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Mexiko: Tequila-Boom endet mit Kater  
  Champagner, Parmesan und Tequila haben zwei Dinge gemeinsam: Sie werden von vielen geschätzt und sie stammen aus einer ganz bestimmten Region. Derartige herkunftsbezogene Waren gelten als hochwertig und konkurrenzlos. Dass sich diese positiven Eigenschaften auch negativ auswirken können, haben nun zwei US-Forscherinnen anhand des mexikanischen Nationalgetränks gezeigt. Der Konsum von Tequila hat zwar in den vergangenen 15 Jahren geboomt. Profitiert haben davon aber in erster Linie die multinationalen Getränkeunternehmen.  
Die kleinen Landwirte leiden nach wie vor unter stark schwankenden Weltmarktpreisen und der Anbau ist nicht nachhaltig geworden, wie die Anthropologin Sarah Bowen von der North Carolina State University und die Ökonomin Ana Valenzuela Zapata von der Universität Guadalajara berichten.
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Die Studie "Geographical indications, terroir, and socioeconomic and ecological sustainability: The case of tequila" ist im "Journal of Rural Studies" erschienen.
->   Die Studie
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Theoretisch viele positive Konsequenzen
Es ist eigentlich eine gute Sache: Herkunftsbezogene Produkte der Landwirtschaft könnten sich dem Druck des Weltmarkts zu niedrigen Preisen und Homogenisierung widersetzen. Sie sind - abgesehen von illegalen Produktfälschern - keiner direkten Konkurrenz ausgesetzt, ihre Echtheit kann überprüft werden und ihr Herkunftssiegel macht sie buchstäblich einzigartig.

Daraus könnten sich positive Auswirkungen für Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft der jeweiligen Region ergeben: höhere Preise, weniger intensive und kapitalintensive Landwirtschaft sowie bessere Löhne. Das ist es auch, was eine wachsende Schar von Produzenten hofft, deren Waren Zeichen von "Geographical Indication" (GI) tragen. GI ist der englische Oberbegriff für herkunftsbezogene Marken und Produkte.

Weinliebhabern sind etwa die Gütesiegel DOC (Italien), AOC (Frankreich) und DAC (Österreich) bekannt.
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Viele herkunftsbezogene Produkte
Die NGO "Origin" ist ein internationales Netzwerk, das Produzenten von herkunftsbezogenen Produkten vereint. Ihre prominenten Mitglieder: u.a. Zigarren aus Havanna, Schaumwein aus der Champagne, Hartkäse aus Parmigiano, Uhren aus der Schweiz - und auch Tequila aus Mexiko.
->   Origin (Organisation for an International Geographical Indications Network)
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Herz der Agave wurde um 2000 knapp
Bild: Sarah Bowen
Beim "Entkernen" einer Agave
Ob sich herkunftsbezogene Produkte tatsächlich positiv auswirken, haben nun Sarah Bowen und Ana Valenzuela Zapata anhand von Tequila untersucht. Zum einen durch Recherche ökonomischer und anderer Literatur, zum anderen durch Interviews mit Betroffenen des Ortes Amatitan, vierzig Kilometer von der Stadt Guadalajara entfernt.

Das mexikanische Nationalgetränk wird vermutlich bereits seit Mitte des 16. Jahrhunderts aus den Kernen der blauen Agave (Agave tequilana Weber) gewonnen. Da die Pflanze sechs bis zehn Jahre braucht um zu reifen, hat es immer wieder starke Schwankungen von Tequila-Angebot und Nachfrage gegeben.

Zwar hat sich die Produktion zwischen 1995 und 2005 - auf 210 Millionen Liter - Tequila verdoppelt, speziell zur Jahrtausendwende gab es aber eine regelrechte Agavenknappheit.
Weniger Kleinbauereigentum, intensiverer Landbau
 
Bild: Sarah Bowen

Ein Agavenfeld in Mexiko

Daraufhin gab es zwei Reaktionen, wie die Forscherinnen schreiben: Zum einen wurde nun auch an Stellen innerhalb der GI-Region gepflanzt, wo das zuvor nicht der Fall war; zum anderen haben die großen Tequilabetriebe immer mehr Grund und Boden von den Bauern aufgekauft, um direkt Zugriff auf die Ressourcen zu haben. Vier große Firmen kontrollieren mittlerweile zwei Drittel des gesamten Marktes.

Auf diese Weise wurden traditionelle Methoden der Bewirtschaftung vernachlässigt: Anstatt die Agavepflanzen wie früher zur Schädlingsbekämpfung händisch zurechtzustutzen, wurden nun weit mehr chemische Mittel eingesetzt. Dennoch oder gerade deswegen hat sich die Anzahl von Schädlingen und Krankheiten vermehrt, auch die Bodenerosion hat zugenommen, berichten die Forscherinnen.

In ihren Interviews kam auch zum Ausdruck, wie stark die in der Produktion Beschäftigten unter den stark schwankenden Weltmarktpreisen von Tequila - und damit ihrem eigenen Einkommen - leiden.
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27.000 Mexikaner leben von Tequila
Zurzeit gibt es in Mexiko rund 12.000 Agavebauern und über 15.000 andere in der Tequilaproduktion Beschäftigte. Das GI-Gebiet ist mit über elf Millionen Hektar sehr groß und erstreckt sich über fünf mexikanische Bundesstaaten. Nach dem Gesetz muss der echte, hundertprozentige Tequila inklusive Abfüllung zur Gänze in diesem Gebiet produziert werden.
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Nachhaltigkeit muss her
"Viele der Entwicklungen marginalisieren die unabhängigen Bauern und Arbeiter. Sie untergraben das soziale Fundament der Region, das auf Agaven und Tequila beruht", fasst es Sarah Bowen zusammen. Das Etikett "GI" hat dabei entgegen den Absichten wenig geholfen.

Für die beiden Forscherinnen ist klar: Sich nur ein Mäntelchen umzuhängen alleine reicht nicht - für wirtschaftliche, ökologische und soziale Fortschritte müsse auch nachhaltig produziert werden. Deshalb schlagen sie vor, die Prinzipien der Nachhaltigkeit in die gesetzlichen Bestimmungen der verschiedenen "GI" aufzunehmen.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 13.1.09
->   Geographical Indication (Wikipedia)
->   Ana Valenzuela Zapata (Nature Network)
->   Department of Sociology and Anthropology, North Carolina State University
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Aus Tequila Diamanten machen
 
 
 
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01.01.2010