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Als "Robinson Crusoe" gerettet wurde  
  Vor genau 300 Jahren, am 2. Februar 1709, landete ein Boot auf einer kleinen Insel im Pazifik und beendete die Einsamkeit des schottischen Seefahrers Alexander Selkirk (1676-1721). Die Lebensgeschichte des verwahrlosten Einsiedlers sollte einige Jahre später den Schriftsteller Daniel Defoe (1660-1731) zur Schaffung der Romanfigur "Robinson Crusoe" inspirieren.  
Allerdings nahm Defoe im Vergleich zum historischen Vorbild einige dramaturgische Änderungen vor: Aus den vier Jahren und vier Monaten, die Selkirk auf der Insel verbrachte, wurden etwa bei Defoe 28 Jahre. Und nicht zuletzt stellte er seinem gestrandeten Helden einen Mitbewohner namens "Freitag" zur Seite, den es so nie gegeben hat.
Archäologische Beweise
Bild: D.H. Caldwell / Post-Medieval Archaeology
Bis zum Jahr 2005 war Selkirks Geschichte lediglich durch schriftliche Quellen belegt. In diesem Jahr begann ein Forscherteam um den britischen Archäologen David Caldwell nach archäologischen Spuren von Selkirk zu suchen. Durch Hinweise von Einheimischen fanden die Forscher auf der Insel "Mas a Tierra" Überreste einer Behausung sowie Gegenstände, die Selkirk gehört haben dürften.

Für diese Deutung sprechen jedenfalls einige Indizien, wie Caldwell und seine Kollegen im Fachjournal "Post-Medieval Archaeology" (Bd. 41, S. 270) berichten. Unter den freigelegten Gegenständen befindet sich etwa das Teilstück eines Navigationszirkels aus dem früher 18. Jahrhundert. Am selben Ort fanden die Forscher auch eine Feuerstelle sowie Pfostenlöcher für einen Unterstand (Bild rechts).

Die Konstruktion der Wohnstätte weist laut Caldwell Ähnlichkeiten mit jenen Unterkünften auf, die schottische Bauern vor 300 Jahren auf Viehweiden errichtet haben - gemeinsam mit dem Zirkelstück wohl ein guter Hinweis, dass Selkirk tatsächlich dort gelebt hat.
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"Mas a Tierra" - die "Crusoe-Insel"
Die 96,4 Quadratkilomter große Insel "Mas a Tierra" heißt seit 1970 "Isla Robinsón Crusoe". Sie ist vulkanischen Ursprungs und liegt 667 Kilometer vor der chilenischen Küste. Die etwa 600 Bewohner leben vom Hummerfischen und Tourismus. 1935 wurde sie von der chilenischen Regierung zum Naturschutzgebiet erklärt. Seit 1977 ist sie Biosphärenreservat der UNESCO. 160 Kilometer westlich liegt auch eine nach Alexander Selkirk benannte unbewohnte Insel, die zum gleichen Archipel gehört.
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1704 auf der Insel zurückgelassen
Alexander Selkirk kam 1676 in Lower Largo, Schottland, zur Welt und fiel während seiner Jugend mehrmals durch "ungebührliches" Verhalten auf. Ab 1695 fuhr er zur See, acht Jahre später heuerte er auf dem englischen Kaperschiff St. George an. Dieses sollte vor der Westküste Südamerikas Jagd auf französische und spanische Schiffe machen.

Die Unternehmung hatte allerdings nicht sonderlich viel Erfolg, was zu Streitereien an Bord führte und Selkirk wiederum veranlasste auf das Begleitschiff "Cinque Ports" zu wechseln. Als dessen Mannschaft 1704 auf der Insel "Mas a Tierra" Proviant und Wasser lud, kam es abermals zum Streit. Selkirk meinte, das Schiff sei nicht seetüchtig, der Kapitän der "Cinque Ports" war offensichtlich anderer Meinung.

Sein finales Argument der Auseinandersetzung: Er ließ Selkirk auf der Insel zurück - zu dessen Glück, wie sich herausstellen sollte. Denn die "Cinque" Ports sank wenig später aufgrund ihres schlechten Zustandes, der Großteil der Mannschaft ertrank, der Rest geriet in spanische Gefangenschaft.
Bescheidenes Inselleben
Selkirks Seemannskiste mit einer Bibel, Kleidung, Bettzeug, Axt, Kochtopf und anderen Werkzeugen war für das Überleben von großem Nutzen. Besonders wichtig war in diesem Zusammenhang die Anwesenheit von Ziegen. Sie wurden im Jahr 1574 vom Entdecker der Insel, Juan Fernandez, zurückgelassen. Die ebenfalls von europäischen Seefahrern eingeschleppten Ratten machten ihm allerdings zu schaffen. Diese knabberten nicht nur an seinen Nahrungsvorräten, sondern im Schlaf auch an ihm selbst.

Als 1707 ein Segelschiff am Horizont erschien, glaubte sich Selkirk gerettet. Das Schiff war allerdings von feindlicher spanischer Herkunft, dessen Besatzung bemerkte und verfolgte ihn, Selkirk konnte jedoch aufgrund seiner ausgezeichneten Ortskenntnis entkommen. Bis zur Rettung durch ein britisches Schiff sollten zwei weitere Jahre vergehen.
Heimkehr eines Romanhelden
Im Oktober 1711 erreichte Selkirk als Navigator auf der "Bachelor" wieder seine Heimat - mit beachtlichen 800 Pfund in der Tasche. Davor hatte die Besatzung nämlich noch reichlich "Prisengelder" eingehoben, sprich: Beute auf anderen Schiffen gemacht.

Selkirks Geschichte erregte die Aufmerksamkeit der Menschen. Die Zeitschrift "Englishman" berichtete etwa ausführlich und reißerisch über seine Erlebnisse, später wurde auch Daniel Defoe auf sie aufmerksam. Er entwickelte die Geschichte zu dem Roman "The Life and Strange Surprizing Adventures of Robinson Crusoe", der 1719 erstmals erschien und zu einem Bestseller wurde.

Defoe schmückte die reale Geschichte allerdings mit einigen fantastischen Erlebnissen aus (ein systematischer Vergleich zwischen Alexander Selkirk und seinem literarischen Alter ego findet sich etwa auf der Website www.rcrusoe.org).

Von der Seefahrt sollte Selkirk auch nach seinem entbehrungsreichen Inseldasein nicht loskommen. Er starb am 13. Dezember 1721 an Bord der "Weymouth", vermutlich an Gelbfieber. Vor der afrikanischen Goldküste erhielt er ein Seemannsgrab.

Manfred W.K. Fischer, freier Journalist, 2.2.09
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Literaturtipp
Eine detailreiche Schilderung von Selkirks Leben findet sich in Souhami, Diana: Selkirks Insel. Die wahre Geschichte von Robinson Crusoe. München 2004 (englische Erstauflage 2001).
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->   Robinson Crusoe - Wikipedia
 
 
 
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01.01.2010