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80. Geburtstag des Kunsthistorikers Wieland Schmied
Bekannt mit Bacon, Beckett und Bernhard
 
  Wieland Schmied gilt als renommierter Kunsthistoriker und Kurator international viel beachteter Ausstellungen der Kunst des 20. Jahrhunderts. Außergewöhnlich ist seine persönliche Bekanntschaft mit Künstlern wie Giorgio de Chirico, Francis Bacon, Marcel Duchamp und Schriftstellern wie Ezra Pound, Octavio Paz und Samuel Beckett. Mit Thomas Bernhard und H.C. Artmann war er jahrzehntelang eng befreundet.  
Am Donnerstag, den 5. Februar feiert der Kunstenthusiast seinen 80. Geburtstag.
Biografische Skizze
Bild: APA/Harald Schneider
Wieland Schmied 1996
Der am 5. Februar 1929 in Frankfurt am Main geborene Sohn eines Philosophieprofessors und einer deutsch-baltischen Schriftstellerin verbrachte eine glückliche Kindheit. 1939 übersiedelte er nach Mödling, wo er die Herrschaft der Nationalsozialisten - "das Schreckliche" - erlebte.

Nach der Promotion studierte er in Wien Rechtswissenschaften und Kunstgeschichte. Er arbeitete mit Friedrich Heer als Kunstkritiker in der Zeitschrift "Die Furche" und in den "Neuen Wegen"; dort lernte er Andreas Okopenko und H.C. Artmann kennen, mit dem er sich befreundete und einige Reisen unternahm.

Weitere Stationen seiner beruflichen Tätigkeit waren: Lektor beim Insel Verlag, wo er den Roman "Frost" von Thomas Bernhard unterbrachte; Direktor der Kestner-Gesellschaft in Hannover, wo er Einzelausstellungen von Giorgio de Chirico, Rene Margritte, Max Ernst, Marcel Duchamp, Asger Jorn oder Henri Michaux zeigte, Direktor des Künstlerprogramms des Deutsche Akademischen Austauschdienstes in Berlin, Professor für Kunstgeschichte in der Akademie für Bildende Künste in München und die Tätigkeit in der Salzburger Sommerakademie.
Standardwerk über phantastische Malerei
Neben seinen vielfältigen beruflichen Funktionen, die Schmied ausübte, fand er noch Zeit, zahlreiche Studien über Künstler wie Caspar David Friedrich, Francis Bacon, Giorgio de Chirico und Schriftsteller wie Samuel Beckett, Ezra Pound, H.C. Artmann oder Thomas Bernhard zu verfassen.

Zum Standardwerk avancierte die umfangreiche Studie "Zweihundert Jahre phantastische Malerei", die einen Bogen von Giovanni Battista Piranesi über den Surrealismus bis zu den "Phantastischen Realisten" spannte.
Träume, Visionen, Halluzinationen
Schmied verstand sein Buch als "einen Leitfaden durch das Labyrinth der Phantastik". Besondere Merkmale sind das Traumhafte, das Visionäre, das Absurde, das Halluzinatorische; also jene Phänomene, die Andre Breton als "das Wunderbare" bezeichnete.

Weitere Figurationen des Phantastischen sind William Blakes "Maske der Mystik", Francisco de Goyas "Masken des Traums und des Wahnsinns", die kürzlich in Lausanne und Weimar wieder ausgestellten Radierungen und Aquarelle des französischen Schriftstellers Victor Hugo (Wirbel von feinem Schnee, vom Wind aufgeweht, eine Folge von verschwommenen Geländewellen" - Michel Butor) und der Surrealismus, der den Traum und die Phantasie als "Mittel der Bewusstseinserweiterung und der Daseinserhellung braucht".
Besonderes Verhältnis zu Giorgio de Chirico
Bild: dpa/Roland Scheidemann
"Piazza d'Italia" von Giorgio de Chirico
Besonders fühlte sich Schmied vom Werk des italienischen Malers Giorgio de Chirico angezogen, dem er auch mehrere Bücher widmete. Schmied lernte den als im persönlichen Umgang schwierig geltenden Maler anlässlich einer großen Ausstellung näher kennen, die er als Direktor der Kestner-Gesellschaft 1969 organisiert hatte.

"Ich war der einzige Kunsthistoriker, nicht nur in Deutschland", sagt Schmied im Gespräch mit science.ORF.at im oberösterreichischen Vorchdorf, "den er näher an sich herangelassen hat."

De Chirico gilt als Hauptvertreter der metaphysischen Malerei - der pittura metafisica. Sie zeichnet sich durch eine Infragestellung der Realität aus. In deutscher Sprache konnte Schmied mit dem Künstler über den zentralen Gedanken der metaphysischen Malerei sprechen, der von Friedrich Nietzsche inspiriert war: die Destruktion des Metaphysischen.

Nach dem "Tod Gottes" existieren nur Dingwelten in Form von leeren, weiträumigen Plätzen, die von Statuen, Silhouetten oder Gliederpuppen bevölkert werden.

Schmieds Kommentar dazu: "De Chirico hat aus den Gedanken Nietzsches den richtigen Schluss gezogen, nämlich dass das Geheimnis in den Dingen ist; es liegt in den Konstellationen und nicht dahinter."
Francis Bacon: Der Maler des Fleisches
Eine andere zentrale Künstlerpersönlichkeit des 20. Jahrhunderts, die Schmied persönlich gut kannte, war der englische Maler Francis Bacon, dem er eine eigene Studie widmete.

Bacon, der Maler der Obsession, der Deformation, der die Wirklichkeit als Fleischerladen erscheinen lässt, war für Schmied ein Mensch, der sich in drei verschiedenen Bereichen bewegte.

Das erste Segment bildete der Exzess, die Grenzüberschreitung im Rausch und im Sexuellen. Unabhängig davon war der konzentrierte Arbeitsvorgang des Malens, bei dem niemand dabei sein durfte. Auf der dritten Ebene spielte sich die offizielle Kunstinstitution Bacon ab, an der auch Schmied teilhaben konnte.
Prägende Begegnungen
Im Patchwork seiner autobiographischen Texte finden sich zahlreiche Künstler und Schriftsteller, mit denen Schmied zu tun hatte; die Liste klingt wie ein Auszug aus einem Kunst- und Literaturlexikon des 20. Jahrhunderts: Mit Marcel Duchamp sprach er über die Bedeutung der "Ready mades"; Joseph Beuys unterstützte ihn bei seiner Tätigkeit während der 6. Documenta in Kassel; als Direktor des Deutschen Akademischen Austauschdienstes betreute er rund dreihundert Künstler/innen; darunter auch Samuel Beckett, der die Inszenierung seines Theaterstücks "Endspiel" begleitete.

Schmied war bei den Proben anwesend und konnte beobachten, wie intensiv Beckett seine Regieideen durchsetzte. "Die Person Beckett trat ganz hinter dem Werk zurück", erzählt Schmied, "das Werk war alles, er selbst zählte nicht."
Ein Leben wie ein Kunstwerk
Viele Namen der Schmied'schen "Patchworkfamilie", mit der er verbunden war, fehlen: Ingeborg Bachmann, Paul Celan, Elias Canetti, W.H. Auden, Emile Cioran, Balthus, Georg Baselitz ...

Für Schmied waren die Begegnungen mit den Künstlern und Schriftstellern sowie die ständige, intensive Auseinandersetzung mit ihren Werken ein Beitrag zu der bereits in der antiken Philosophie der Lebenskunst formulierten Empfehlung, sein Leben wie ein gelungenes Kunstwerk zu gestalten.

Ohne ihn persönlich näher zu kennen, hat man nach einem längeren Gespräch den Eindruck, dass der Jubilar den von Epikur gepriesenen Zustand der Ataraxie erreicht hat, jene Seelenruhe, die er "Meeresstille des Gemüts" nannte.

Nikolaus Halmer, Ö1 Wissenschaft, 5.2.09
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Literaturhinweis auf Bücher von Wieland Schmied:
"Lust am Widerspruch. Biografisches", Radius Verlag
"Zweihundert Jahre phantastische Literatur Band 1 / 2, dtv 2859/ 2860 (nur mehr antiquarisch zu erhalten)
"Der Künstler, dem die Welt ein Rätsel blieb. Neunmal Giorgio de Chirico", Bibliothek der Provinz
"Caspar David Friedrich", Prestel Verlag
"Francis Bacon" (in englischer Sprache), Prestel Verlag
H.C.Artmann, Rimbaud Verlag
Erika Schmied/ Wieland Schmied: Thomas Bernhard, Residenz Verlag
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->   Ein Besuch bei Wieland Schmied (ooe.ORF.at)
->   Wieland Schmied (AEIOU)
->   Schmied beim Rimbaud-Verlag
 
 
 
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01.01.2010