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Nanoröhrchen als "Bypass" für das Gehirn  
  Seit der Entdeckung der Kohlenstoffnanoröhrchen Anfang der 1990er Jahre wurden bereits zahlreiche Anwendungen der winzigen leitfähigen Gebilde entwickelt, von elektronischen Bauteilen bis zu neuartigen Kunststoffen. In letzter Zeit sind sie allerdings ins Kreuzfeuer der Kritik geraten und stehen in Verdacht ähnlich krebserregend wie Asbest zu sein. Eine neue Anwendung könnte nun ihren Ruf wiederherstellen: Einer aktuellen Studie zufolge könnten die kleinen Röhrchen nämlich fehlerhafte Verbindungen zwischen Nervenzellen wiederherstellen.  
Sie sind demnach nicht nur imstande, mit den Nervenenden der Zelle "zusammenzuwachsen", sondern auch elektrische Signale zu empfangen und weiterzuleiten. Das macht sie laut den Forschern zu einem vielversprechenden Material für Neuroprothesen.
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Die Studie "Carbon nanotubes might improve neuronal performance by favouring electrical shortcuts" ist in der aktuellen Ausgabe von "Nature Nanotechnology" (21. Dezember 2008, DOI: 10.1038/nnano.2008.374) erschienen.
->   Zur Studie
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Vielversprechend für biologische Anwendungen
Kohlenstoffnanoröhrchen haben den Forschern zufolge einige außerordentliche chemische und physikalische Eigenschaften. Unter anderem seien sie ähnlich wie Neuronen elektrisch sehr leitfähig. Darüberhinaus besitzen sie eine verzweigte Struktur, weshalb sie mit neuronalem Zellgewebe sehr enge Verbindungen eingehen können.

Das macht sie zu einem vielversprechenden Material für Gehirnprothesen. Sie könnten in Zukunft Elektroden aus Metall ersetzen, die derzeit zur künstlichen "Verdrahtung" des Gehirns getestet und eingesetzt werden.

Versuche, Nanoröhrchen für derartige biologische Anwendungen zu entwickeln, gibt es schon seit einiger Zeit. Dabei wurde festgestellt, dass sie zumindest in gezüchteten Zellkulturen elektrische Signale erhalten und weiterleiten können. Wie sie allerdings die Zellfunktionen konkret beeinflussen, war bisher noch unklar.
Nervenverbindung in vitro nachgebildet
Für die Autoren der aktuellen Studie rund um Michel Giugliano von der École Polytechnique Fédèrale de Lausanne und Laura Ballerini von der Università degli Studi di Trieste stellten sich in diesem Zusammenhang drei Probleme: wie man stabile Verbindungen zwischen den künstlichen Bauteilen und dem Hirngewebe erzeugt, wie man die Neuronen gezielt stimuliert und welche Signale der Zelle die Nanoröhrchen verarbeiten und dann gezielt weiterleiten.

Für die Beantwortung dieser Fragen hat das Team nun die Verbindung zwischen Nanoröhrchen und Nervenzelle mit Hilfe spezieller elektrophysiologischer Techniken im Reagenzglas nachgebildet. Das Verhalten wurde dann mit Elektronenmikroskopie genau untersucht.

Zudem haben die Forscher ein Interaktionsmodell zwischen Nanoröhrchen und Nervenzellen aufgestellt, das eine erste Grundlage für eine gezielte Verwendung in der Medizin sein soll.
Nanoröhrchen erhöhen neuronale Reaktionsfreudigkeit
Die Studie konnte laut den Wissenschaftlern zeigen, dass Nanoröhrchen die Reaktionsfreudigkeit von Neuronen erhöhen, indem sie sehr enge Verbindungen mit den neuronalen Zellmembranen eingehen.

Durch diese Eigenschaft sei es möglich, Abkürzungen zwischen Ein- und Ausgangssignalen der Nervenzellen zu erzeugen. So könnten die Nanoröhrchen die Grundlage eines "elektrischen Bypass"-Systems bilden, das Verbindungen in durch Verletzungen geschädigten Gehirnregionen wiederherstellt.

Die Kohlenstoffnanoröhrchen könnten laut den Forschern in Zukunft auch die metallischen Teile, die heute zur Gehirnstimulation bei Morbus Parkinson oder Depressionen zum Einsatz kommen, ersetzen. Ganz generell habe man damit eine völlig neue Klasse von "intelligenten" Materialien für neuronale Prothesen. Negative gesundheitliche Auswirkungen auf die Nervenzellen schließen die Forscher dabei aus.

Eva Obermüller, science.ORF.at, 22.12.08
->   Kohlenstoffnanoröhren (Wikipedia)
->   Laboratory of Neural Microcircuitry
->   Università degli Studi di Trieste
Mehr zum Thema in science.ORF.at:
->   Krebsgefahr: Nanoröhrchen wie Asbest (20.5.08)
->   Archiv zum Thema Nanotechnologie
 
 
 
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01.01.2010