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Gemeinsam oder einsam?
Wissenschaft zwischen Teamarbeit und Einzelleistung
 
  Hochdotierte Auszeichnungen wie der Nobel- oder Wittgensteinpreis verstehen sich als Ehrungen einzelner herausragender Persönlichkeiten. Forschungsarbeit passiert aber - vor allem in den Lebenswissenschaften - meist in Gruppen. Dieser Diskrepanz zwischen der Vorstellung des einen genialen Forschers und dem wissenschaftlichen Arbeiten in kollektiven Zusammenhängen nähert sich die dritte Veranstaltung der Serie "Wissenschaft im Wandel".  
"Am meisten Spaß macht es mir, mit meinen Wissenschaftlern über ihre Arbeit zu diskutieren und zu reflektieren", so Meinrad Busslinger auf die Frage, ob er lieber im Team oder alleine arbeitet. "Und mit einem guten Leiter steht und fällt der Erfolg einer Forschungsgruppe. Er gibt der Gruppe eine Richtung und Kontinuität. Und nur dank so einer Vorarbeit ist es möglich, große, relevante Entdeckungen zu machen und schließlich ein in der scientific community renommiertes Team aufzustellen."

Der Leiter der Forschungsgruppe "Blutbildende Stammzellen" am Institut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien begründet damit unter anderem seine Auszeichnung mit dem Wittgensteinpreis, die der Wissenschaftler 2001 für seine herausragende Forschungsarbeit bekommen hat. Warum zeichnet man eine einzelne Person aus und nicht die gesamte Gruppe? "Indirekt wird mit so einem Preis die gesamte Forschungsgruppe geehrt", so der Molekularbiologe. "Aber natürlich geht die Auszeichnung an eine Einzelperson - nämlich jene, die die Basis für diesen Erfolg geschaffen hat."
Gegensätzliche Paradigmen
Der Molekularbiologe, der seit 20 Jahren beim IMP tätig ist, steht als renommierter Gruppenleiter bereits hoch oben auf der Karriereleiter. Im Gegensatz zu seinen Dissertanten und PostDocs, die noch am Anfang ihrer wissenschaftlichen Laufbahn sind. Sie sehen sich mit der Situation konfrontiert, sich in den kollektiven Prozessen eines Labors, Forschungsteams beziehungsweise wissenschaftlicher Institution einzufügen.

Gleichzeitig sollen sich die jungen Wissenschaftler auch als Einzelperson ihre Exzellenz beweisen und mit Forschungsideen brillieren, um innerhalb der scientific community "sichtbar" zu werden. Die Situation spiegelt einen winzigen Ausschnitt der Realität moderner Forschungs- und Förderungspolitik wider. Dort herrschen seit einigen Jahren zwei völlig gegensätzliche Paradigmen, die einen tiefen Wandel im Wissenschaftssystem ausgelöst haben.
Zwischen Kollektiv und Einzelleistung
"Auf der einen Seite wird das Kollektiv ins Zentrum des Interesses gestellt. Netzwerke, transdisziplinäre Kooperationen und so genannte "Elite-Institutionen" gelten als ideales Umfeld für Wissensproduktion und Innovation", erläutert Ulrike Felt vom Institut für Wissenschaftsforschung die Ergebnisse einer Untersuchung im Rahmen der ELSA-Studie "Living Changes in Life Science".

Felt führt aus: "Auf der anderen Seite versucht man exzellente Individuen herauszustellen und sie durch spezielle Stipendien zu fördern. Auch wenn bei der zweiten Kategorie damit argumentiert wird, dass die Stipendiaten gefördert werden, um eigene Forschergruppen aufzubauen: Letztlich konzentriert sich die Förderung auf eine Einzelperson."
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Veranstaltung "Wissenschaft im Wandel"
"Wissenschaft im Wandel. Alte und neue Konturen des Lebens und Arbeitens in den (Lebens)Wissenschaften" nennt sich die vierteilige Veranstaltungsreihe des Wiener Instituts für Wissenschaftsforschung im Rahmen der Veranstaltungsreihe Konturen - Standpunkte zur öffentlichen Repräsentation von Wissenschaftler/Innen und in Kooperation mit der Ö1-Wissenschaftsredaktion. Gemeinsam oder einsam? lautet der dritte Teil, der sich dem Spannungsfeld zwischen dem Fokus auf exzellente Einzelleistungen und der Wissenschaft als kollektiver Prozess widmet. Freitag, 24. April 2009, 19:30 Uhr im Böckelsaal der TU Wien (Karlsplatz 13, 1040 Wien).
->   Wissenschaft(ler) im Wandel
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Wissenschaft im Spagat
Diese Spannung zwischen kollektiven und individualisierten Prozessen im Wissenschaftssystem zieht sich durch die gesamte Karriere von Wissenschaftlern. Es wirft die Frage auf, wie diese Einzelleistungen innerhalb des auf das Kollektiv ausgerichteten, wissenschaftlichen Systems zu erbringen sind. Die Akteure vollziehen nämlich einen Spagat, der nicht nur ein Höchstmaß an Flexibilität, Mobilität und gleichzeitig Anpassungsfähigkeit abverlangt, sondern auch den Prozess der Wissensproduktion nachhaltig verändert.

Welche Auswirkungen diese Entwicklungen auf das Leben und den Alltag der Forscher sowie das Wissenschaftssystem im Gesamten haben, zeigen die Ergebnisse der Studie "Together Alone" im Rahmen des EU Projekts "KNOWING" - Knowledge, Institutions and Gender: An East-West Comparative Studie. Die von der Wissenschaftsforscherin Ulrike Felt gemeinsam mit Ihrem Team (Lisa Sigl und Veronika Wöhrer) durchgeführten Untersuchungen verdeutlichen den Druck junger Wissenschaftler, sich im Wissenschaftssystem einzufinden und zu etablieren.
Unterschiede in Disziplinen
"Wir haben in unserer Studie sowohl Interviews und Recherchen in Bereich der Lebenswissenschaften, als auch im Bereich der Sozialwissenschaften gemacht", erläutert Ulrike Felt. "Beide wissenschaftlichen Systeme beziehungsweise ihre Akteure gehen mit diese Ambivalenz zwischen Teamarbeit und Einzelleistung sehr verschieden um. Das resultiert zum einen aus institutionellen, konzeptuellen und materiellen Unterschieden, hat aber auch viel mit dem grundsätzlich differierenden Arbeitsverständnis und Vorstellungen über das Fach zu tun."

Es zeigt sich, dass allein der Prozess, "Teil der Wissenschaft zu werden", eine maßgebliche Rolle im Verständnis von kollektiven und individuellen Dimensionen von Forschung spielt. "Während Lebenswissenschaftler davon ausgehen, dass in ihrem Fach ein kollektiver "way of thinking" herrscht, hat der Weg der Sozialwissenschaftler keine so klaren Konturen, sondern entwickelt sich erst in der individuellen Auseinandersetzung mit der Disziplin selbst ebenso wie mit den institutionellen Strukturen."
SOWI im Einzelkampf?
Die in der Studie befragten Sozialwissenschaftler beschreiben sichtbare und explizite Teamarbeit innerhalb akademischer Institutionen eher als die Ausnahme von der Regel. Die Begründungen dafür sind vielfältig und reichen von einer gering ausgeprägten Projektkultur bis hin zu expliziten Beobachtungen, dass zuviel Kooperation in den Qualifikationsphasen für die Karriere hinderlich sein könnte.

Der Sprachwissenschaftlerin Ruth Wodak wurde der Wittgensteinpreis 1996 verliehen - zu einem Zeitpunkt, als sie keine eigene ständige Gruppe und häufig auch als Einzelperson geforscht hatte. "In den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften arbeiten wir projektorientiert - und dann eben einzeln oder im wechselnden Team", erklärt die Wissenschaftlerin, die derzeit am Department für Lingustik and Englische Sprache an der Lancaster Universität in Großbritannien arbeitet.
Schlüssel des Erfolgs
Aus heutiger Sicht - jener der erfolgreichen Gruppenleiterin - ist Teamarbeit für die Sprachwissenschaftlerin "das Um und Auf des Erfolgs": "Teams sind meist so gut, wie die Leitung und das Konzept der Leitung, die Gesprächs- und Dialogbereitschaft, die gegenseitige Anerkennung und der Respekt, Neugier, Risiko- und Lernbereitschaft wie auch die gesamte Teamatmosphäre.", so die Forscherin, die mit dem Wittgensteinpreis das Forschungszentrum "Discourse, Politics, Identity (DPI)" gegründet hatte.

Dennoch betont Wodak die Bedeutung von Einzelerfolgen wie Auszeichnungen für die Karriere: "Ich rate meinen Mitarbeitern und Dissertanten immer, sich um Stipendien, Preise und Projekte zu bewerben und unterstütze sie auch dabei in meiner Rolle als Mentorin", so die Forscherin.
Profit fürs Team
Meinrad Busslinger ist der Überzeugung: Mitglieder eines erfolgreichen Forschungsteams profitieren letztlich vom Renommee eines Wittgensteinpreises selbst. "Mein ehemaliger PostDoc Stephen Nutt, der federführend an der ausgezeichneten Forschungsarbeit beteiligt war, wurde auf Grund seiner herausragenden Leistungen vom Fleck weg von einem der renommiertesten Labors Australiens engagiert und leitet dort nun erfolgreich seine eigene Forschungsgruppe", resümiert Busslinger.

Während Stephen Nutt mit seinen exzellenten Einzelleistungen aus dem Kollektiv der Forschungsgruppe herausstechen konnte, bleiben die am Erfolg beteiligten Personen meist im Hintergrund. "Arbeit in der Gruppe benötigt aber immer wesentlich mehr an Investition der einzelnen Mitglieder als es durch den Fokus auf die Forschungsleiter - beispielsweise durch solche Auszeichnungen wie den Wittgensteinpreis - sichtbar wird", resümiert die Wissenschaftsforscherin Ulrike Felt. "Solche Einzelleistungen im Kollektiv werden in einer Auditgesellschaft aber nicht unbedingt entsprechend gewürdigt."
Gefahr der Normierung
Hier orten Felt und ihr Team ein grundsätzliches Problem: "Es besteht die Gefahr, dass die Form von Kollektivität, wie sie in den Lebenswissenschaften herrscht, auf subtile Weise zur Norm wird", so die Forscherin.

Felt: "Es gilt aber klar zu machen, dass noch ganz andere kollektive Prozesse eine zentrale Rolle in der Forschungsarbeit beider Disziplinen spielen - beispielsweise die "wissenschaftliche Familie", also jene langfristigen Beziehungen und Freundschaften, die sich im Laufe der wissenschaftlichen Karriere bilden. Sie helfen den Akteuren, Wege zu entwickeln, in dem Spannungsverhältnis zwischen Individualität und Kollektivität zu bestehen."

Eva-Maria Gruber, science.ORF.at, 21.4.09
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01.01.2010