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Gehirnscans können täuschen  
  Beim Denken verbrauchen die aktiven Hirnregionen überdurchschnittlich viel Energie und sind daher stärker durchblutet. Diesen Zusammenhang haben sich bisher unzählige neurologische Studien zunutze gemacht, wenn es darum ging, Denken mittels Gehirnscans bildlich darzustellen. Eine aktuelle US-Studie zeigt nun: Das muss nicht immer stimmen.  
Mitunter können nämlich auch inaktive Gehirnregionen stärker durchblutet sein, wenn sie sich auf ein Ereignis vorbereiten, das aber unter Umständen gar nicht eintritt. Das zeigt ein Experiment mit Affen.
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Die Studie "Anticipatory haemodynamic signal in sensory cortex not predicted by local neuronal activity" von Yevgeniy B. Sirotin und Aniruddha Das ist in der aktuellen Ausgabe von "Nature" (Bd. 457, 22. Jänner 2009, DOI: 10.1038/nature07664) erschienen.
->   Zum Abstract der Studie
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Auf der Suche nach dem Denken
Das Gehirn ist für viele das bei weitem interessanteste Organ. Dort werden Informationen verarbeitet, Entscheidungen getroffen und unser Verhalten gesteuert.

Seit der Existenz bildgebender Verfahren versuchen neurologische Studien, es sprichwörtlich zu durchleuchten. Mit Hilfe der funktionalen Magnetresonanztomographie (fMRI) will man ablesen, wo gelogen wird, wo gehasst, gefürchtet oder geliebt wird, um nur einige Beispiele zu nennen.
Großer Energiebedarf
Eigentlich macht das Gehirn nur etwa zwei Prozent der menschlichen Körpermasse aus. Sein Bedarf an Energie ist allerdings deutlich höher. Immerhin 15 Prozent des Blutes, das vom Herz in den Kreislauf gepumpt wird, fließen Richtung Gehirn. Dort versorgt es jene Regionen, die es gerade brauchen. Auf diesem Weg werden Nährstoffe geliefert und Abfallprodukte entsorgt.

Der Blutfluss ist also zuständig für eine optimale Versorgung und Verteilung der Nährstoffe. Und das ist im Gehirn oft gar nicht ganz einfach, wie der Neurophysiologe David A. Leopold ebenfalls in "Nature" schreibt. Demnach durchlaufen Neuronen oft einen plötzlichen Aktivitätsausbruch, der sehr energieraubend ist.

Wenn wir etwa unsere Aufmerksamkeit auf einen visuellen Reiz richten, fangen augenblicklich tausende vorher inaktive Neuronen zu feuern an. Frisches Blut wird benötigt.
Wo Blut fließt, wird gearbeitet
Bildgebende Verfahren wie die fMRI messen in der Regel genau diesen Blutfluss und nicht die "echte" neurologische Aktivität - den Strom, der fließt. Die Annahme hinter den Aufnahmen: Nur dort, wo Blut fließt, wird auch gearbeitet.

Das heißt, man geht von einem direkten Zusammenhang der beiden Aktivitäten aus. Daraus lassen sich dann Aussagen über die Funktionalität bestimmter Regionen ableiten.
Messung von Blutstrom und Elektrizität
Für ihre aktuelle Studie haben Yevgeniy B. Sirotin und Aniruddha Das vom Department of Neuroscience der Columbia University nun den Blutfluss und die Gehirnaktivität von Affen gemessen und verglichen. Die Durchblutung wurde mit einer speziellen Videokamera gefilmt, die elektrischen Signale mit Mikroelektroden.

Indessen mussten die Affen eine Aufgabe lernen, für die sie als Belohnung etwas Saft erhielten: Die Tiere sollten ihre Aufmerksamkeit für mehrere Sekunden auf einen kleinen Punkt auf einem Bildschirm richten. Erwartungsgemäß kam es zur Aktivierung von Regionen des visuellen Cortex, einerseits war die Durchblutung erhöht und andererseits elektrische Signale messbar.
Blut und Strom müssen nicht gleichzeitig fließen
Eine kleine Änderung der Versuchsanordnung, bei der die Affen dieselbe Aufgabe in völliger Dunkelheit ausführen mussten, führte allerdings laut den Forschern zu einem völlig überraschenden Ergebnis. Der Blutfluss veränderte sich nämlich kaum, er zeigte denselben Anstieg und Abfall wie im ersten Setting. Das elektrische Signal verebbte hingegen fast völlig, nur ein ganz schwaches Anschwellen war messbar, wenn die Tiere ihre Aufgabe ausführten.

Die Erklärung der Wissenschaftler: Sowohl die Nervenzellen als auch die Blutgefäße würden Signale aus anderen Gehirnregionen erhalten, etwa aus jenen, die die Aufmerksamkeit steuern. Das heißt, die erhöhte Durchblutung könnte von einem Teil des Gehirns ausgehen, der eine bestimmte neurologische Aktivität voraussieht und so die entsprechende Gehirnregion vorbereitet. Das Gehirn der Affen wurde sozusagen auf die visuelle Aufgabe eingestellt.

Um auszuschließen, dass es sich um eine allgemein bessere Blutversorgung des Gehirns - als Folge des generell alarmierten Körperzustands während des Experiments - handelt, führten die Forscher einen Kontrollversuch mit einer auditive Aufgabe durch. Dabei war kein stärkerer Blutdurchfluss im visuellen Cortex messbar. Offenbar hängt die Vorbereitung des Gehirns vom erwarteten Stimulus ab.
Gehirnbilder in Frage gestellt
Das wirklich Interessante an diesem Ergebnis ist laut David Leopold allerdings, dass es eine gängige Grundannahme der Neurowissenschaft hinterfragt, nämlich den direkten und kausalen Zusammenhang zwischen Blutfluss und Gehirnaktivität.

Vor allem Forscher, die menschliche Gehirnaktivitäten mit Hilfe der fMRI untersuchen, könnte das verunsichern. Denn die Abbildung der Durchblutung ist nichts weniger als die Grundlage ihrer Arbeit, daraus leiten sie ihre Aussagen über die Funktionalität des Gehirns ab.

"Auch wenn es nicht bedeutet, dass wir jetzt alle fMRI-Studien in Frage stellen müssen, legt das Ergebnis doch nahe, dass wir mit den Interpretationen vorsichtiger sein müssen, zumindest manche Schlussfolgerungen könnten unrichtig oder unscharf sein", meint Aniruddha Das gegenüber science.ORF.at. "Vor allem beim Design von Studien zu komplexeren Inhalten, wie etwa Religion oder politische Überzeugungen, sollten die Forscher sorgsamer sein."

Eva Obermüller, science.ORF.at, 22.1.09
->   fMRI (Wikipedia)
->   Aniruddha Das
->   David A. Leopold
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   Neurowissenschaft: Kritik an "Voodoo-Methoden" (15.1.09)
->   Wo der Hass im Hirn sitzt (29.10.08)
->   Gehirnscans sollen Verbrecher verraten (21.6.08)
->   Fehler durch Gehirnbeobachtung vorhersagbar (22.4.08)
->   Vom Bild zum Aktivitätsmuster - und umgekehrt? (5.3.08)
->   Gehirn-Scan als Lügendetektor (30.11.04)
 
 
 
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01.01.2010