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Was junge und alte Hirne unterscheidet  
  Zwei US-Studien zeigen: Alte Menschen mit jugendlichem Geist sind offenbar immun gegen die Bildung störender Proteinfasern in ihren Nervenzellen. Und ein weit verbreitetes bildgebendes Verfahren lässt Senioren systematisch vergesslicher aussehen, als sie wirklich sind.  
Im Geiste jung
Die Kunst besteht bekanntlich darin, jung zu sterben - das aber so spät wie möglich. Nur wie? Eine mögliche Antwort auf diese Frage gibt eine Untersuchung, die der US-Biologe Changiz Geula kürzlich auf dem Jahrestreffen der Society for Neuroscience in Washington vorgestellt hat. Geula hat in seinem Labor "super aged brains" untersucht - damit sind die Hirne von Senioren der Kategorie 80+ gemeint, die sich trotz ihres hohen Alters eine bemerkenswerte geistige Frische erhalten haben.

Diese schneiden etwa bei Gedächtnistests so gut ab, als wären sie mehr als 30 Jahre jünger. In gewisser Hinsicht sind sie das auch, wie Geulas berichtet, sie haben nämlich in der Tat biologisch junge Gehirne. Das gilt insbesondere für faserförmige Ablagerungen, bestehend aus dem Protein Tau. Dieser Eiweißstoff sorgt in der gesunden Zelle für Stabilität im Zellskelett und ist außerdem am neuronalen Transportwesen beteiligt.
Faserfreie Nervenzellen
Mitunter kommt es vor, dass ein Tau-Protein mit Montagefehlern die biochemische Werkstatt der Zelle verlässt. Was im Einzelfall kein schwerwiegendes Problem ist, kann sich im Lauf der Jahre zu einem solchen auswachsen, weil die fehlerhaften Proteine akkumulieren, sich zu feinen Faserknäuel verbinden und die Kommunikation zwischen Nervenzellen stören.

"Neurofibrillary tangles" nennt sich das faserige Proteingewirr in der Fachsprache, es ist sowohl am normalen Altern des Hirns als auch an Alzheimer, Parkinson und anderen neurodegenerativen Krankheiten beteiligt.

Die von Geula untersuchten Senioren hatten jedenfalls ausgesprochen wenig davon in ihren Gehirnen - vermutlich die Ursache ihrer konservierten geistigen Agilität. "Bisher hat man immer angenommen, dass die Anhäufung der Fasern langsam mit dem Alter fortschreitet. Aber es gibt offenbar Individuen, die immun gegen diesen Prozess sind", sagt Geula.
Erinnerungstests im Scanner
Vom Hirnvergleich Alt vs. Jung berichtet auch Dale Stevens in der aktuellen Ausgabe des "Journal of Neuroscience", wenngleich die Pointe seiner Studie damit nur bedingt zu tun hat. Eigentlich wollte der Harvard-Psychologe nur das Erinnerungsvermögen zweier Probandengruppen durch Vorlage von Portraits testen. Wie erwartet, konnten sich jene aus der jüngeren Gruppe (Durchschnittsalter: 26) besser an die dargestellten Gesichter erinnern als die Senioren (70).

Das spiegelte sich auch auf Hirnbildern, die per funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRI) gewonnen wurden: Wenn einer der Probanden Schwierigkeiten hatte, sich an ein konkretes Gesicht zu erinnern, war auch der Hippocampus weniger aktiv - eine Hirnregion, die für den Austausch von Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis äußerst wichtig ist.
Das störende Messgerät
Soweit, so wenig überraschend. Stevens und seine Mitarbeiter entdeckten allerdings bei den Senioren - und nur bei diesen - Zusatzsignale aus Regionen, die eigentlich "stumm" hätten sein sollen. Bei ihnen war offenbar ein Monitoringsystem aktiv, das Umweltreize verarbeitet.

Die Erklärung für diese eigenartige Reaktion hat mit der angewandten Methode zu tun: Mit Magnetresonanztomographen kann man zwar dem Hirn beim Denken zusehen, rein akustisch erinnern diese Geräte allerdings eher an Presslufthämmer denn an Hightech-Geräte. Probanden, die in einer fMRI-Röhre liegen, sind beim Betrieb derselben lauten, hämmernden Geräuschen ausgesetzt. Das hat die Senioren offenbar abgelenkt, die Jungen hingegen nicht.

Ein Gutteil der Unterschiede im Gedächtnistest dürfte wohl darauf zurückzuführen sein, folgern Stevens und Kollegen - und weisen damit auf ein grundsätzliches methodisches Dilemma hin: Das Problem ist nicht nur, dass die Messungen verzerrt wurden. Das eigentliche Problem ist, dass die Methode etwas erzeugt, was sie nachzuweisen trachtet.

"Der Tomograph lässt die Senioren grundsätzlich schlechter abschneiden als es in der wirklichen Welt, außerhalb des Scanners, der Fall wäre", sagt Cheryl Grady, eine Co-Autorin der Studie. Für Gedächtnisvergleiche zwischen Alt und Jung muss man sich in Zukunft wohl Alternativen überlegen.

Robert Czepel, science.ORF.at, 26.11.08
->   Society for Neuroscience
->   Journal of Neuroscience
->   Neurofibrillary tangles - Wikipedia
 
 
 
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01.01.2010