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Zu teuer: Österreich steigt bei CERN aus  
  Der Teilchenbeschleuniger LHC in Genf gilt als die größte Forschungsmaschine der Welt. Die Europäische Organisation für Kernforschung CERN, die ihn betreibt, soll in Zukunft ohne österreichische Beteiligung auskommen. Denn Österreich beendet seine CERN-Mitgliedschaft, wie Wissenschaftsminister Johannes Hahn (ÖVP) verlautbart hat. Kritik daran üben Teilchenphysiker von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).  
Hahn begründet den CERN-Ausstieg mit den Kosten in Höhe von insgesamt rund 20 Mio. Euro pro Jahr für die Mitgliedschaft.

Dies seien 70 Prozent der zur Verfügung stehenden Mittel für internationale Mitgliedschaften. Gleichzeitig gebe es zahlreiche neue Projekte auf europäischer Ebene, an denen sich Österreich beteiligen könnte.
Hahn: "Tut mir leid"
"Mir tut es um jede Mitgliedschaft leid, die wir nicht aufrechterhalten können", sagte Hahn vor Journalisten, man habe aber zwischen Weitermachen und dem Verzicht auf Zukunftsperspektiven abwägen müssen.

Obwohl Hahn durchaus beachtliche Budgetzuwächse für sein Ressort erhalten hat, unterstrich er die Bedeutung einer langfristigen Sicherheit beim Forschungsbudget: Planbarkeit und Stabilität seien notwendig.

Eine "Stop- and Go-Politik" sei in der Forschung nicht möglich, "deshalb prüfen wir, was wir mit jedem einzelnen Euro machen", sagte Hahn.
Akademie-Institutsleiter: "Schwarzer Tag für Forschung"
Einen "schwarzen Tag für die österreichische Forschung" sieht darin der Leiter des Instituts für Hochenergiephysik (HEPHY) der ÖAW, Christian Fabjan. Er akzeptiere die budgetären Schwierigkeiten, doch die angestrebten Konsequenzen "sind für mir nicht nachvollziehbar".

CERN sei eine der sichtbarsten europäischen "Elite-Forschungsstätten", so Fabjan. Die heimische Teilchenphysik habe international immer mit an der Spitze gestanden. Das HEPHY habe seit rund 15 Jahren "intellektuelle und finanzielle Beiträge" an CERN geliefert sowie "sichtbare Komponenten mitentwickelt und gebaut", so der seit Februar dieses Jahres amtierende Institutsleiter, der selbst jahrelang am CERN gearbeitet hat.
Konsequenzen für die Wirtschaft
Es sei kaum nachvollziehbar, dass man nun kurz vor dem Start der weltgrößten Forschungsmaschine, dem LHC (Large Hadron Collider), den Austritt anstrebe. "Die Zahl der registrierten Gastwissenschaftler am CERN ist in den vergangenen vier Jahren um 50 Prozent gestiegen", verwies Fabjan auf die "Attraktivität" des Zentrums.

Ein Austritt habe aber auch Konsequenzen für die Wirtschaft. Österreich habe zudem ein "häufig kopiertes" Ausbildungsprogramm am CERN gestartet, im Rahmen dessen jährlich zehn Doktorandenpositionen vergeben würden. Zudem würde die physikalische Forschung in Österreich an sich mit dem Beschluss "massiv unter Druck kommen" und "verarmen".
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Akademie-Institut
Das Hochenergiephysik-Institut hat knapp 70 Mitarbeiter, neun sind permanent am CERN-Standort in Genf beschäftigt. Mit diesen sind insgesamt 40 HEPHY-Mitarbeiter laut Fabjan vor allem an dem Experiment CMS (Compact Muon Solenoid), eines von vier LHC-Nachweisgeräten, beteiligt. Das Kernforschungszentrum sei ein Schwerpunkt des eigenen Instituts.
->   Institut für Hochenergiephysik, ÖAW
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"Problematische" Teilchenphysik
Der wissenschaftliche Output des CERN sei unbestritten, betont man im Ministerium. Die Sichtbarkeit kleiner Staaten bzw. einzelner Wissenschaftler bei den riesigen CERN-Experimenten mit rund 2.000 Akteuren sei aber "eher gering".

Zudem gebe es für die seit 1959, also genau 50 Jahre bestehende CERN-Mitgliedschaft Österreichs hierzulande "nur einen Brückenkopf", das Institut für Hochenergiephysik (HEPHY) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien.

Die Probleme bei der vergangenen Suche nach einem neuen Direktor für das HEPHY betrachtet man im Ministerium auch als Indiz dafür, "dass die Teilchenphysik in Österreich nicht jenen Stellenwert hat, wie etwa die Quantenphysik".
Freie Mittel für FWF und andere Bereiche
Viele andere wissenschaftliche Schwerpunkte wären durch den hohen Budgetbedarf für CERN von der Beteiligung an einer Fülle anderer europäischer Forschungs-Infrastrukturprojekte, die derzeit im Entstehen sind, "abgeschnitten", argumentiert Hahn. Dafür soll ein Teil der durch den CERN-Austritt freiwerdenden Mittel verwendet werden. Aber auch der FWF und andere noch nicht festgelegte Bereiche sollen davon profitieren.

Seitens des Ministeriums betont man, gegenüber neuen Entwicklungen in der Forschungsinfrastruktur aufgeschlossen zu sein und auch in Zukunft auf europäischer Ebene eine aktive Rolle spielen zu wollen. So verweist Hahn auf die Mitgliedschaft Österreichs bei der Europäischen Südsternwarte ESO seit vergangenem Jahr.

Und er nennt die sogenannte "European Roadmap for Research Infrastructures", ein Katalog mit rund 40 Projektvorschlägen für Großforschungseinrichtungen in Europa aus verschiedenen Disziplinen. Die EU-Mitgliedsländer, aber auch andere Staaten sind eingeladen, sich an diesen Projekten zu beteiligen.
Hoffen auf neue Zusammenarbeit mit dem CERN
Hahn hofft, eine "neue Form der Zusammenarbeit" mit dem CERN zu finden, und nennt das Ende der Beteiligung auch immer wieder als "Pausieren". Er verweist in diesem Zusammenhang auf die rund 30 Staaten, die zwar nicht CERN-Mitglied, aber in verschiedener Intensität mit dem Forschungszentrum kooperieren.

Formal ist für die Beendigung der CERN-Mitgliedschaft, die per Staatsvertrag geregelt ist, ein Beschluss der Regierung und des Nationalrats notwendig, den Hahn noch im Juni anstrebt. Die Mitgliedschaft könnte dann mit Ende 2010 ruhend gestellt werden.

[science.ORF.at/APA, 7.5.09]
->   Wissenschaftsministerium
->   CERN
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   CERN-Ausstieg: Forscher sind entsetzt
 
 
 
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01.01.2010