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Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 
Wie gerecht ist das Gesundheitswesen?
Nicht nur eine Frage des Zugangs
 
  Wenn in Österreich von Zweiklassenmedizin gesprochen wird, sind sich alle in einem Punkt rasch einig: Keiner will sie. Gemeint wird in der Regel die sogenannte schleichende Rationierung, also dass teure Behandlungen nicht allen zuteilwerden.  
Aus Sicht von Claudia Wild ist das eine unglückliche Verkürzung. Die Leiterin des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Health Technology Assessment hat in Österreich und anderen katholisch geprägten Ländern beobachtet, dass die Gerechtigkeitsfrage auf den Zugang beschränkt wird.

Dabei käme es darauf an, den Nutzen nach Patientengruppen abzuwägen. Eine von ihrem Institut organisierte und finanzierte Tagung soll nun zur Differenzierung der Diskussion beitragen.
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Die Tagung "FairHealth: Verteilungsgerechtigkeit und Ressourcenallokation von öffentlichen Gesundheitsleistungen" findet an diesem Montag in der Urania in Wien statt. Die Begrüßung übernimmt die Vorsitzende der Österreichischen Bioethikkommission Christine Druml um 9 Uhr. Der letzte Vortrag endet gegen 17.30 Uhr. Der Eintritt ist frei.
->   Tagungsprogramm "FairHealth"
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Neu heißt nicht unbedingt besser
Gleicher Zugang zu Gesundheitsleistungen bedeutet längst nicht gleichen Nutzen. Schließlich sind Behandlungen nicht in allen Fällen gleichermaßen notwendig und wirksam. Das festzustellen ist das Tagesgeschäft von Wild und ihrer im 2006 gegründeten und mittlerweile 16 Mitarbeiter zählenden Gruppe.

Sie bewerten Therapien, medizinische Techniken oder auch Vorsorgeprogramme nach wissenschaftlichen Kriterien ohne Weisungsbindung.

Nicht selten stoßen sie darauf, dass neue Therapien und Medikamente nicht besser, sondern schlechter wirken als bewährte. Selbst wenn es sich um Verbesserungen handelt, ist der zusätzliche Nutzen meist klein.

Doch die dafür geforderten Preise liegen oft vielfach, mitunter zigfach höher. Arzneimittel machen einen steigenden Anteil der Gesundheitsausgaben aus. In der Onkologie sind die Ausgaben in den letzten Jahren sogar um ein Vielfaches gestiegen.
->   Institut für Health Technology Assessment
Kriterien für besseren Mitteleinsatz
Für Wild liegt auf der Hand, dass die Ressourcen gezielt eingesetzt werden müssen, um das Maximum für die Gesellschaft herauszuholen. Allerdings müsse man zu diesem Zweck wissen, welche Kriterien die Gesellschaft anlegt.

Das Schlagwort "Zwei-Klassen-Medizin" hat bisher verhindert, dass diese Diskussion jenseits akademischer Kreise geführt wird. Wild liegt nichts daran, dass politisch die Fetzen fliegen, sondern sie wünscht sich "eine qualitative Weiterentwicklung des Gesundheitssystems".
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Eine Frage der sozialen Herkunft
Viel deutet darauf hin, dass soziale Gruppen in unterschiedlichem Maß vom Gesundheitssystem profitieren. Einige aktuelle Belege liefert der Ende Jänner vorgestellte Sozialbericht 2007-2008 des Bundesministeriums für Soziales und Konsumentenschutz. So haben Männer mit Hochschulabschluss eine um sechs Jahre höhere Lebenserwartung als Pflichtschulabsolventen. Das Krankheitsrisiko ist bei Österreichern, die unter der Armutsgrenze leben, mehrfach erhöht.
->   Sozialbericht 2007-2008 (pdf-Datei)
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Grundstein Sozialepidemiologie
Am besten Bescheid über soziale Ungleichheiten in Bezug auf die Gesundheit weiß man in Großbritannien, wo die Sozialepidemiologie auf eine ins 19.Jahrhundert zurück reichende Tradition zurückblickt.

Soziale und gesundheitliche Daten werden seit langem zusammen dokumentiert, so der Hamburger Medizinsoziologe Olaf von der Knesebeck. Einem britischen Totenschein lässt sich entnehmen, welche Schulbildung ein Verstorbener hatte. In Deutschland sei das verboten.
Nicht alles eine Frage des Gesundheitssystems
Seit Mitte der Neunzigerjahre haben von der Knesebeck und seine deutschen Kollegen aber auch immer mehr Daten, die Rückschlüsse auf soziale Unterschiede in der Gesundheit erlauben. Das sei aber nicht alleine auf das Gesundheitssystem zurückzuführen, zumal die Datenlage solche Aussagen noch nicht zulasse, so von der Knesebeck, der bei der Tagung über soziale Ungleichheiten vorträgt.

Aus den Niederlanden kommt Wija Oortwijn, die an Beispielen berichtet, wie dort Prioritäten in der Gesundheitsversorgung gesetzt werden. Beiträge aus sozial- bzw. verfassungsrechtlicher Sicht kommen von Friedrich Breyer aus Konstanz und Michaela Strasser aus Salzburg. Die Wiener Ärztin Lily Damm macht auf die Vernachlässigung von Kindern und Jugendlichen aufmerksam.
->   Forderungen der Politischen Kindermedizin (pdf-Datei)
Nachzügler Österreich
Die Diskussion um Ungleichheiten im Gesundheitswesen kommt hierzulande vergleichsweise spät. Ohne österreichische Beteiligung und Beachtung werden auf EU-Ebene seit 2004 Strategien entwickelt, um die ungleiche Teilhabe am Gesundheitswesen zu reduzieren.

Am Folgeprojekt "Determine" beteiligen sich 19 EU-Länder sowie Norwegen und Island. Österreich, Portugal und Luxemburg sind die einzigen EU15-Mitglieder, von denen kein Länderbericht vorliegt.

Als nationaler Partner wird zwar der Fonds Gesundes Österreich genannt. Doch auf Nachfrage erklärt Fondssprecher Markus Mikl: "Wir hatten nur Beobachterstatus." Die damals zuständige Mitarbeiterin habe den Fonds zwischenzeitlich verlassen.

Stefan Löffler, freier Journalist, 2.3.09
->   EU-Initiative gegen Ungleichheiten im Gesundheitswesen
->   Fonds Gesundes Österreich
 
 
 
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01.01.2010