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Ist Science Fiction tot?  
  Ist Wissenschaft schneller, als Science Fiction vorhersagen kann? Ist die Realität der wissenschaftlichen Entwicklungen spannender als die Phantasie der Genre-Autoren? Nein, sagen Martin Tajmar und Helga Nowotny. Der Physiker und die Wissenschaftsforscherin skizzieren, warum Science Fiction lebendiger denn je ist.  
Realität statt Fiktion
Professor Warwick wirkt zufrieden: "Projekt Frankenstein" ist erfolgreich verlaufen. Gordons Gehirn arbeitet! In der Steuerzentrale des Roboters arbeiten bis zu 100.000 Nervenzellen, die der britische Wissenschaftler aus einem Rattenhirn entnommen hat.

Elektroden leiten die elektrischen Impulse der Ratten-Neuronen an die Räder des Roboters weiter. Gleichzeitig übertragen die Nervenzellen Signale von Gordons Rad-Sensoren zurück ans Gehirn - beispielsweise, wenn er gegen eine Wand fährt.

Science Fiction? Keinesfalls. Tatsächlich arbeitet das Cybernetic Intelligence-Forscherteam der britischen Universität Reading an diesem Projekt. Der Weg zu "Frankensteins Monster" ist geebnet. Längst sind die Visionen der britischen Schriftstellerin Mary Shelley, der "Urmutter" des Science Fiction, die Realität der modernen Hirnforschung.

Die Wissenschaftler betonen zwar, dass es nicht Ziel ist, "Frankensteins Monster" zu schaffen. Vielmehr wollen sie wissen, wie Erinnerungen in biologischen Gehirnen gespeichert werden. Aber von Mary Shelleys Vision eines künstlich im Labor geschaffenen Geschöpfs sind die Briten nicht weit entfernt.
In die Jahre gekommen?
 
Bild: dpa

Projekte wie diese nähren die Unkenrufer, die seit einigen Jahren beharrlich verkünden: Science Fiction ist tot! Und wenn nicht tot, ist es zumindest überholt. Längst sei die Realität der Wissenschaft spannender und außergewöhnlicher als die etwas angegraute Besatzung von Raumschiff Enterprise (s.o.) und die Fiktionen der großen Genre-Autoren wie Isaac Asimov, Arthur C. Clarke, Stanislaw Lem oder heutzutage Margret Atwood oder Carl Sagan.

Tatsächlich erschwert die unglaubliche Geschwindigkeit, mit der Wissenschaft neue Erkenntnisse und Entdeckungen macht, den SciFi-Autoren immer mehr, einen spannenden Blick in die wissenschaftliche Zukunft zu werfen, geschweige denn, technologische Entwicklungen vorherzusagen.
SciFi - lebendiger denn je
Sind nun die Tage des Science Fiction ob der fantastischen Wissenschaft gezählt? "Sicherlich nicht", widerspricht Martin Tajmar. Ganz im Gegenteil sieht der Wiener Physiker von den Austrian Research Centers (ARC) in Seibersdorf das Genre - ob als Buch, Comic oder im Film - lebendiger denn je. "SciFi ist lediglich eine Frage der Fantasie und des visionären Denkens", so der Leiter des Geschäftsfeldes für Weltraumantriebe und Zukunftsstrategien.

"Letztlich wird Science Fiction so lange überleben, solange es Wissenschaft gibt. Der Stoff, aus dem die SciFi-Geschichten geschrieben werden, ist derselbe, der uns Forscher in unserer Arbeit beschäftigt. Die Faszination, die hinter dem Genre steckt, ist dieselbe, die Wissenschaftler vorantreibt."
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"New Scientist"-Schwerpunkt
In der Novemberausgabe widmete sich der "New Scientist" der Frage: "Is science fiction dying?" Unter dem gleichnamigen Titel ging der Physiker und Wissenschaftsjournalist Marcus Chown - selbst Autor des SciFi-Kinderbuchs "Felicity Frobisher and the Three-Headed Aldebaran Dust Devil" (Faber&Faber, 2008) - der Frage nach, ob Science Fiction dem Untergang geweiht ist. Ebenda bezogen sechs der führenden Genre-Autoren Stellung zum Status Quo ihrer Disziplin.
->   Is science fiction dying?
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Kind der SciFi-Generation
Martin Tajmar weiß, wovon er spricht. Der Physiker ist selbst Kind der SciFi-Generation der 80iger Jahre. "Ich bin mit der Kultserie 'Raumschiff Enterprise' groß geworden", so der Wissenschaftler. "Und seit 'Zurück in die Zukunft' wusste ich, dass ich später einmal Physiker werden will.

SciFi hat definitiv meine Studienwahl beeinflusst und inspiriert mich bis heute in meiner Arbeit." Tajmar entwickelt unter anderem hocheffiziente Antriebssysteme für den Weltraum, die weltweit als Landungskompensatoren in Satellitensystemen eingesetzt werden.
Blaupause für Raumschiff Enterprise?
Furore macht der Physiker seit einiger Zeit auch mit seinen Experimenten zur Simulation einer Raumzeit-Verdrillung unter Laborbedingungen. Klassisch wäre so etwas nur mit Hilfe eines Neutronensterns möglich. Wenn sich die experimentellen Daten weiter bestätigen, könnte das der Startschuss für SciFi-Technologien wie den Warp-Antrieb oder den Traktorstrahl des Raumschiffs Enterprise sein.

Tajmars Forschung wäre die Blaupause für SciFi-Raumschiffe von heute. Tajmar: "Jules Verne meinte einmal: 'Alles, was ich mir ausdenken kann, muss auch möglich sein.' Das ist auch die Vision für meine Arbeit - und das ist auch der Motor des SciFi."
Spielraum für Technovisionen
Auch für Helga Nowotny ist das Überleben des Science Fiction gesichert, wenn auch die Bedingungen für das Genre schwieriger geworden sind.

"SciFi hat verschiedene Funktionen", erläutert die Wiener Wissenschaftsforscherin. "Eine davon ist die Unterhaltung, für die es nach wie vor genügend Stoff gibt. Eine andere ist die Vorwegnahme zukünftiger wissenschaftlich-technischer Entwicklungen. Hier wird es tatsächlich etwas enger und uninteressanter. Doch es bleibt noch immer Spielraum für neue Technovisionen."

Die dritte Funktion sei die wichtigste und gleichzeitig die anspruchsvollste. "SciFi problematisiert zukünftiges, durch wissenschaftlich-technische Eingriffe verändertes Menschsein, stellt Warnungen auf und unterläuft diese Zukunftsbilder satirisch und subversiv", so die Vizepräsidentin des Europäischen Forschungsrates.
SciFi thematisiert Ängste
Marcus Chown fasst diesen Gedanken in seinem Status Quo-Bericht zum Genre im New Scientist noch weiter. Für ihn ist Science Fiction die Literatur der Veränderung.

"Sci-Fi thematisiert sehr häufig die Probleme und Ängste unserer Gegenwart - paradoxerweise geht es dabei öfter um das Hier und Jetzt und nicht um unsere Zukunft", so der Physiker und Wissenschaftsjournalist.

"Im Raum stehen vielmehr die Fragen, wohin uns die wissenschaftlichen und technologischen Trends führen werden. Letztlich geht es weniger darum, was die Wissenschaft und Forschung für die Zukunft bringt, sondern vielmehr darum, wie der Mensch mit den Chancen und Möglichkeiten derselben umzugehen weiß."
Klimawandel statt Kalter Krieg
 
Bild: dpa

Bestes Beispiel: Der Klimawandel ist das gesellschaftliche Schreckgespenst der Gegenwart. Kein Wunder also, dass die Neuinterpretation des 50iger-Jahre SciFi-Filmklassikers "Der Tag, an dem die Welt stillstand" - der Stoff beruht auf der Science Fiction-Erzählung "Farewell to the Master" des US-amerikanischen Autors Harry Bates - nicht mehr die Nutzung der Atomkraft für Kernwaffen, das gesellschaftsrelevante Thema des Kalten Krieges, zum Inhalt hat, sondern die Zerstörung der Erde durch die rasch voranschreitende, vom Menschen maßgeblich mitverschuldete Umweltverschmutzung.
Zukunft rückt näher
Science Fiction befindet sich selbst im Wandel, denn die Zukunft rückt immer näher: Umweltkatastrophen sind eine Tatsache des 21. Jahrhunderts. Gentechnik ist keine wissenschaftliche Phantasie mehr, sondern viel mehr eine Frage gesetzlicher Rahmenbedingungen. Klonen ist eigentlich seit dem Schaf Dolly längst überholt, heute steht der Mensch als Versuchkaninchen zur Debatte.
Einzug in Mainstream-Literatur
"Im anspruchsvollsten Sinn ist Science Fiction sehr wohl nach wie vor ein spannendes Genre für die Belletristik", so Nowotny. "Michel Houllebecqs 'Die Möglichkeit einer Insel' oder das Gegenstück, Kazuo Ichiguro´s 'Alles, was wir geben mussten' widmen sich auf sehr unterschiedliche Weise dem Thema des menschlichen Klonens."

Beide Autoren gelten nicht dezitiert als SciFi-Autoren, machen allerdings eine Entwicklung sichtbar: Science Fiction verliert als Genre seine Grenzen, findet immer mehr Einzug in die Mainstream-Literatur.
Biotechnologisch basteln
Auch SciFi-Autoren wie beispielsweise Philip K. Dick - er lieferte die Stoff-Vorlagen für Blockbuster wie Blade Runner, Total Recall, Minorty Report oder Paycheck - beweisen eindrucksvoll: Die Themen für gute SciFi-Geschichten gehen nicht aus. "Wir stehen erst am Anfang dessen, wie in Zukunft 'Leben' gemacht werden wird", so die Wissenschaftsforscherin.

"Wenn Freeman Dyson, der bekannte Physiker, ernsthaft vorschlägt, man möge doch für Kinder Spielzeuge herstellen, mit denen sie ihre Haustiere biotechnologisch selbst basteln können, so zeigt das, wie viel Stoff für spannende, aber auch beunruhigende Geschichten noch auf uns wartet."

Eva-Maria Gruber, science.ORF.at, 29.12.08
->   Martin Tajmar
->   Helga Nowotny
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01.01.2010