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Transplantationen: Linke Hände eignen sich besser  
  Vor etwas mehr als zehn Jahren wurde die erste Hand erfolgreich transplantiert. Seitdem gab es sowohl in der Chirurgie, aber auch bei der Rehabilitation einige Fortschritte. Eine aktuelle Studie hat an zwei beidhändig Transplantierten untersucht, wie gut und wie schnell das Gehirn die motorische Steuerung der neuen Körperteile übernimmt.  
Dabei stellten die französischen Forscher erstaunlicherweise fest, dass die linke Hand deutlich schneller ihre Funktionalität zurückerlangte als die rechte Hand.
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Die Studie "Re-emergence of hand muscle representations in human motor cortex after hand allograft" von Claudia D. Vargas et al. ist in der aktuellen Ausgabe der "Proceedings of the National Academy of Science" (DOI:10.1073/pnas.0809614106) erschienen.
->   Zum Abstract der Studie
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Traumatische Folgen
Der Verlust von Gliedmaßen hat oft lebenslange traumatische Konsequenzen. Betroffene haben häufig das Gefühl, dass der fehlende Körperteil immer noch ein Teil von ihnen ist, nicht selten treten sogenannte Phantomschmerzen auf. Die Ursache dafür liegt im Gehirn.

Wie man heute weiß, kommt es nämlich nach Amputationen von Gliedmaßen relativ schnell - oft schon nach wenigen Stunden - zu Veränderungen im Gehirn. Das heißt, wenn die einschlägigen sensorischen Signale fehlen, strukturiert sich der motorische Cortex neu.
Gehirnregionen werden "umgewidmet"
Dabei werden die plötzlich "arbeitslosen" Nervenzellen nicht einfach inaktiv, sondern von den umliegenden Regionen sozusagen annektiert. Bei der Amputation einer Hand breitet sich etwa die Repräsentation des verbliebenen Armes, aber auch Teile des Gesichts auf die frei werdende Areale aus, wie Studien zeigen. Laut Forschern ist das ein Grund, warum diese immer noch Empfindungen wie etwa Schmerz erzeugen können.

Bisher war es allerdings weitgehend unklar, ob derartige Veränderungen Jahre nach der Amputation noch umkehrbar sind. Für eine komplette Rehabilitation nach der Transplantation einzelner Gliedmaßen kann dieser Umstand aber mitunter entscheidend sein.
Reversible Veränderungen?
In ihrer aktuellen Studie haben die Forscher rund um Claudia D. Varga von der Universitè Lyon nun untersucht, inwieweit sich die entsprechenden Gehirnregionen nach einer Transplantation beider Hände von den neuen Organen wieder "zurückerobern" lassen. Dafür müssen nicht nur die Nervenenden exakt mit dem Spenderorgan verbunden werden, auch das Gehirn muss sich neu strukturieren. Besonders problematisch ist laut den Wissenschaftlern die Feinmotorik.

Für die Studie hat das Team zwei Patienten untersucht, denen beiden jeweils beide Hände transplantiert wurden. Der erste war ein junger Mann von zwanzig Jahren (LB), Rechtshänder, vor der Operation hatte er muskelelektrische Prothesen getragen, drei Jahre auf der rechten Seite, ein Jahr auf beiden Seiten. Der zweite Patient war ein 42-jähriger Rechtshänder (CD), der drei Jahre vor der Verpflanzung ebenfalls Prothesen an beiden Händen hatte.
Gehirnareal zurückerobert
Mit Hilfe transkranieller Magnetstimulation, eine nicht-invasive Stimulation des Gehirns, beobachteten die Forscher über einen längeren Zeitraum, ob die Anregung der Gehirnareale zu einer Reaktion der Hände führte. Die Resultate zeigen, dass in beiden Fällen letztlich das ursprüngliche Areal im motorischen Kortex wieder Kontrolle über das neue Organ erlangte.

Bei LB hatte die linke Hand bereits nach zehn Monaten eine deutliche Präsenz im motorischen Kortex "zurückerobert". Die rechte brauchte erheblich länger, nämlich 26 Monate, zudem hatte sie zu Beginn der Rehabilitation eine sehr viel intensivere Stimulation benötigt, um überhaupt Reaktionen zu zeigen. Die Untersuchung des zweiten Patienten brachte ganz ähnliche Ergebnisse, bei ihm war die rechte Hand erst nach 51 Monaten wieder bis auf die feinmotorische Ebene steuerbar.
Rätselhafte Asymmetrie
Etwas rätselhaft bleibt allerdings, warum es eine derartige Asymmetrie zwischen den Seiten und damit zwischen den Gehirnhälften gibt. So ergab auch eine Kontrolluntersuchung mit einem beidseitig Amputierten ohne Transplantate keinerlei Differenzen zwischen den Gehirnhälften. Bei Gesunden ist es demnach sogar so, dass die Gehirnregion für die dominante rechte Hand weitaus weniger stimuliert werden muss.

Die simpelste Erklärung für die Schieflage wäre, dass die Nervenenden einfach verschieden gut zusammen gewachsen sind. Laut den Forschern spielen möglicherweise aber auch die zuvor getragenen Prothesen eine Rolle. Frühere Studien haben nämlich gezeigt, dass diese die Umstrukturierung des Gehirns nach einer Amputation beeinflussen können.

Wahrscheinlich hätten die beiden Rechtshänder auch die rechte Prothese mehr benutzt, was die linke Hirnhälfte wesentlich geformt haben könnte. Laut den Forschern könnte diese "Verdrahtung" stabiler sein, was wiederum die plastische Restrukturierung nach der Transplantation erschweren würde. Das seien aber nur Spekulationen, eine wirkliche Erklärung für die Asymmetrie steht noch aus.

Eva Obermüller, science.ORF.at, 7.4.09
->   Transkranielle Magnetstimulation (Wikipedia)
->   Universitè Lyon
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   Erstmals zwei komplette Arme transplantiert (29.7.08)
->   Phantomschmerz: Bein-Illusion wirkt sich im Gehirn aus (22.2.08)
->   Spanien: Rechte Hand auf linke Seite transplantiert (4.6.07)
 
 
 
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01.01.2010