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Ein Display zum Fühlen  
  Jahrelang haben sie im Grenzbereich von Physik und Chemie geforscht, nun ist zwei Dresdner Forschern ein Coup gelungen. Sie haben das erste Display entwickelt, das Oberflächen fühlbar macht.  
Für Millionen Blinde könnte dies schon in wenigen Jahren ganz konkrete Verbesserungen im Alltag bringen. Auch bei Ärzten und Patienten dürfte die Entwicklung auf Interesse stoßen.
Form, Festigkeit und Temperatur veränderlich
Bei dem neuen Plastikmikrochip handle es sich um eine Weltneuheit, sagt Andreas Richter vom Sonderforschungsbereich Reaktive Polymere der Tu Dresden im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AP. "Wir sehen einen Technologiedurchbruch."

Der Prototyp des Bausteins ist nicht viel größer als eine Telefonkarte. Das kleine Feld in der Mitte fühlt sich an wie eine Mischung aus Kunststoff und Samt und ist letztlich ein Display zum Fühlen. Es besteht aus mehr als 4.000 sogenannten Mikro-Aktoren, deren Höhe sich in null Komma nichts nahezu verdoppeln oder wieder schrumpfen lässt.

Obendrein können die Aktoren ihre Festigkeit verändern - von weich, ähnlich wie Menschenhaut, bis zu hart wie eine Kunststofftischplatte. Dafür sorgt ein empfindliches Hydrogel, das auf Temperaturänderung anspricht. Licht und damit Wärme kommt von einem LCD-Feld. Den Rest erledigt eine ausgeklügelte elektronische Schaltung und Ansteuerung.
Anwendung bei Operationen
"Jeder einzelne Baustein kann so fast in Echtzeit seine Größe ändern", sagt Richter. Mit Hilfe des neuen Tast-Displays kann man nach seinen Angaben die Oberflächenstruktur verschiedenster Dinge auch dann im wahrsten Wortsinn mit den Händen greifen, wenn diese eigentlich gar nicht erreichbar sind. Die Entwicklung wurde bereits patentrechtlich geschützt.

Eine mögliche Anwendung für das sogenannte taktile Display sehen Richter und sein Forscherkollege Georgi Paschew in Krankenhäusern: Bereits jetzt gibt es endoskopische Operationen, bei denen der Arzt an einem 3 D-Display sitzt und mit einer Art Joystick das Skalpell bedient. Um die OP-Werkzeuge und die Mini-Kamera ins Körperinnere zu bringen, sind nur kleine Schnitte nötig. Der Patient ist so meist schneller wieder auf den Beinen, weil die Narben anders als bei gängigen Operationen kleiner sind und schneller verheilen.

"Der Chirurg kann allerdings bei solchen Eingriffen das Gewebe, beispielsweise ein Geschwulst, nicht mehr mit den Fingern abtasten, er operiert nach Sicht", sagt Richter.
Fingerspitzengefühl für Astronauten
In der Raum- und Luftfahrt sehen die Wissenschaftler ebenfalls Einsatzmöglichkeiten. Richter verweist darauf, dass Astronauten bislang mit ihren speziellen Handschuhen nicht fühlen könnten, wie sich bestimmte Gegenstände im Raumschiff anfühlen.

Mit einem entsprechenden Modul im Handschuh wäre das Problem elegant gelöst. Damit das Tast-Display eine ins Auge gefasste Körperoberfläche den Fingerkuppen "anzeigt", sind freilich jede Menge Daten nötig, die beispielsweise Sensoren oder spezielle Kameras liefern müssten.

"Bei der Entwicklung selbst sind alle grundsätzlichen Fragen beantwortet", sagt Richter, nun könne die Produktentwicklung starten. Erste Gespräche mit Interessenten gebe es bereits. Geht alles glatt, werden nach seiner Prognose Tast-Displays - auch deutlich größere als der Prototyp - in spätestens fünf Jahren in Serie gefertigt.
Blinde könnten Grafiken lesen
Profitieren könnten am Ende vor allem wohl auch blinde Menschen. Bereits jetzt gibt es die Braille-Zeile, ein spezielles Ausgabegerät für Computer. Damit können Zeichen auf dem Schirm in Braille-Schrift dargestellt und von den Blinden mittels Fingerkuppe gelesen werden. Die elektromechanischen Ausgabegeräte kosten allerdings mehrere tausend Euro.

Die neuartigen Displays könnten die Braille-Schrift wesentlich kostengünstiger anzeigen, wie Richter sagt. Obendrein könnten Blinde mit ihrer Hilfe erstmals auch bislang für sie auf dem Bildschirm nicht sichtbare Grafiken, Fenster und Bilder ertasten.

[science.ORF.at/AP, 21.1.09]
->   Andreas Richter
 
 
 
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01.01.2010