanischen Streitkräfte im Irak, werden aber erst - wie im Falle des aus Guatemala stammenden Corporals Jose Gutierrez - nach dem Heldentod zu amerikanischen Staatsbürgern. Sie sind, wie schon Hannah Arendt ausgeführte, "zivile Tote", die auch vom politischen Leben fern gehalten werden.
Gegen bürokratische Einbürgerungsverfahren
Benhabib spricht sich zwar für das Menschenrecht auf Einbürgerung, überlässt es aber der jeweiligen Nation, darüber zu entscheiden, von welchen Kriterien die Einbürgerung abhängig ist. Jedoch sollte die Einbürgerung nicht von "religiösen, ethnischen, rassischen oder sexuellen Merkmalen" beeinflusst werden.

Außerdem besteht ein Informationsrecht, das über die Voraussetzungen einer Einbürgerung ausreichend informiert. Unzulässig ist ein in vielen Nationalstaaten übliches bürokratisches Verfahren, an dessen Ende eine mögliche Kriminalisierung oder Abschiebung steht.
Fazit
Benhabib relativiert ihre vorerst radikal klingende Forderung nach einem grundsätzlichen Menschenrecht auf Einbürgerung, indem sie es den einzelnen Nationalstaaten überlässt, die Kriterien der Einbürgerung festzulegen. Indem sie "nicht offene, sondern bedingt durchlässige Grenzen" befürwortet, akzeptiert sie ein Potenzial an Unsicherheit, das für die Menschen besteht, die sich um eine Einbürgerung bemühen.

Sie sind mit unterschiedlichen, durchaus willkürlichen Reglementierungen konfrontiert, die über ihre Einbürgerung entscheiden. Es bleibt dann für sie nur die Hoffnung, dass "die Einbürgerungsgesetze den Menschenrechten untergeordnet werden".

Nikolaus Halmer, Ö1 Wissenschaft, 2.1.09
...
Seyla Benhabib. Die Rechte der Anderen. Ausländer, Migranten, Bürger. Aus dem Amerikanischen von Frank Jakubzik; Suhrkamp Verlag, 225 Seiten.
->   Mehr zum Buch - Suhrkamp
...
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010