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Auch Tagträumen ist komplexe Hirnarbeit  
  Wenn Menschen in Tagträume verfallen, werden mehrere Gehirnregionen aktiv. Laut einer Studie, die erstmals versucht hat, Tagträume direkt zu beobachten, sind die Vorgänge dabei komplexer, als man bisher angenommen hat.  
Woran denken Sie beim Staub saugen?
Bei monotonen Aufgaben schweifen unsere Gedanken gerne ab - das Gehirn begibt sich auf Wanderschaft. Tagträume sind damit nicht nur eine Form des Müßiggangs und Quelle neuer Ideen, sie helfen uns auch langweilige Momente leichter zu überstehen.

Seit längerer Zeit weiß man, dass dabei bestimmte Gehirnregionen besonders aktiv sind. Ein sogenanntes "Standardnetzwerk" beginnt dann zu arbeiten, wenn unser Gehirn rastet, also wenn wir nichts Bestimmtes tun oder uns nur leichten Aufgaben widmen - wie etwa Staub saugen.

Beim Tagträumen helfen aber auch andere Gehirnregionen mit, die normalerweise dann aktiv sind, wenn wir uns auf komplexe Tätigkeiten konzentrieren. Das haben Wissenschaftler um die Psychologin Kalina Christoff am Brain Research Centre der Universität Britisch Columbia herausgefunden und in der Fachzeitschrift PNAS (online) veröffentlicht.
Befragen und messen
Wenn Gehirnforscher grundlegende Vorgänge wie das Tagträumen studieren, müssen sie deren Komplexität reduzieren und methodisch eingrenzen: Denn wie weiß man, ob jemand tagträumt?

Um dies festzustellen, wurden Versuchspersonen bisher danach befragt, und man war so auf das persönliche Urteil angewiesen. Für die nun veröffentlichte Studie haben die Forscher versucht, die Tagträumerei auch direkt zu messen, und dabei die Aktivität des Standardnetzwerks bestätigt.

Die Wissenschaftler schoben Versuchspersonen in einen Magnetresonanz-Tomographen und beobachteten das Gehirn, während sie eine monotone Aufgabe zu lösen hatten ("SART-Test"). Die Teilnehmer bekamen eine Abfolge von Ziffern gezeigt und mussten in bestimmten Momenten einen Knopf drücken. Etwa die Hälfte der Personen machte dabei Fehler, obwohl sie glaubten konzentriert zu sein.

SART-Test zum Selbermachen
Bewusstes und unbewusstes Tagträumen
Einige Sekunden vor dem Auftreten des Fehlers waren bei diesen Personen aber genau jene Gehirnregionen des Standardnetzwerks aktiv, die auch bei Tagträumen angeregt werden. Daraus schließen die Forscher, dass manche Probanden unbewusst tagträumten.

Bei diesen Personen, die sich nicht an die Tagträume erinnern konnten, zeigte das dafür zuständige Standardnetzwerk stärkere Impulse, als bei jenen Menschen, die bewusst tagträumten - die also auf Nachfrage wussten, dass sie sich gerade nicht auf die Aufgabe konzentriert hatten.
Parallele Aufgaben
Unklar ist noch, warum sich am Tagträumen auch Gehirnregionen beteiligen, die eigentlich für das Gegenteil zuständig sind, nämlich für das Konzentrieren auf komplizierte Aufgaben. Im Gegensatz zum Standardnetzwerk bezeichnen die Autoren diese Gehirnregionen als das "ausführende Netzwerk". Bisher glaubte man, dass sich die Aktivität beider Netzwerke gegenseitig ausschließt.

Diese Regionen des ausführenden Netzwerks sind auch dann aktiv, wenn wir vor Konflikten stehen oder wenn wir mehrere Aufgaben gleichzeitig lösen müssen. Daher glauben die Autoren, dass uns Tagträumen dabei helfen könnte. Denn auch, wenn es uns von einem Ziel ablenkt, könnte es uns darauf vorbereiten, gleichzeitig etwas anderes zu tun und dies bewusst zu koordinieren.
Ungelöste Vergangenheit
Es könnte sich aber auch um eine Kontrolle des Gehirns handeln. Das ausführende Netzwerk könnte feststellen, dass die Gedanken abdriften, und wird aktiv, damit die Person sich bewusst wieder auf die eigentliche Aufgabe konzentriert.

Am wahrscheinlichsten halten die Forscher jedoch eine dritte Möglichkeit: Bei Tagträumen tauchen manchmal ungeliebte Erinnerungen auf oder es entstehen Gedanken, die den moralischen Werten der Person zuwiderlaufen. Unser Gehirn arbeitet dann daran, diesen Konflikt zu bewältigen.

Mark Hammer, science.ORF.at, 12.5.09
->   Kalina Christoff
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Was das Gehirn beim Tagträumen macht
 
 
 
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01.01.2010