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Im Labor erfolgreich: Universalimpfung gegen Grippe  
  Forscher haben möglicherweise die Achillesferse der Influenzazviren entdeckt. Versuche an Mäusen stimmen jedenfalls optimistisch: Ein neuer Antikörper schützt offenbar gegen verschiedenste Erreger inklusive Vogelgrippe und historischer Spanischer Grippe.  
Einen Schritt zu voraus
Der Wettkampf, den Influenzaviren mit unserem Immunsystem austragen, hat in mancherlei Hinsicht etwas von dem berühmten Rennen zwischen Igel und Hase. So sehr sich der Hase auch anstrengt, so erzählt die Geschichte aus der Märchensammlung der Brüder Grimm, es will ihm der Sieg gegen den vermeintlich langsamen Igel nicht gelingen. Weil dieser einen Kompagnon hat, der genauso aussieht wie er - und daher immer schon am Ziel ist, während der Gegner noch dorthin hechelt.

Auch unser Körper scheint bei der Abwehr der lästigen Erreger systematisch einen Schritt zu spät dran zu sein. Hat das Immunsystem mühsam einen Schutz gegen ein besonders aggressives Virus entwickelt, also seinen Besitzer "immun" gemacht, kommt in der nächsten Saison die nächste Grippewelle mit geringfügig abgewandelten Virustypen und das Ganze beginnt von Neuem. Ergebnis: Wieder 40 Grad Fieber, wieder zwei Wochen Bettruhe.

Und es kann durchaus schlimmer kommen. Laut Angaben der WHO sterben jedes Jahr 250.000 Menschen an Infektionen durch Influenzaviren, in besonders schlimmen Fällen kann die Zahl der Todesfälle sogar in die Millionen gehen. So geschehen etwa im Jahr 1918, als die berühmte Spanische Grippe in Europa wütete. Ihr fielen 25 Millionen Menschen zum Opfer, neue Schätzungen gehen sogar von 50 Millionen aus.
Mutieren und ausweichen
Interessanterweise hat die moderne Impfstoffforschung nichts Grundsätzliches an dieser Situation geändert. Grippe-Impfungen können zwar vor den mitunter schwerwiegenden Folgen einer Infektion schützen, aber sie geben keinen absoluten Schutz. Das hat im Wesentlichen zwei Gründe:

Erstens werden die Impfstoffe für jene Viren maßgeschneidert, die den Prognosen zufolge in der kommenden Saison besonders weite Kreise ziehen werden. Und Prognosen in dynamischen Systemen sind, das weiß man auch aus anderen Forschungsdisziplinen, eben mit einem gewissen Unsicherheitsfaktor behaftet.

Dass Viren immer wieder durch das dicht gewobene Netz von Immunsystem und Pharmazeutik schlüpfen, hat auch mit Mutationen im Erbgut der Erreger zu tun. Sie verändern nämlich die Gestalt der Virushülle - und machen sich damit quasi unsichtbar. So lange, bis die patrouillierenden Immunzellen wieder gelernt haben, wie man Freund und Feind unterscheidet.
Die Virusferse liegt auf der Hülle
 
Bild: Photodisc

Möglicherweise haben US-Forscher nun endlich die Achillesferse der wandlungsfähigen Influenzaviren entdeckt. Sie könnte in dem langgestreckten Oberflächenprotein "Hämagglutitin" liegen, berichtet das Fachblatt "Nature Structural & Molecular Biology" (doi:10.1038/nsmb.1566). Die Viren verwenden dieses Molekül, um an Wirtszellen anzudocken und deren Membran für den eigenen Vermehrungszyklus zu missbrauchen.

"Im Kopfbereichs des Hämagglutinins gibt es jede Menge Mutationen. Das führt immer wieder zu Virustypen, die den schützenden Antikörpern entkommen", erklärt Robert Liddington, ein an der Studie beteiligter Forscher. "Ganz anders sieht es aber im Stammbereich aus: Diese Region ist hochkonserviert, da sie die Viren-RNA in die Wirtszelle bringt."

Wie Liddington und seine Kollegen berichten, ist in diesem Bereich eine Mikroschleuse am Werk, wo das Virus ausnahmsweise keine "Fluchtmutationen" anbringen kann, da sie ihre Funktion massiv beeinträchtigen würden. Anders ausgedrückt: So unterschiedlich die verschiedenen Virenstränge aus der Influenzagruppe auch sein mögen, ein Merkmal haben sie (fast) alle gemeinsam - und das ist der Stamm des Hämagglutinins.
Erfolgreiche Mäuseimpfung
Wie die US-Forscher an Versuchen mit Mäusen zeigen, kann man dieses universelle Erkennungszeichen auch für Impfungen verwenden. Sie fischten aus einer Molekülbank mit 27 Milliarden Molekülketten jenen Antikörper heraus, der an die Mikroschleuse bindet und sie blockiert.

"Unser Antikörper schützte Mäuse beispielsweise vor dem tödlichen H5N1-Virus, dem Erreger der Vogelgrippe. Auch dann, wenn wir ihn drei Tage nach der Infektion injizierten", sagt Co-Autor Ruben Donis von den Centers of Desease Control and Prevention in Atlanta. "Das ist eine gute Nachricht, aber man muss zugeben: Das können viele Antikörper. Was uns überraschte, war die Erkenntnis, dass er auch gegen einen ganz anderen Virustyp schützt: H1N1, den Erreger der Spanischen Grippe."
Autoimmun-Risiko
Sein Kollege, der Harvard-Forscher Wayne Marasco denkt bereits über mögliche Anwendungen des Antikörpers nach. "Er könnte sich sowohl für die Vorbeugung als auch für die Behandlung von Influenza-Infektionen eignen. Beispielsweise bei medizinischem Personal und anderen besonders gefährdeten Personengruppen." Bis es soweit ist, gilt es allerdings noch einige Hürden zu überwinden.

Denn es ist noch nicht klar, ob die Ergebnisse auch auf den Menschen übertragbar sind. Überdies gebe es auch Sicherheitsbedenken, wie zwei US-Immunologen in einem begleitenden Kommentar schreiben. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt könne man nicht ausschließen, dass der Antikörper auch an körpereigene Moleküle binden könnte.

Falls nicht, böte er sich als Ergänzung des bekannten Vogelgrippe-Medikaments "Oseltamivir" an. Das ist nämlich nur dann effektiv, wenn es ein bis zwei Tage nach Auftreten der ersten Symptome verabreicht wird.

[science.ORF.at, 23.2.09]
->   Influenza - Wikipedia
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01.01.2010