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'Mobbing': Erste Rektorin Österreichs zurückgetreten  
  Erst vor knapp einem Jahr wurde Ingela Bruner an der Universität für Bodenkultur in Wien als erste Rektorin Österreichs ins Amt eingeführt. Nun ist sie zurückgetreten.  
"Wegen unüberbrückbarer, unterschiedlicher Auffassung mit dem Vorsitzenden des Senats bezüglich der Führung der Universität und der strategischen Ausrichtung der Boku" hat Bruner am Sonntagnachmittag den Universitätsrat um die einvernehmliche Auflösung ihres Vertrags gebeten.
"Spannungen zwischen Rektorat und Senat"
Bei einer Pressekonferenz am Montag in Wien sprach sie nicht nur von "Spannungen zwischen Rektorat und Senat", sondern auch von "Mobbing" im Zusammenhang mit ihrer Krebserkrankung sowie von "massiven Versuchen, mich einzuschüchtern".

Noch für heute Montagnachmittag ist eine Sitzung des Senats der Boku anberaumt. Morgen, Dienstag, tagt der Uni-Rat. Bruner rechnet damit, dass am Dienstagabend Klarheit herrscht. Es sei aber im Bereich des Möglichen, dass sie aus dieser Situation gestärkt hervorgehe.

Die ehemalige Vizepräsidentin der Donau-Uni Krems und Ex-OMV-Forschungsleiterin Ingela Bruner (56) ist im Juli 2007 an der Boku als erste Frau zur Rektorin einer staatlichen Universität gewählt worden. Sie trat ihr Amt am 1. Oktober an und folgte in dieser Funktion auf Hubert Dürrstein, der vom Senat nicht mehr nominiert worden war.
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Uni-Rat: Arbeitsverhältnis endet Dienstagabend
Der Universitätsrat der Boku kommt der Bitte von Rektorin Bruner nach Auflösung ihres Vertrags nach: "Es besteht kein Zweifel, das Arbeitsverhältnis wird mit Dienstagabend beendet", erklärte der Vorsitzende des Uni-Rats, Werner Biffl, am Montag. Es sei mit Bruner bereits vereinbart worden, dass sie am Mittwoch in einem symbolischen Akt die Schlüssel der Universität zurückgebe.
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Mobbing im Zusammenhang mit Krebserkrankung
Im Zusammenhang mit ihrer im Frühjahr vergangenen Jahres diagnostizierten Krebserkrankung sah sich Ingela Bruner "stellvertretend für nicht genehme Entscheidungen zunehmend Mobbing ausgesetzt, gezielt, leise, wie eine wahre ansteckende Krankheit. Zuletzt wurde ich unmissverständlich gebeten, mein Amt krankheitsbedingt zurückzulegen", sagte sie, ohne näher auf anonyme Vorwürfe, die in den vergangenen Wochen an der Boku kursierten, einzugehen.
Viele Tabubrüche
Dass sie eine Frau ist, spielte nach Ansicht Bruners keine Rolle bei den Spannungen. "Was sehr wohl mitspielt, ist sicher die Persönlichkeit". Zudem habe es mit ihrer Bestellung viele weitere "Tabubrüche" gegeben: Sie war nicht nur die erste Frau an der Spitze einer Universität, sie kam zudem nicht von der Universität für Bodenkultur (Boku), ja nicht einmal von einem an der Boku vertretenen Fach, sie war nicht habilitiert. "Vielleicht gab es da mental noch Reservationen", sagte Bruner.
Konflikt mit Senatsvorsitzendem
Für Bruner funktionierte die Zusammenarbeit zwischen Rektorat und Senat im Bereich der Lehre "perfekt", weil hier die Verantwortungen im Universitätsgesetz (UG) klar definiert seien. Dagegen wirft die Rektorin dem Senatsvorsitzenden (Gerd Sammer, Anm.) vor, "Rechte zu reklamieren, die nicht im UG verankert sind, unentwegt in fast allen Fragen die Akkordierung zu fordern, die sich sodann als zeitraubend und ineffizient erweist".

Weiters würden "Entscheidungen behindert und zu lange dauern", etwa bei auszuschreibenden Professuren, so Bruner. "Die Grundgedanken der Demokratie dürfen nicht missbraucht werden, um Verantwortungen abzuschütteln", forderte sie im Zusammenhang mit der geplanten UG-Novelle "mehr Klarheit" vom Gesetz über die Aufgaben und Verantwortungen der Gremien.
Senat und Uni-Rat: "Amtsenthebung zuvorgekommen"
Senat und Uni-Rat wiesen in einer Stellungnahme Bruners Mobbing-Vorwürfe zurück, ihr Rücktritt stehe "in keinem Zusammenhang mit Mobbing, mit ihrer Krankheit oder einer veränderten Kompetenzlage im Rahmen des Universitätsgesetzes 2002".

Senat und Rektorat hätten "einen hohen Vertrauensvorschuss" in Bruner gesetzt, "leider" habe es aber "nachweisbare Unterlassungen und Fehlentscheidungen der Rektorin" gegeben, die so schwerwiegend seien, dass sich beide Organe "in diesen Tagen eindeutig festgelegt haben, der Rektorin das Vertrauen zu entziehen".

"Frau Bruner ist gut beraten gewesen, einer unmittelbar bevorstehenden Amtsenthebung zuvorzukommen". Interimistisch wird Vizerektor Martin Gerzabek ab Mittwoch die Leitung der Boku übernehmen.
Minister Hahn bedauert
Wissenschaftsminister Johannes Hahn (ÖVP) bezeichnete die Entwicklung an der Boku "bedauerlich", er hofft, dass "die Verdienste Bruners, die 'gläsernen Decken' für Frauen im Hochschulbereich durchstoßen zu haben, nachhaltige Wirkung haben".

[science.ORF.at/APA, 19.1.09]
->   Boku
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01.01.2010