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Gesichtsausdruck beeinflusst Sprachwahrnehmung  
  Nicht nur unsere Ohren und die anschließende neuronale Verarbeitung bestimmen, wie wir Sprache wahrnehmen. Eine neue Studie zeigt, dass es beim Zuhören auch auf die Spannung der Sprachmuskeln, also unseren Gesichtsausdruck, ankommt.  
Die neuronalen Prozesse, die bei der Sprachmotorik eine Rolle spielen, tun dies auch bei der Wahrnehmung von Sprache. Damit wird einer alten Theorie der Sprachverarbeitung recht gegeben, erklärt Takayuki Ito von der Universität Yale gegenüber science.ORF.at.
Muskelzucken verändert gehörte Worte
 
Bild: Takayuki Ito

Ito ist der Erstautor einer Studie, die in den aktuellen "Proceedings of the Academy of Sciences" erschienen ist (doi: 10.1073/pnas.0810063106).

Die Forscher haben 75 Versuchspersonen dabei Abwandlungen der ähnlich klingenden, aber unterschiedlich erzeugten englischen Worte head (Kopf) und had (hatte) vorgespielt. Gleichzeitig wurden mit kleinen Plastikblättchen neben den Mundwinkeln durch eine Maschine die Sprachmuskeln der Testpersonen bewegt, und zwar so, wie sich die Muskeln auch beim Sprechen der beiden Wörter bewegen (siehe Bild oben).

Vorgespielt wurden den Testpersonen Mischformen der beiden Worte, die mit einem Computerprogramm erzeugt wurden. Je besser das Wort zu verstehen war, desto eher wurde es auch gehört. Lag der gehörte Laut jedoch zwischen den klar gesprochenen Worten, hörten die Probanden eher jenes Wort, das zu der erzwungenen Muskelbewegung passte.
Auch Hände und Augen können "mithören"
Schon in früheren Studien wurde gezeigt, dass somatosensorische Reize das Hören beeinflussen. Versuchspersonen, die ihre Hand auf ein vibrierendes Rohr legten, nahmen einen Ton leiser war, als ohne den Kontakt zum Rohr (The Journal of the Acoustical Society of America, 2004, Bd. 115, S. 830).

Diese Untersuchung bezog sich jedoch nur auf Geräusche. Die jetzt veröffentlichte Studie zeigt, dass sich körperliche Reize auch auf das Wahrnehmen von Sprache auswirken.

Doch auch das Auge "hört mit": Menschen konnten laut einer anderen Studie einfache Silben nicht mehr klar erkennen, wenn ihnen dazu eine Filmsequenz gezeigt wurde, in der von einer Schauspielerin eine ähnliche aber anders lautende Silbe gesprochen wurde (Nature, 1976, Bd. 264, S. 746).
Unterstützung für eine alte Theorie
Die nun von Ito und seinen Kollegen gefundenen Ergebnisse untermauern die so genannte Motor-Theorie der Sprachwahrnehmung, die Alvin Liberman, der frühere Leiter der Haskins Laboratories, im Jahr 1967 aufgestellt hat (Psychological Review, 1967, Bd. 74, S.431, PDF-Datei und Cognition, 1985, Bd. 21, S. 1, PDF-Datei).

Die Theorie geht davon aus, dass Sprechen und die Wahrnehmung von Sprache von den gleichen Mechanismen im Körper gesteuert werden.

Ihr zufolge ist nicht nur das Hören von Sprache für das Verstehen entscheidend: Menschen sehen auch die Bewegungen der Gesichtsmuskeln ihres Gegenübers und könnten anhand dieser Bewegungen die gesprochenen Worte schon im Gehirn verarbeiten, bevor diese über den akustischen Kanal dort ankommen. Daraus leitet die Theorie ab, dass jene neuronalen Prozesse, die das Sprechen steuern, auch beim Erkennen von Sprache eine Rolle spielen.

Die nun entdeckten Beweise könnten in der Rehabilitation von Sprachgeschädigten eine wichtige Rolle spielen, betont Takayuki Ito per E-Mail gegenüber science.ORF.at.

[science.ORF.at, 20.1.09]
->   Takayuki Ito
->   Alvin Liberman
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01.01.2010