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Bilanz des Internationalen Jahres der Sprachen  
  Internationale Jahre, Tage und Wochen sind ein Mittel der Vereinten Nationen, auf bestimmte gesellschaftliche, soziale, kulturelle Probleme aufmerksam zu machen. Das Jahr 2008 wurde zum Internationalen Jahr der Sprachen (IJS) erklärt. Die Mitgliedstaaten waren aufgerufen, den Erhalt und den Schutz aller gesprochenen Sprachen der Welt zu fördern. Der Wiener Sprachwissenschaftler Rudolf de Cillia zieht Bilanz.  
Der Sinn von Themenjahren
Von Rudolf de Cillia

Vor ein paar Monaten habe ich skeptisch zum Umgang mit Mehrsprachigkeit in unserer Gesellschaft Stellung bezogen. Nun möchte ich versuchen, der Frage nachzugehen, ob derlei bestimmten Themen gewidmete Jahre sichtbare Auswirkungen haben. Wie werden solche Schwerpunktjahre in der Öffentlichkeit eigentlich wahrgenommen?
->   Mehrsprachigkeit braucht Neuorientierung
Selektive Wahrnehmung
Das Jahr 2008 war auch das Internationale Jahr des Planeten Erde, das Jahr der "sanitären Grundversorgung", ein in Ländern der südlichen Hemisphäre äußerst wichtiges Anliegen, oder das Jahr der Kartoffel, das vielleicht deshalb hierzulande nicht wahrgenommen wurde, weil es aus österreichischer Sicht das Jahr der Kartoffel/ Erdäpfel hätte sein müssen - zumindest wenn man sich auf das so genannte Protokoll Nr. 10 beruft, das 23 typisch österreichsche Ausdrücke aus dem Lebensmittelbereich den bundesdeutschen gleichstellt.

Ernsthafter argumentiert: unter dem Aspekt der Nahrungssicherheit und Armutsbeseitigung war das zweifellos ein sehr wichtiger Schwerpunkt, den ich allerdings nicht registriert habe. Ich hatte nur das Jahr des Planeten Erde wahrgenommen, und natürlich in selektiver beruflicher Wahrnehmung das Jahr der Sprachen, das gleichzeitig auch das Europäische Jahr des Interkulturellen Dialogs EJID war.
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Schwerpunkt: "Sprechen Sie Wissenschaft?"
"Sprechen Sie Wissenschaft? Wissenschaftssprache im öffentlichen Dialog" hieß eine Initiative von BMWF und Ö1 Wissenschaft. Forscher und Forscherinnen verschiedener Disziplinen reflektierten dabei in science.ORF.at in Gastbeiträgen und Interviews über den wissenschaftlichen Sprachgebrauch und den Bedarf an Wissenschaftskommunikation.
->   Initiative
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Zahlreiche Maßnahmen
Was die letzten beiden Schwerpunkte betrifft, wurden in Österreich in der Tat eine Reihe von Maßnahmen gesetzt, die noch ergänzt wurden durch einen vom Europarat unterstützten Prozess, die Erstellung eines "Language Education Policy Profiles", und die alle insgesamt sicher geeignet waren, das Motto des internationalen Jahrs der Sprachen "Languages matter"- "Sprachen sind wichtig" umzusetzen.

So fand vom 13.-15.Juni 2008 die von der UNESCO-Kommission, bmukk, bmbwk, und burgenländischer Landesregierung initiierte Internationale Konferenz "Lebensweltliche Mehrsprachigkeit - Everyday Multilingualism" in Eisenstadt statt, auf der 120 Experten verschiedenster Fachrichtungen aus 15 Ländern Herausforderungen und Chancen der Mehrsprachigkeit im Alltag diskutierten - bei einer Abschlussveranstaltung des IJS am 9.12. in der Nationalbibliothek wurde bereits der gedruckte Tagungsband der Öffentlichkeit präsentiert.
->   Internationales Jahr der Sprachen 2008
Förderung des Interkulturellen Dialogs
Das Europäische Jahr des interkulturellen Dialogs (EJID) wurde von der EU ausgerufen, weil die Förderung des Interkulturellen Dialogs und die Entwicklung interkultureller Kompetenzen für den sozialen Zusammenhalt in einer Welt, in der Migration und Mobilität eine zentrale Rolle spielen, zunehmend an Bedeutung gewinnen, sowohl innerhalb Europas als auch in der Gestaltung der Beziehungen mit anderen Regionen der Welt. Und dabei kommt den Sprachen eben eine zentrale Rolle zu.

Hier wurde eine Fülle von Aktivitäten durchgeführt, koordiniert vom bmukk und geplant von einem Nationalkomitee zur Planung und Umsetzung des EJID bestehend aus 34 Partnerinstitutionen aus den Bereichen Bildung, Kultur und Jugend, Sozialpartnerschaft, Zivilgesellschaft und Medien
->   Programm zum EJID (bmukk)
Zukunftsperspektiven wurden ausgearbeitet
Einen markanten Akzent setzte die vom bmukk veranstaltete Tagung "Probebühne Zukunft: Schule und interkultureller Dialog (28.-31.10)", auf der Gäste aus den Bildungsressorts aller EU-Staaten mit dem Arbeitsfeld interkulturelles Lernen sowie Multiplikatoren aus dem Schulbereich, Vertreter von Sozialpartnerschaft und NGOs aus Österreich Empfehlungen für interkulturelle Bildung im Schulbereich ausarbeiteten.

Sowohl im Kontext des Jahres der Sprache als auch des EJID positionierte sich eine internationale Konferenz in Klagenfurt: "Mehrsprachigkeit, Transkulturalität und Bildung. Regionalentwicklung des Alpen-Adria-Raums in globaler Perspektive".
Sprachunterrichtsprofile wurden erstellt
Die Sprachenpolitik in Bildungsinstitutionen betreffend fand schließlich bei einer Veranstaltung am 4. und 5. 12. ein zweieinhalbjähriger Prozess seinen Abschluss, die Entwicklung des Language Education Policy Profiles Österreich. Es handelt sich dabei um einen vom Europarat unterstützten Reflexionsprozess zur (Schul)Sprachenpolitik des beantragenden Landes. Das Ziel war es eine Selbst-Evaluation in Zusammenarbeit mit Experten des Europarats durchzuführen.

Ein erster Schritt dabei ist das Verfassen eines Länderberichts, der für Österreich 2006/2007 erstellt wurde. Das Endprodukt ist ein Sprach- und Sprachunterrichtsprofil (Language Education Policy Profil, das einerseits eine Bestandsaufnahme darstellt und Empfehlungen für die zukünftige Entwicklung in der Sprachenpolitik enthält.

Ausgehend von diesem im Herbst 2008 fertig gestellten österreichischen Profil wurde auf der Grazer Tagung "Unsere Gesellschaft ist mehrsprachig - unsere Bildung auch? Maßnahmen für ein Gesamtkonzept sprachlicher Bildung in Österreich" von über 200 Experten ein Maßnahmenkatalog entwickelt, der den beteiligten Ministerien bmukk und bmbwk vorgelegt wird und zu einer Verbesserung der Mehrsprachigkeitspolitik in Österreich führen soll.
->   Bericht für Österreich 2006/07
Europäische Initiativen
Natürlich gab es auch auf Europäischer Ebene eine Reihe von Initiativen in diesem Jahr der Sprachen, von denen die "Etats Géneraux du Multilinguisme" erwähnt werden sollen, die im Kontext der Französischen EU-Präsidentschaft am Tag der Sprachen (26.9.2008) an der Pariser Sorbonne stattfanden.

In deren Rahmen präsentierten eine Gruppe von Europäischen Intellektuellen (u.a. Umberto Eco, Etienne Balibar, Jürgen Trabant) einen "Aufruf für eine europäische Übersetzungspolitik", in dem die zentrale Rolle der Übersetzung für den Erhalt der Europäischen Mehrsprachigkeit betont wird.
->   "Aufruf für eine europäische Übersetzungspolitik" (pdf-Datei)
Mediale Unterstützung
In den österreichischen Medien wurde der Sprachenschwerpunkt v.a. vom ORF unterstützt. Ob das Internationale Jahr der Sprachen und das EJID tatsächlich zur Schaffung einer sprachenfreundlichen Umwelt in Österreich beigetragen haben, ob sie nachhaltige Wirkung haben werden, wird sich in den nächsten Jahren zeigen, u. a. daran, ob und wie die auf der Grazer Tagung erarbeiteten Empfehlungen umgesetzt werden, die im Frühjahr über das Österreichische Sprachen Kompetenz Zentrum ÖSZ, das die Aktivitäten zum LEPP koordiniert und die Tagung organisiert hat, in einer Publikation der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

[29.12.08]
->   Österreichische Sprachen Kompetenz Zentrum (ÖSZ)
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Über den Autor
Rudolf de Cillia ist Professor am Institut für Sprachwissenschaft der Universität Wien. Seine Arbeitsschwerpunkte sind unter anderem die europäische Sprachenpolitik, Geschichte, Situation und Innovation des Fremdsprachenunterrichts in Österreich sowie deutschsprachigen Ländern, Spracherwerb in der Migration.
->   Rudolf de Cillia, Uni Wien
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->   Alle Beiträge der Serie "Sprechen Sie Wissenschaft?"
 
 
 
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01.01.2010