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Amoralisches Verhalten ist "ekelhaft"  
  Unfaires Verhalten hinterlässt beim Betrachter mitunter einen bitteren Nachgeschmack. Dass es sich bei dieser Redewendung nicht nur um eine griffige Metapher handelt, zeigt eine aktuelle Studie. Demnach "schmeckt" uns amoralisches Verhalten einfach nicht - es führt zumindest zu ähnlichen mimischen Reaktionen wie giftige oder verdorbene Speisen.  
Laut den kanadischen Forschern von der University of Toronto ist das ein Indikator dafür, dass das moralische Empfinden des Menschen primitive evolutionäre Wurzeln besitzt.
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Die Studie "In Bad Taste: Evidence for the Oral Origins of Moral Disgust" von H.A. Chapman et al. ist in der aktuellen Ausgabe von "Science" (27. Februar 2009, DOI: 10.1126/science.1165565) erschienen.
->   Abstract der Studie
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Ekel als Schutz vor Krankheit
Moralisches Urteilsvermögen ist sozusagen die Sperspitze der menschlichen Entwicklung. Es basiert in erster Linie auf bewusstem Denken und zählt zu den neueren, "höheren" kognitiven Fähigkeiten, so die gängigen Annahmen. Erst jüngere Forschungsarbeiten gehen auch von einem wesentlichen emotionalen Anteil aus.

Laut dem Team rund um Adam Anderson ist Abscheu ein Kandidat für eine am moralischen Urteil beteiligte Emotion. Immerhin beinhaltet auch das englische Wort "disgust" gewissermaßen beides: "Ekel" und "Empörung".

Der Ursprung des Ekels ist allerdings wenig sozial und sehr konkret: Die Reaktion schützt uns vor Krankheiten durch giftiges oder verdorbenes Essen, für unsere Vorfahren war das lebensentscheidend. In moralischer Hinsicht könnte dasselbe Gefühl laut den Forschern einen ganz ähnlichen Mechanismus auslösen - sprich: Das anstößige Verhalten führt zur Ablehnung des "Übeltäters".
Angeekelter Gesichtsausdruck
Auf der Suche nach Belegen für ihre These haben die Studienautoren Gesichtsausdrücke untersucht. Zur Kontrolle wurden Befragungen durchgeführt. Um die Ausdrücke genau einzugrenzen, wurde zuallererst der "echte" Ekel untersucht.

Die Probanden mussten dafür eine übelschmeckende Flüssigkeit zu sich nehmen, während ihre Mimik mittels Elektromyographie (EMG) aufgezeichnet wurden, mit besonderem Augenmerk auf den "Oberlippenheber". Dieser Gesichtsmuskel hebt die Oberlippe und bringt die Nase zum Rümpfen, beides typische Ausdrücke für Ekel.
->   Ekelmimik wird aufgezeichnet (Video)
Typische Mimik
In einem nächsten Schritt untersuchten die Forscher jene Ekelreaktionen, die über die rein sinnliche Wahrnehmung hinausgehen. Die Testpersonen mussten dafür unschöne Bilder von Insekten, Exkrementen oder Verletzungen betrachten.

Es zeigte sich, dass auch diese abstrakteren und komplexeren Formen von Ekel die gleiche typische Mimik hervorruft, die sich laut den Psychologen deutlich von zornigen, traurigen oder anderen negativen Ausdrücken unterscheidet.
->   Typischer Ekelausdruck (Video)
Unfaires Handeln ruft Abscheu hervor
Die letzte Stufe des Experiments widmete sich dem moralischen Ekel: Dabei mussten die Probanden an einem Spiel teilnehmen, indem sie manchmal unfair behandelt wurden. Sie zeigten wiederum ganz ähnliche Ekelreaktionen, in ihrer Stärke abhängig von der erlebten Ungerechtigkeit.

"Diese Ergebnisse werfen ein neues Licht auf den Ursprung von Moral. Offenbar wird diese nicht nur von komplexen Gedanken gesteuert, sondern auch von ganz primitiven Instinkten", so Adam Anderson.
Ungenießbares Verhalten
Amoralisches Handeln wird demnach genauso abgelehnt wie ein Teller mit verdorbenen Essen. Das darunterliegende Verhaltensprogramm ist jedenfalls unter Umständen das gleiche, auch wenn sich die Ekelreaktion weit von ihrem chemischen Ursprung entfernt hat, wie die Forscher einräumen.

Somit ist die Studie laut den Wissenschaftlern auch ein weiterer Beleg dafür, dass Gesichtsausdrücke zwar ursprünglich eine simple Reaktion auf einen Reiz waren, aber mittlerweile zu einem wichtigen sozialen Signal geworden sind.

Eva Obermüller, science.ORF.at, 27.2.09
->   Elektromyographie (Wikipedia)
->   Adam Anderson
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01.01.2010