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Was bleibt von Konrad Lorenz?  
  Vor genau 20 Jahren, am 27. Februar 1989, starb der österreichische Verhaltensforscher und Nobelpreisträger Konrad Lorenz. Sein ehemaliger Mitarbeiter am Institut für Verhaltensphysiologie in Seewiesen, Norbert Bischof, spricht in einem Interview über Lorenz' problematische Familiengeschichte, seine NS-Vergangenheit und über die Hektik der zeitgenössischen Forschung.  
science.ORF.at: Was bleibt von Lorenz' Werk 20 Jahre nach seinem Tod in der heutigen Welt der Wissenschaft?

Norbert Bischof: So wie es im Moment aussieht, muss man sagen: nichts. In der Biologie kenne ich die Literatur nicht so genau, aber in der Psychologie ist die Rezeption Null. Er wird direkt vermieden. Die Psychologen rezipieren ja im Moment die Biologie, und zwar auf zwei Ebenen: einerseits in Bezug auf die Hirnforschung, auf der anderen Seite die Soziobiologie.

Die Ethologie kommt hier so gut wie nicht vor - und wenn es sich nicht vermeiden lässt, dann zitiert man Niko Tinbergen [der 1973 mit Lorenz und von Frisch den Nobelpreis erhalten hat, Anm.]. Wohl auch aus politischen Gründen.

Stichwort Soziobiologie: Lorenz hat ja die Argumentationsform dieser Disziplin weitgehend abgelehnt. Wie kam es dazu?

Das hat im Wesentlichen zwei Gründe. Einerseits hat man in den 60er Jahren, als Lorenz am Seewiesener Institut für Verhaltensphysiologie arbeitete, noch in Begriffen der Gruppenselektion argumentiert, das taten wir alle zu der Zeit.

Also Aussagen der Art: Zwei Hirschen verletzen einander im Kampf deswegen nicht, weil durch so eine Verhaltensweise die ganze Spezies aussterben könnte. Die Soziobiologie argumentiert ja im Gegensatz dazu vom Individuum bzw. von den Genen ausgehend.

Die Sippenselektion ist so ein Modell, aber das Journal, in dem es veröffentlicht wurde, hat damals keiner von uns gelesen. Zum anderen hatte das menschliche Gründe. Es gab, kurz gesagt, gewisse Zerwürfnisse, die es Lorenz schwer machten, die Soziobiologie zu akzeptieren.

In den 80er Jahren wollte ich übrigens Lorenz bei einem Seminar in Alpbach mit John Maynard Smith [einem der Hauptvertreter der Soziobiologie, Anm.] bekannt machen. Es hätte keine zehn Minuten gedauert und Maynard Smith hätte Lorenz überzeugt. Die hätten sich verstanden, da bin ich ganz sicher. Nur leider hat Lorenz damals aus persönlichen Gründen absagen müssen.
Kommen wir kurz zu einer theoretischen Vorliebe von Lorenz, dem "psychohydraulischen Triebmodell". Lorenz' ehemaliger Mitarbeiter Wolfgang Schleidt hat einmal gesagt: Schade, dass das nicht weiter diskutiert wurde.

Das würde ich durchaus unterschreiben. Man kann damit einige Verhaltensweisen erklären, beispielsweise sogenannte Leerlaufhandlungen. Das Modell ist ja auch in Mathematik übersetzbar und funktioniert.

Allerdings hat es eine Voraussetzung, die nicht mehr in die heutige Zeit passt: Das Modell leitet Verhalten von einer inneren Triebenergie ab, die nicht zerstörbar ist, ganz ähnlich wie das auch Freud für die Libido angenommen hat. Bei moderneren, kybernetisch orientierten Erklärungen braucht man das Konzept einer psychischen Energie nicht mehr.

Lorenz wurde von manchen seiner Schüler als "Seher" bezeichnet. Was für ein Forschertyp war er eigentlich?

Er war sicher am Anschaulichen, an der Gestaltwahrnehmung, wenn man so will: am "Sehen " orientiert. Das Wissenschaftsideal Goethes hätte ihm vermutlich aus der Seele gesprochen.

 
Bild: dpa

Hätte ein Forschertyp wie er heutzutage noch eine Existenzberechtigung? Würde er sich heute durchsetzen?

Existenzberechtigung natürlich schon. Ob er sich durchsetzen könnte im modernen Wissenschaftsbetrieb? Ich glaube nicht. Das ist auch ein Zeichen für eine kritische Entwicklung, die die Wissenschaft momentan nimmt. Ich bin z.B. gerade in einer Berufungskommission und bin erschüttert, dass überhaupt nicht mehr darauf geachtet wird, ob der oder die Betreffende kreativ ist.

Es geht nur mehr um die Frage: Hat er oder sie jedes Jahr etwas in einem "High Impact Journal" veröffentlicht? Das führt dazu, dass man sich anspruchsvolle Themen gar nicht mehr leisten kann als angehender Wissenschaftler. Man hat auch keine Zeit mehr, weiter zurückliegende Arbeiten zu lesen. So wird das Rad alle paar Jahre neu erfunden, aber auf immer sparsamere Arten.

In einer solchen Atmosphäre hat jemand, der es sich leisten kann, im Moor zu sitzen, die Graugänse anzuschauen und jahrelang gar nichts zu veröffentlichen, nicht die leiseste Chance.

Ist nicht der niederländische Verhaltensforscher Frans de Waal ein Beispiel dafür, dass man sich auch heute von der Kurzatmigkeit der Forschung emanzipieren kann?

Ja, aber der ist auch schon Anfang 60. De Waal hat seine Karriere gemacht, als man das noch konnte, genau wie ich. Aber heute würde ich mir keine Chancen mehr einräumen.
Sprechen wir über Lorenz' politische Vergangenheit. Mittlerweile ist erwiesen, dass er Mitglied der NSDAP war und sich aktiv dem Regime angebiedert hat. War das jemals Thema in Seewiesen?

Nein. Ich würde sagen: Er war politisch uninteressiert, aber er war ein Meister darin, sich mit niemandem unnötig zu verfeinden. [Sein Seewiesener Institutskollege, Anm.] Erich von Holst hat diese Haltung spöttisch als "Konrads Nachtgebet" bezeichnet, das lautet: Ich bin klein, mein Herz ist rein, soll niemand drin wohnen als alle, alle anderen ganz allein.

Also Opportunismus?

Im Grunde hat ihn die Partei nicht interessiert, aber er ließ wohl keine Bedenken walten, wenn es ihm darum ging, weiterhin das zu tun, was er machen wollte.

Karrierismus.

Das kann man so sagen. Aber nicht aus einem Streben nach Macht, sondern eher nach dem Motto: "Ich möchte weiter mein ganzes Leben lang spielen dürfen." Zweitens ist es sicherlich so, dass ihn das Thema Eugenik persönlich sehr stark angesprochen hat. Antisemitische Dinge spielten bei ihm keine Rolle, sonst wäre er später nicht mit René Spitz und Karl Popper so gut befreundet gewesen.

Eines muss man festhalten: Lorenz hat nicht nur in den 40er Jahren, sondern auch in späteren Schriften faschistoide Argumente gebraucht - in Variation zwar, aber das faschistoide Grundmuster blieb.

Aus diesem Grund habe ich zwei Jahre nach seinem Tod ein Buch über ihn geschrieben, das eine psychische Lesart dafür vorschlägt. Wenn man das rein vom politischen Nennwert betrachtet, muss man das wohl so nennen. Ja.
Sie haben in ihrem Buch vorgeschlagen, das unbelehrbare Festhalten an gewissen Argumentationsmustern als Resultat unaufgearbeiteter Konflikte zu begreifen. Konkret: Ein Mangel an Akzeptanz durch einen überdominanten Vater und materielle Verwöhnung durch eine gefühlskalte Mutter. Wie haben damals eigentlich die Kollegen von Fach darauf reagiert?

Da muss man kurz etwas zur Entstehungsgeschichte des Buches sagen. Ein Jahr nach Lorenz' Tod hat die Universität Zürich eine Gedenkveranstaltung abgehalten und ich sollte den Festvortrag halten. Ich wollte ursprünglich nicht, aber der Organisator der Veranstaltung, Rüdiger Wehner, hat mich damals so bekniet, dass ich sagte: "Gut, ich mach's. Aber das wird keine Lobhudelei, sondern eine Aufarbeitung."

Dann habe ich für diesen Vortrag ein halbes Jahr recherchiert und alles andere liegen und stehen gelassen. Und nach dem Vortrag dachte ich mir, jetzt kann ich's auch gleich als Buch schreiben.

Und die Reaktionen?

Absolut schwarz und weiß. Es gab Leute, die daraufhin den Kontakt mit mir abgebrochen haben. Und andere, die mir zugestimmt haben. Das Buch hat im Kollegenkreis absolut polarisierend gewirkt. Aber: Weil es zwei Jahre nach Lorenz' Tod erschienen ist, war es verkaufstechnisch ein absoluter Flop.
Sie haben Lorenz in ihrem Buch mit einer Figur verglichen, die von Kulturanthropologen als "Trickster" bezeichnet wird, was man am ehesten mit "Gauner" oder "Schelm" übersetzen kann.

Das ist eine höchst interessante mythologische Gestalt, die außerhalb der Kulturanthropologie kaum bekannt ist. Da gehören Gestalten wie Hermes, Wotan, Till Eulenspiegel, Mephisto dazu, viele indianische Götter sind auch Trickster. Es ist sozusagen die mythologische Aufarbeitung der psychischen Verfassung eines Kindes im Alter der Vorpubertät.

Ein im Geist jugendlicher Erwachsener.

Ja, das Alter von Max und Moritz etwa. Das ist die psychische Verfassung in der Lorenz immer ein bisschen geblieben ist.

Das kann man aber auch positiv deuten, im Sinn von Wissbegierde.

Das habe ich durchaus positiv gemeint. Es wurde aber von vielen missverstanden.

Interview: Robert Czepel, science.ORF.at, 27.2.09
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Zur Person
Norbert Bischof arbeitete zehn Jahre als Assistent bei K. Lorenz am Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie, Seewiesen, ging später ans Caltech in Kalifornien und war von 1975 bis 1997 Professor für Psychologie an der Uni Zürich. Sein (vergriffenes) Lorenz-Psychogramm "Gescheiter als alle die Laffen" ist bei Piper erschienen, im Verlag Kohlhammer hat Bischof kürzlich ein Lehrbuch der Psychologie veröffentlicht.
->   Nobert Bischof
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->   Konrad Lorenz - Wikipedia
 
 
 
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01.01.2010