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Tumorentwicklung nach Stammzelltherapie  
  Die Therapie mit embryonalen Stammzellen stellt bei manchen Erkrankungen eine letzte Hoffnung dar. Kritiker warnen jedoch: Nachdem sich Stammzellen ganz ähnlich wie Tumorzellen verhalten, könnte damit ein erhöhtes Krebsrisiko verbunden sein. Eine aktuelle Fallstudie zeigt, dass diese Einwände durchaus berechtigt sind.  
Ein Bub mit Louis-Bar-Syndrom, einer seltenen neurologischen Erkrankung, war mit embryonalen Nervenstammzellen behandelt worden. Jahre später war ihm in Gehirn und Rückenmark ein Tumor gewachsen. Laut den Medizinern von der Tel Aviv University ist noch einiges an Forschungsarbeit notwendig, um die vielversprechende Therapieform wirklich sicher zu machen.
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Die Studie "Donor-Derived Brain Tumor Following Neural Stem Cell Transplantation in an Ataxia Telangiectasia" von Ninette Amariglio et al ist im Online-Journal "PLoS Medicine"(Bd. 6, 18. Februar 2009, DOI:10.1371/journal.pmed.1000029) erschienen.
->   Studie
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Vielversprechend, aber gefährlich
Die meisten menschlichen Körperzellen sind hochspezialisiert. So enthalten Gehirn und Rückenmark im Wesentlichen zwei Zelltypen: Neuronen zur Übertragung elektrischer Signale und Glialzellen, welche die Neuronen umgeben und schützen. Werden sie geschädigt oder zerstört, kann der Körper sie in vielen Fällen nicht ersetzen.

Neue Methoden versuchen, dieses Manko durch Stammzellen auszugleichen. So könnten Nervenzellen, die durch Erkrankungen wie etwa Parkinson oder Schlaganfälle verloren gingen, nachwachsen. Stammzellen sind nämlich noch undifferenziert und können sich unendlich oft replizieren.

Auch wenn Stammzellen eine vielsprechende neue Behandlungsmethode darstellen, gibt es immer wieder Diskussionen über deren Sicherheit. Manche Forscher befürchten besonders das unvorhergesehene Wachstum von Tumoren, da sich Tumorzellen ähnlich wie Stammzellen unendlich teilen und nicht ausdifferenziert sind. Zumindest legen dies manche Studien an Ratten nahe.
Therapie führte zu Gewebswucherungen
In ihrer Studie berichten die Mediziner rund um Ninette Amariglio vom Fall eines Jungen mit Louis-Bar-Syndrom, dem 2001 embryonale Nervenstammzellen ins Gehirn und in die Gehirnflüssigkeit injiziert wurden. Die Krankheit ist sehr selten. Dabei kommt es infolge einer Genmutation zur Degeneration von Gehirnregionen, die Bewegungen und Sprache steuern.

Vier Jahre später wurde ein Gehirnscan durchgeführt, da der Patient wiederholt über Kopfschmerzen geklagt hatte. Dabei zeigten sich Wucherungen im Gehirn und im Rückenmark. Dem Buben - er war mittlerweile 14 Jahre alt - wurde das Gewebe entfernt. Danach wuchs der Tumor nur mehr sehr langsam.

Bei der Analyse der entnommenen Proben stießen die Forscher auf eine wilde Zellmixtur: Sie enthielten unter anderem Neuronen und Glialzellen. Insgesamt glich die Wucherung einem sogenannten glioneuronalen Tumor. Außerdem enthielt sie weibliche und männliche Zellen und zwei normale Kopien des beim Louis-Bar-Syndrom mutierten ATM-Gens. Die Forscher stellten auch fest, dass der Tumor Zellen von zumindest zwei verschiedenen Spendern enthielt - also eindeutig aus den injizierten Stammzellen gewachsen war.
Therapie soll sicher werden
Das relativ langsame Wachstum des Tumors und das ausdifferenzierte Aussehen der Zellen deuten darauf, dass der Tumor relativ gutartig war. Außerdem handelt es sich laut den Forschern möglicherweise um eine außerordentlich seltene Nebenwirkung. Louis-Bar-Patienten besitzen nämlich ein sehr schwaches Immunsystem, ein intaktes hätte die Tumorzellen vermutlich abgestoßen.

Dennoch sei dies das erste Mal, dass nachweisbar derartige Komplikationen beim Menschen aufgetreten sind. Das ist laut den Medizinern zwar besorgniserregend. Trotzdem sollte die Forschung an der Stammzelltherapie fortgesetzt werden, bei den Grundlagen und im klinischen Bereich. Denn nur so könnten ihre potenziellen Möglichkeiten genutzt, aber gleichzeitig Risiken minimiert werden.

[science.ORF.at, 18.2.09]
->   Louis-Bar-Syndrom (Wikipedia)
->   Tel Aviv University
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->   Schlaganfall: Erste Stammzelltherapie startet
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01.01.2010