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Antike Schrift: Statistik belegt Echtheit  
  Ob es sich bei den Symbolen auf archäologischen Fundstücken der Indus-Kultur um eine echte Schrift handelt, war bisher unklar. Das haben indische und US-amerikanische Forscher nun mit Hilfe statistischer Methoden belegt.  
So selbstverständlich wir heute Schriftzeichen zu Papier bringen, die längste Zeit basierte das Zusammenleben der Menschen ausschließlich auf gesprochener Sprache. Erst zivilisatorische Fortschritte machten es notwendig, schriftliche Aufzeichnungen zu machen.

Auf der Suche nach geeigneten Regelsystemen entstanden dabei unterschiedlichste Schriftformen, von der zeichenreichen Bilderschrift bis zu unserer heutigen Buchstabenschrift, einer vergleichsweise recht ökonomischen phonetischen Umschrift der Sprache.

Die Entschlüsselung alter schriftlicher Zeugnisse ist ohne geeignete Übersetzungshilfen, wie etwa dem bekannten Stein von Rosette für die ägyptischen Hieroglyphen, ein schwieriges bis unmögliches Unterfangen. Oft lässt sich nicht mal feststellen, ob es sich überhaupt um eine Schrift im echten Sinn handelt oder lediglich um eine Folge von Symbolen.
Frühe Schriftkulturen
 
Bild: J. M. Kenoyer / Harappa.com.

Die Indus-Kultur war eine frühe städtische Zivilisation, die etwa von 2.500 - 1.900 v. Ch. im heutigen östlichen Pakistan und in Nordwest-Indien, im Tal des Flusses Indus lebte. Die Quellenlage ist im Vergleich zu anderen Hochkulturen wie Ägypten oder Mesopotamien recht dünn. Es gibt kaum historische Aufzeichnungen und nur wenige archäologischen Fundstücke. Darunter Amulette, Siegel, keramische Werke und kleine Tafeln.

Die Zeichen auf diesen Objekten konnten bis heute nicht entschlüsselt werden. Dennoch wird vermutet, dass es sich dabei bereits um eine echte Schrift handelt. Damit würde sie zu den frühesten Schriftsystemen zählen, nicht viel jünger als die Keilschrift der Sumerer, die etwa 3.500 v. Chr. entstanden ist und heute als älteste Schrift der Welt gilt.
Fragwürdige Schriftthese?
2004 wurde diese Schriftthese allerdings erstmals in Frage gestellt (Electronic Journal of Vedic Studies, Bd.11, S.19 ). Laut den Wissenschaftlern rund um Steve Farmer handelt es sich um ein nichtsprachliches Zeichensystem ähnlich dem rein emblematischen Zeichensystem der Vinèa-Kultur, die zwischen 6.000 und 4.000 v.Chr in Südosteuropa ansässig war.

10.000 US-Dollar hatten die Forscher damals demjenigen in Aussicht gestellt, dem es gelänge, ein schriftliches Artefakt in Indus-Schrift mit mindestens 50 Symbolen zu produzieren.
Suche nach statistischen Regelmäßigkeiten
Die Frage, die sich die Forscher rund um den Informatiker Rajesh Rao von der University of Washington nun stellten: Kann man mit mathematischen Methoden feststellen, ob eine Folge von Zeichen tatsächlich eine Schrift darstellen? (Science) Mit anderen Worten: Gibt es bestimmte statistische Muster oder Regelmäßigkeiten, die für die Verschriftlichung natürlicher Sprachen typisch sind.

Um das herauszufinden, verglichen die Wissenschaftler die Indu-Schrift mit anderen Systemen: Einerseits mit fünf anderen echten Schriftsystemen, darunter unter anderem alte Formen von Tamilisch und Sanskrit, aber auch Englisch, außerdem mit zwei nichtsprachlichen Codes, wie etwa DNA-Sequenzen sowie mit einem künstlichen System, der Programmiersprache Fortran.
Der Grad an Zufälligkeit ist entscheidend
Der Vergleich erfolgte auf der Basis der sogenannten bedingten Entropie, die gewissermaßen die relative Zufälligkeit der Anordnung der Zeichen beschreibt. Dabei zeigte sich, dass nichtlinguistische Systeme entweder ein völlig zufälliges Muster aufweisen oder einem ganz rigidem Regelsystem folgen.

Echte Sprachen liegen irgendwo dazwischen, das heißt, die Anordnung ihrer Zeichen gehorcht gewissen Regeln, besitzt aber auch ein bestimmtes Maß an Flexibilität.

Die Ergebnisse zeigten laut den Forschern eindeutig, dass die Zufälligkeit der Indu-Schrift der von anderen echten Schriftsystemen entspricht. Der Wert der Entropie war am ähnlichsten mit einer etwa gleichalten sumerischen Schriftform und mit jener des alten Tamilisch, einer Mischung aus Zeichen- und Silbenschrift.
Den Code knacken
 
Bild: J. M. Kenoyer / Harappa.com.

Die Ähnlichkeit mit der tamilischen Form ist demnach besonders interessant, denn schon manche Forscher hatten bei ihren Entschlüsselungsversuchen vermutet, dass die Indus-Schrift und somit auch die dazugehörige Sprache zu der in Südasien verbreiteten Dravidischen Sprachfamilie zählt oder vielleicht sogar deren Urform oder Proto-Sprache darstellt.

Die Forscher wollen der Schrift mit mathematischen Methoden nun weiter auf den Grund gehen. Sie analysieren die Struktur und die Syntax der Schriftzeugnisse, in der Hoffnung, sie möglicherweise eines Tages tatsächlich entziffern zu können.

Vorerst geht der Streit um die Echtheit der Schrift in eine weitere Runde. Die Autoren der Studie aus dem Jahr 2004 rund um Steve Farmer bezeichnen die aktuelle Arbeit in einer blitzschnell verfassten Replik als Unsinn. Ihre eigene Arbeit basierte auf archäologisch und linguistisch fundierten Argumente. Der aktuelle statistische Ansatz von Rao und seinem Team sei völlig unzureichend.

Eva Obermüller, science.ORF.at, 24.4.09
->   Indus-Schrift (Wikipedia)
->   Bedingte Entropie (Wikipedia)
->   Dravidische Sprachen (Wikipedia)
->   Rajesh Rao
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01.01.2010