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Was Wissenschaftler zu Plagiaten treibt  
  Nie zuvor war es so unkompliziert wie heute, auf wissenschaftliche Literatur zuzugreifen. Dieser Fortschritt hat aber auch eine Schattenseite - das Plagiat. Abschreiben ist nämlich ebenso einfach. Auch dass Doubletten mit Hilfe neuer Tools immer leichter aufzufinden sind, hat diese unrühmliche Praxis noch nicht beendet.  
US-Forscher haben anonym erhoben, was Autoren dazu treibt zu kopieren, wie Plagiierte reagieren und was die jeweiligen Herausgeber davon halten. Ihre Absicht: auf allen Seiten mehr Bewusstsein für die Bedeutung von Publikationsstandards zu schaffen.
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Der Artikel "Responding to Possible Plagiarism" von Tara C. Long et al. ist in "Science" (5. März 2009, DOI: 10.1126/science.1167408) erschienen.
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70.000 ähnliche Stellen
Zwei Jahre lang haben die Wissenschaftler rund um Harold Garner von der University of Texas Southwestern Medical School Millionen Abstracts auf Medline, eine der größten Datenbanken für biomedizinische Forschungsartikel, analysiert. Verwendet haben sie dafür das von ihnen selbst entwickelte computerbasierte Textanalysetool eTBLAST, fast 70.000 sehr ähnliche Stellen haben sie insgesamt gefunden.

Nach einer Untersuchung der kompletten Texte blieben 212 Artikelpaare. Die Ähnlichkeit der potenziellen Plagiate mit den Originalbeiträgen betrug dabei im Durchschnitt 86,2 Prozent. Die Literaturverweise glichen einander zu 73,1 Prozent, und nur 22,2 Prozent hatten das Original zumindest zitiert.
Motive der "Diebe"
Den Forschern ging es aber weniger um die vordergründige Aufdeckung der Plagiate, sondern darum herauszufinden, was einerseits Menschen dazu treibt, sich einfach so an fremdem Material zu bedienen, wie andererseits die "Opfer" dazu stehen und was die verantwortlichen Herausgeber dazu sagen. Denn mit diesen Hintergründen habe sich noch kaum jemand beschäftigt, dabei sei dieses Wissen wesentlich, um diese Praxis zu bekämpfen.

162 Artikelpaare wurden ausgewählt. Die Wissenschaftler sandten diese - versehen mit Kommentaren und einem zusätzlichen Fragebogen - an jeweils beide Autoren und an die Herausgeber. In 144 Fällen erhielten sie eine Antwort, Anonymität bei der Auswertung war garantiert.
Extrem unterschiedliche Reaktionen
Die Reaktionen waren laut den Forschern extrem unterschiedlich, was eine echte Quantifizierung der Antworten erschwerte. Dennoch ließen sich einige Tendenzen ausmachen. So hatten 93 Prozent der Originalautoren vorher nicht gewusst, dass von ihrer Arbeit ein Duplikat existiert. Die Mehrheit war sehr dankbar über die Aufklärung.

Bei den "Dieben" ergab sich ein weit uneinheitlicheres Bild. 28 Prozent stritten jegliches Fehlverhalten ab, 35 Prozent gaben zu, sich etwas "ausgeborgt" zu haben, bedauerten aber die Aktion.

"Ich weiß, dass mein leichtsinniger Fehler eine ernste Angelegenheit ist. Ich bin von mir selbst als Wissenschaftler sehr enttäuscht", schrieb etwa einer der Befragten. Diese Sorglosigkeit im Umgang mit leicht verfügbarem Material ist vermutlich einer der Hauptgründe für die zahlreichen Plagiate. Die "Täter" sind sich, wie man an dieser Reaktion sieht, zumindest im Moment oft gar nicht bewusst, was sie da eigentlich tun.
Ausreden aller Art
Es gibt aber auch einen anderen, eher unverfrorenen Typus, wie weitere Antworten zeigten. Die Ausreden klingen mitunter an den Haaren herbeigezogen: "Es war bloß ein schlechter Scherz, eine unvorsichtige Wette zwischen Freunden vor zehn Jahren ..."

Gern wird die Schuld auf andere beteiligte Autoren oder Studenten geschoben, manchmal hatten die Adressierten angeblich gar nichts gewusst von der Publikation.

Um herauszufinden, ob das Plagiieren überhaupt etwas bringt und was das für die wissenschaftliche Gemeinschaft bedeutet, untersuchten die Wissenschaftler zusätzlich den Impact-Faktor sowie die Zitierungen der Originaltexte und der Plagiate. Erstere waren zwar meist in wichtigeren Zeitschriften abgedruckt und wurden im Durchschnitt häufiger zitiert. Dennoch kamen die Kopien in einigen Fällen an die Originale heran - vermutlich, weil sie aufgrund ihres jüngeren Datums oft schneller gefunden werden.
Was sagen die Herausgeber?
Wie gehen nun die Herausgeber mit Plagiaten um? Sie haben letztlich die Kontrolle darüber, was tatsächlich publiziert wird. Bei der Befragung zeigten sich die meisten betroffen. In 83 Fällen wurden Nachforschungen angestellt, die zu immerhin 46 Zurücknahmen führten, allerdings meist nur von der Seite des Journals selbst, nicht von der Medline-Datenbank, wie die Autoren kritisieren.

Bei der Hälfte der Plagiate gab es keinerlei Konsequenzen. Einige Editoren hatten diese sogar ganz dezidiert ausgeschlossen. Manche wollen sich offenbar nicht dem zusätzlichem Stress genauerer Untersuchungen aussetzen und fürchten vielleicht, das könnte ein schlechtes Licht auf ihre Zeitschrift werfen, so die Wissenschaftler.

Bei vielen Herausgebern zeigte sich laut den Forschern auch ziemliche Ratlosigkeit, was den Umgang mit solchen Vorfällen betrifft. Dafür brauchte es bessere Richtlinien. Letztendlich liegt die Lösung des Problems aber nicht nur in einer exakten Überprüfung aller Publikationen, sondern auch in den Händen der wissenschaftlichen Gemeinschaft selbst. Denn das notwendige Verantwortungsbewusstsein müsste bereits Teil der akademischen Ausbildung sein, schlussfolgern die Autoren.

[science.ORF.at, 6.3.09]
->   Harold Garner
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01.01.2010