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CERN-Ausstieg: Forscher sind entsetzt  
  Nachdem das Wissenschaftsministerium erklärt hat, Österreichs CERN-Mitgliedschaft zu kündigen, hagelt es Proteste. Der Wiener Physiker Walter Thirring hält die Entscheidung etwa für eine "Katastrophe".  
Kein Verständnis im CERN
CERN-Generaldirektor Rolf-Dieter Heuer sagte: "Es wäre im besten Interesse Österreichs", ein Mitglied der Europäischen Organisation für Kernforschung CERN zu bleiben. Seine Organisation würde es sehr bedauern, Österreich als Mitgliedsstaat zu verlieren.

Das CERN sei "nicht nur ein Zentrum für Forschung, sondern auch für Technologie und Ausbildung", und alle Mitgliedsstaaten würden davon profitieren. "Darüber hinaus ist CERN eine Organisation, die das Verständnis zwischen Nationen fördert, was in dieser Zeit besonders wichtig ist", so Heuer.
Thirring: "Leuchtsignal könnte verglimmen"
Der renommierte Wiener Physiker Walter Thirring ist über den Ausstieg Österreichs aus dem Europäischen Kernforschungszentrum CERN entsetzt. "Das ist eine Katastrophe, CERN ist ein Sinnbild dafür, dass Europa alle anderen Länder überflügeln kann, wenn es zusammenhält", sagte Thirring. Er war seit der Gründung des CERN 1954 in verschiedenen Funktionen tätig, von 1968 bis 1971 war er Direktor des Forschungszentrums.

Thirring fürchtet nun durch den Ausstieg Österreichs, dass auch andere Mitgliedsländer abbröckeln könnten. Das "Leuchtsignal der Wissenschaft" könnte verglimmen. Der Physiker erinnerte daran, dass ohne CERN die Welt anders aussehen würde, schließlich wurde am Forschungszentrum das Wold Wide Web entwickelt.
Einziger Austritt von Jugoslawien
Als einziges Land ist bisher 1961 Jugoslawien dauerhaft aus CERN ausgetreten, Spanien trat vorübergehend im Jahr 1969 aus und 1983 wieder ein. Dass weitere Länder dem Beispiel Österreichs aufgrund finanzieller Engpässe folgen können, glaubt man am CERN nicht.

Kurz vor dem Start der Experimente mit dem Large Hadron Collider (LHC), der ab Ende September Teilchen mit bisher unerreichter Energie zur Kollision bringen soll, scheint es der Organisation "widersprüchlich, jetzt auszutreten". Die Länder hätten "über viele Jahre Zeit, Geld und intellektuelle Anstrengungen" investiert. Außerdem hätten - im Gegensatz zu den heimischen Absichten - einige neue Länder ihren Wunsch geäußert, CERN beizutreten.
Studentenproteste
Physik-Studenten der Wiener Universitäten kommentieren den angekündigten Ausstieg in einer Aussendung folgendermaßen: Es handle sich um einen "groben Einschnitt in die österreichische Forschungslandschaft", der Praktika österreichischer Studenten an dieser Einrichtung gefährde. Auch Diplomarbeiten und Dissertationsstellen hingen nun "in der Luft", warnte die Vorsitzende der Studienvertretung Physik an der Uni Wien, Carina Karner, in einer Aussendung.

Am CERN-Projekt seien viele hochkarätige österreichische Wissenschafter und Lehrende beteiligt. Daher würden auch die heimischen Universitäten, besonders die Studierenden, enorm profitieren. Durch den Ausstieg gehe die Möglichkeit, an diesem internationalen Projekt mitzuwirken, verloren.

Karner wirft Hahn vor, kurzsichtige Wissenschaftspolitik zu betreiben. "Wie soll Österreich jemals wieder einen Nobelpreis bekommen, wenn hochkarätige Wissenschaft mit Füßen getreten wird?"

"Die budgetäre Prioritätensetzung in Österreich läuft in eine komplett falsche Richtung", kritisierte Bianka Ullmann, Vorsitzende der Studienvertretung Physik an der TU Wien. Während für Banken 100 Milliarden Euro ohne Probleme locker gemacht werden könnten, seien 20 Millionen für ein wissenschaftliches Großprojekt zu viel verlangt.
Pietschmann: "Historischer Irrtum"
Herbert Pietschmann, ehemals österreichischer Delegierter im CERN-Aufsichtsrat und früherer Direktor des Instituts für Hochenergiephysik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, spricht in einem Brief an Hahn von einem "historischen Irrtum".

Er vermute, dass der Minister über die Konsequenzen "nicht ausreichend informiert" wurde, da er, Pietschmann, und andere "einschlägig ausgewiesene österreichische Fachleute" erst aus den Nachrichten vom CERN-Austritt erfahren hätten. Er warnte, dass Österreich als Land, "das so gewichtige Zeichen des Desinteresses an einem der grundlegendsten Forschungsbereiche der Physik setzt", auch in anderen Bereichen der physikalische Grundlagenforschung "an Gewicht verliert".

Pietschmann äußerte außerdem die Befürchtung, dass Österreich durch seinen Austritt aus finanziellen Gründen "die Hemmschwelle für andere Länder gesenkt" habe. Als Folge könne das CERN-Programm so weit geschädigt werden, dass wesentliche Entdeckungen "in die ferne Zukunft verschoben werden oder gar ausbleiben."

Der Physiker appellierte an Hahn, den Austritt nicht zu vollziehen und "den Schaden, der schon durch Ihre Ankündigung entstanden ist, möglichst zu beschränken."

[science.ORF.at/APA, 8.5.09]
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   Zu teuer: Österreich steigt bei CERN aus
 
 
 
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01.01.2010