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Alte und neue Mythen
Karrieren im modernen Wissenschaftssystem
 
  Auch die Wissenschaft hat ihre Mythen und Idole: Josef Penninger beispielsweise. Der Direktor des Instituts für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (IMBA) beschreibt seine Karriere als von Glück, Leidenschaft und Entscheidungsfreiheit getragen. Aber in wie weit können sich junge Forscher solche Erzählungen noch zum Vorbild nehmen? Entsprechen sie der Realität des heutigen Wissenschaftssystems? Dieser Frage widmet sich die vierte Veranstaltung der Serie "Wissenschaft im Wandel".  
Josef Penninger ist zwar erst knapp 45 Jahre alt. Mit seiner steilen Karriere als erfolgreicher Wissenschaftler im In- und Ausland zählt der Genetiker aber längst zu den Idolen vieler junger Nachwuchsforscher.

Halten Sie persönlich Ihre Karriere für eine vorbildliche, wissenschaftliche Laufbahn?

Penninger: "Nein, ich hatte einfach Glück. Ich war zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Ich hatte meine Karriere auch nicht geplant. Vieles in meiner Laufbahn war einfach Zufall. Ich hatte die Chance, relativ früh meine eigene Forschungsgruppe zu leiten und schon mit 29 Jahren ein Labor aufzumachen. Das war natürlich ein Meilenstein in meiner Karriere."
Karriere verlangt Kalkül
Der Molekularbiologe bedient mit dieser Selbsteinschätzung den alten Mythos vom "genialen Wissenschaftler", der für seine Forschung lebt und dessen Arbeit für sich selbst spricht. Tatsächlich reicht es heutzutage nicht mehr aus, ein hoch qualifizierter Wissenschaftler zu sein und gute Forschungsarbeit zu leisten. Eine Karriere in der Wissenschaft verlangt weitaus mehr Kalkül und Planung als noch vor zehn Jahren.

Denn der moderne Wissenschaftsbetrieb bietet nur mehr wenige solide und lebensfreundliche Arbeitsplätze für Nachwuchskräfte. Vor allem im boomenden Feld der Lebenswissenschaften sind die Top-Forschungsplätze rar gesät.
"Gute Karten" sammeln
Im Kampf um die begehrten Stellen zählen längst nicht mehr nur die Qualifikation und Ehrgeiz, sondern auch welche "guten Karten" man darüber hinaus auf dem Weg nach oben noch sammelt: das Studium an einer Elite-Uni, die Dissertation beim hochkarätigen Professor, der Auslandsaufenthalt und der PostDoc im renommierten Labor.

Dies zeigt sich auch deutlich in den Ergebnissen der ELSA-Studie "Living Changes in Life Sciences".
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Die Studie
Wie beeinflussen sich Gesellschaft und (Lebens)Wissenschaften? Unter dem Titel "Living Changes in the Life Sciences" hat sich ein Team vom Institut für Wissenschaftsforschung unter der Projektleitung von Ulrike Felt in einer ELSA-Studie im Rahmen des GEN-AU Genomforschungsprogramms dieser Frage gewidmet und die Veränderungen in Forschungskultur und Wissensproduktion an Hand ethischer, legaler/rechtlicher und sozialer Aspekte (ELSA) erörtert.
->   Mehr zur Studie:
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PostDocs immer älter
Mit 29 Jahren gehörten Sie zu den jüngsten Forschungsleitern. Ganz im Gegenteil zum Trend, dass die meisten Lebenswissenschaftler im Durchschnitt erst mit 35 Jahren ihren ersten fixen Forschungsplatz bekommen. Ist es heute schwieriger, in der Wissenschaft Karriere zu machen?

Penninger: "Das ist ein großes Problem, dass die Wissenschaftler immer älter werden, bevor sie eine Anstellung bekommen. Meist studieren die Leute länger als früher und sie absolvieren oft zwei PostDocs, bevor sie ihre erste Selbstständigkeit bekommen. Da bleibt viel Zeit auf der Strecke liegen. Das kann nicht nur der eigenen Karriere schaden, sondern wirkt sich letztlich auch auf das Wissenschaftssystem negativ aus, weil kreative Köpfe immer später zum Zug kommen. Darunter leidet letztlich die Innovationsleistung eines Landes."
Veränderte Arbeitswelt
Diese von Penninger beschriebenen Entwicklungen weisen auf einen massiven Wandel in der Wissenschaft hin. Etwas zeitverzögert zu anderen gesellschaftlichen Bereichen schwappt die moderne Arbeitswelt beziehungsweise auch auf das Wissenschaftssystem über.

Neue, meist befristete Arbeitsverhältnisse dominieren den Markt. Mobil zu sein, ist keine persönliche Stärke mehr, sondern absolute Notwendigkeit. Effizienznachweise und Qualitäts-Checks gehören zum Alltag eines Forscher-Daseins.
Maßstäbe für Karriere
Was waren zu Ihrer Zeit die Maßstäbe für eine erfolgreiche Laufbahn in der Wissenschaft. Welche gelten heute?

Penninger: "In meinen Augen hat sich nicht viel verändert. Dissertanten und PostDocs planen ihre Karriere immer noch gleich wie vor zehn Jahren: Zuerst Studium, dann Dissertation, PostDoc-Stelle, schließlich eine Assistenz-Professur. Das höchste Ziel, der essenzielle Schritt für alle angehenden Wissenschaftler, ist die Leitung der eigenen Forschungsgruppe - mit einer Förderung oder in einer konkreten Anstellung."
Ausweichposten "Industrie"
Tatsächlich funktioniert dieser traditionelle Weg nur mehr für eine kleine Minderheit der jungen Forscher. Stattdessen werden die Nachwuchskräfte mit einem komplexen Netzwerk aus unterschiedlichen Karrierewegen und -optionen konfrontiert.

Der Großteil der PostDocs, die eine längerfristige Anstellung suchen, muss nehmen, was die akademische Welt bislang als Alternative zum unabhängigen Forschungsleben verkauft hat - unter anderem der "Ausweichposten" in der Industrie.
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Veranstaltung "Wissenschaft im Wandel"
"Wissenschaft im Wandel. Alte und neue Konturen des Lebens und Arbeitens in den (Lebens)Wissenschaften" nennt sich die vierteilige Veranstaltungsreihe des Wiener Instituts für Wissenschaftsforschung im Rahmen der Veranstaltungsreihe Konturen - Standpunkte zur öffentlichen Repräsentation von Wissenschaftler/Innen und in Kooperation mit der Ö1-Wissenschaftsredaktion. Früher war alles anders: Karriereerzählungen als Praxis der Erinnerung heißt der letzte Teil, der sich mit den Berufs- und Lebenswegen von Wissenschaftlern verschiedener Generationen auseinandersetzt. Donnerstag, 30. April 2009, 19:30 Uhr im Böckelsaal der TU Wien (Karlsplatz 13, 1040 Wien).
->   Wissenschaft(ler) im Wandel:
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Zu viele Forscher, zu wenig Stellen
Aktuelle Studien weisen darauf hin, dass es zu wenig Stellen für die Vielzahl hoch qualifizierter Jungwissenschaftler gibt - ganz entgegen den Aussagen der heimischen und EU- Forschungspolitik, die propagieren, dass wir mehr Akademiker brauchen. Wie erleben Sie diese Situation?

Penninger: Tatsächlich gibt es immer weniger gute Plätze für immer mehr exzellente Forscher. Es herrscht ein großer Wettbewerb um die wenigen, wirklich guten akademischen Stellen. Um in der eigenen Karriere weiter zu kommen, muss man erst mal den Fuß in die Tür eines guten Labors bekommen.
Laissez faire vs. Strategie
Was hat Sie dazu bewogen, ins Ausland, nach Kanada, zu gehen?

Penninger: "Ich wollte einfach. Ich habe immer das gemacht, was mir die größte Freude gemacht hat. Das empfehle ich auch meinen Leuten: Tut das, was Ihr wirklich machen wollt. Leidenschaft ist immer noch ein Garant für Erfolg. Man arbeitet und forscht aus Liebe an der Sache und nicht aus Kalkül. Mathematisch genaues Planen von wissenschaftlicher Karriere halte ich für keinen guten Zugang."

Die Realität des modernen Forschungslebens gestaltet sich oft anders: Leidenschaft und Freude - die Motoren alter Wissenschaftler-Mythen - reichen längst nicht mehr aus, um eine Karriere in der Wissenschaft zu machen. Bedingt durch die hohe Konkurrenz meinen viele Jungwissenschaftler, sich spätestens als PostDocs eine Strategie zurecht legen zu müssen.
Laufbahn planen
Systematisches Planen lautet der Schlüssel dazu. In führenden wissenschaftlichen Zeitschriften wie beispielsweise "Science" wird empfohlen, möglichst früh einen Entwicklungs- und Karriereplan zu erstellen.

Dieser Karriereplan, der im Wirtschaftsleben bereits weit verbreitet ist, scheint für viele Akademiker noch ungewohnt - widerspricht er doch dem Mythos von Wissenschaft als einem primär von Neugier und Passion getriebenen Unterfangen.
Chancen im Ausland?
In der Zwischenzeit ist der Auslandaufenthalt kein Bonus mehr in der Biografie, sondern für Nachwuchsforscher absolute Notwendigkeit. Wie erleben Sie das?

Penninger: "Ich finde es schade, was in Österreich gerade passiert: Wir haben viele fantastische, exzellent ausgebildete und kreative PostDocs, die nach ihrem Aufenthalt im Ausland wieder nach Österreich wollen oder PostDocs, die hier bleiben wollen, aber hier sehr wenige wirklich gute Karrierechancen haben. Diesen Leuten bleibt nichts anderes übrig, als ins Ausland zu gehen. Wir vergraulen damit wertvolle Humanressourcen. Und für einen Wandel fehlt uns die kritische Masse wie in Amerika. Dort ist man sich der Potenziale kreativer Wissenschaftler bewusst und fördert diese auch."

Eva-Maria Gruber, science.ORF.at, 28.4.09
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01.01.2010