News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung 
 
Blaualgen "singen" sich vorwärts  
  Obwohl sie keinen sichtbaren Antrieb besitzen, können sich bestimmte Blaualgen auf offener See selbstständig fortbewegen. Wie sie das machen, war bisher völlig unklar. Mathematiker haben nun eine ungewöhnliche Erklärung gefunden.  
Demnach erzeugen die Bakterien mittels akustischer Signale eine Strömung, die sie vorwärts treibt. Einen ganz ähnlichen Antrieb haben Forscher vor einigen Jahren in der Mikromechanik entwickelt, ohne das Millionen Jahre alte Vorbild aus der Natur zu kennen.
...
Der Artikel "Synechococcus as a "singing" bacterium: biology inspired by micro-engineered acoustic streaming devices" von Kurt Ehlers und Jai Koiller ist online auf "arXiv.org" erschienen.
->   Zur Studie
...
Kein sichtbares Fortbewegungsmittel
1985 entdeckten Forscher mitten im Atlantik eine selbstständig schwimmende Blaualge: Synechococcus. Diese durchwandert pro Sekunde eine Distanz, die dem 25-fachen ihres Durchmessers entspricht. Dabei sind verwandte Arten in nährstoffreichen Küstenregionen völlig immobil.

Wie oder wodurch sie sich fortbewegen, war bis jetzt ein völliges Rätsel. Sie besitzen nämlich kein einziges sichtbares Mittel dafür.

Andere Einzeller verwenden zu diesem Zweck sogenannte Flagellen oder Geißeln. Das sind lange, dünne Gebilde, die von der Zelloberfläche abstehen, womit sich die Bakterien "vorwärtsschrauben". Die Blaualgen können auch nicht ihre Form verändern und sich sozusagen weiterschieben, wie es beispielsweise Amöben tun.
Winzige Vibrationen erzeugen Schallwellen
Für ihre aktuelle Untersuchung verwendeten Kurt Ehlers vom Truckee Meadows Community College und sein brasilianischer Kollege Jair Koiller ein Rasterkraftmikroskop und eine spezielle Form der Lichtmikroskopie. Dabei zeigte sich, dass die winzigen Kreaturen mikroskopisch kleine Spitzen besitzen, die von der inneren Zellschicht durch ihre äußere kristalline Hülle ins Wasser ragen.

Die Wissenschaftler vermuten, dass die Lebewesen diese winzigen Nadeln durch einen molekularen "Motor" zum Vibrieren bringen. So erzeugen sie eine "akustische Strömung". Das heißt, die Schallwellen versetzen die umliegende Flüssigkeit in Bewegung. Demnach "singen" sich die Algen gewissermaßen vorwärts.

Derartige Mikrooszillationen seien nichts Ungewöhnliches: So hätte man etwa mit Hilfe der Mikroskopie schon festgestellt, dass die äußere Membran von Hefezellen mit einer Frequenz von 0,8-1,6 KHz und einer Amplitude von etwa 3 nm vibrieren, auch in diesem Fall gesteuert von kleinen molekularen "Motoren".
Anleihen bei der Mikroelektronik
Für ihren neuartigen Ansatz haben die Forscher den Spieß der Bionik umgedreht: Nimmt üblicherweise die Technologie gern Anleihe bei der Biologie, benutzten sie dieses Mal Erkenntnisse der Mikromechanik zur Erklärung des biophysikalischen Fortbewegungsprinzips. Denn in der Elektronik gibt es bereits seit den frühen 1990er Jahren Mikropumpen, die derartige akustische Strömungen verwenden.

Die Berechnungen der entsprechenden mikromechanischen Gleichungen erbrachten laut den Wissenschaftlern auch durchaus plausible Ergebnisse, nämlich in der Größenordnung der tatsächlich gemessenen Blaualgen-Geschwindigkeit. Mit der geeigneten Technologie, wie etwa Nanosensoren, könnte man den "Gesang" sogar hörbar machen.

Auch darauf, warum sich die Algen anders als ihre küstennahen Verwandten überhaupt fortbewegen, haben die Forscher eine Antwort: So können sie ihre Versorgungslage im eher nährstoffarmen offenen Meer deutlich verbessern.

[science.ORF.at, 27.3.09]
->   Kurt Ehlers
Aktuelles zum Thema in science.ORF.at:
->   Gefährliche Algen produzieren Muschelgift (19.3.09)
->   Eisendüngung im Meer: Algen speichern mehr Kohlenstoff (28.1.09)
->   Algengift machte Hitchcocks "Vögel" verrückt (28.10.08)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010