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TV-Comedy als Gradmesser für soziale Intelligenz  
  Ricky Gervais hat nicht nur einen komischen Namen, der Schauspieler spielt in der BBC-TV-Serie "The Office" auch eine ziemlich komische Rolle. Als übermotivierter Büroleiter mit geringer sozialer Intelligenz tappt er in so gut wie jedes Fettnäpfchen. Dass die Figur des David Brent auch zu Studienzwecken taugt, haben nun britische Psychologen bewiesen.  
Kinder, die sich Episoden der TV-Serie ansahen, schätzten das asoziale Verhalten von Brent ein - und dies diente als Gradmesser für die eigene soziale Intelligenz.

Sie ist umso höher, je früher ihre Mütter offen über Gefühle, Wünsche und Absichten gesprochen haben, berichten die Psychologen Nicola Yuill und Ted Ruffmann von der Universität in Sussex.
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Von dem entsprechenden Forschungsprojekt "The relation between parenting, children's social understanding and language" berichtet der britische Rat für wirtschaftliche und soziale Forschung ESRC in einer Aussendung. Einige Ergebnisse des Projekts werden oder wurden in in verschiedenen psychologischen Fachzeitschriften veröffentlicht.
->   ESRC
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"Unsensibel in sozialen Situationen"
 
Bild: BBC

Bei der Studie wurde das Verhalten von Müttern und ihren Kindern vom dritten bis zum zwölften Lebensjahr untersucht. Im Mittelpunkt stand ihr Verständnis von sozialen Vorgängen - bei Acht- bis Zwölfjährigen wurde dies u.a. durch die Interpretation von "The Office" überprüft.

Den Sinn erklärt Nicola Yuill so: "Ricky Gervais' Rolle des David Brent ist ein typisches Beispiel für jemanden, der sehr unsensibel ist und der soziale Situationen völlig falsch beurteilt. Wir zucken zusammen und sind unangenehm berührt, wenn wir sein Verhalten, dem jedes Sozialverständnis fehlt, beobachten."
->   YouTube-Beispiel: The Office - The Dance
Offenes Sprechen über Gefühle ...
Etwa im Alter von acht Jahren beginnen sich Kinder ähnlich wie die Erwachsenen über die entsprechenden Szenen zu wundern. Mit zwölf können sie bereits genauso sozial intelligent sein wie ihre Eltern.

Dabei hat sich aber bereits in früheren Studien ein Zusammenhang zwischen dem Verhalten der Mütter und der Entwicklung ihrer Kinder gezeigt. "Mental State talk" nennen die britischen Psychologen den Umstand, wenn Mütter offen über Gefühle, Wünsche, Bedürfnisse und Absichten mit ihren Kindern sprechen.

Geschieht dies von klein auf, sind die Kinder später besser in der Lage, die Perspektive von anderen einzunehmen. Und das begünstigt wiederum soziale Fähigkeiten, die beim Spielen und Zusammenarbeiten mit anderen Kindern wichtig sind.
... hilft sozialer Intelligenz von Kindern
Der Zusammenhang zwischen diesem "Gemütszustandssprechen" der Mütter und dem Sozialwissen der Kinder ist bei den Drei- bis Sechsjährigen am größten. Und er zeigt sich unabhängig von anderen Parametern wie z.B. dem Intelligenzquotienten der Mütter, wie die Forscher betonen.

Je älter die Kinder werden, umso geringer ist der Zusammenhang. Dafür bieten Nicola Yuill und Ted Ruffmann zwei Erklärungen an: Entweder ist der Einfluss durch gleichaltrige Peer-Groups bei älteren Kindern bereits entscheidender oder es liegt an genetischen Dispositionen.
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57 Mütter und Kinder über neun Jahre analysiert
Für die Studie wurden ursprünglich 82 Mütter mit dreijährigen Kindern ausgewählt. Der Untersuchungszeitraum reichte bis zum zwölften Lebensjahr der Kinder, in der Zwischenzeit verringerte sich die Probandenanzahl auf 57 Familien.
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Sozialintelligenz garantiert Sozialverhalten nicht
Ein Nebenaspekt der psychologischen Studien fällt besonders in Auge: Die erlernte Sozialintelligenz hängt nicht unbedingt mit positivem Sozialverhalten zusammen. Bei Experimenten, die das Kooperationsverhalten von Kind und Mutter untersuchten, verhielten sich beide egoistischer, wenn hohe Sozialintelligenz vorhanden war.

"Aufgrund unserer Ergebnisse würde ich sicher nicht sagen, dass soziales Verständnis auch soziales Verhalten garantiert. Verstehen ist nur die eine Seite der Medaille, seine sozial wertvolle Umsetzung die andere", meint Nicola Yuill.

In der Literatur gebe es Studien, die zeigen dass etwa Kinder, die andere Kinder terrorisieren ("Bullying"), über ein sehr ausgeprägtes Sozialverständnis verfügen.
Väter nicht untersucht
Als prinzipielle Grundlage zum Erlernen von positivem Sozialverhalten rät die Psychologin Müttern jedenfalls zur Offenheit gegenüber ihren Kindern: "Über Gefühlszustände zu sprechen ist nicht schwierig. Man braucht dazu keine guten Sprachkenntnisse und noch nicht einmal selbst ein feines Sozialverständnis."

Warum die Forscher nicht auch den Einfluss der Väter auf das Sozialverhalten ihrer Kinder untersucht haben, erklärt Yuill gegenüber science.ORF.at folgendermaßen: "Als wir die Forschungen vor 14 Jahren begonnen haben, gab es einfach viel mehr Mütter als erste Bezugspersonen. Die Untersuchung der wenigen Väter hätte keine aussagekräftigen Schlüsse zugelassen. Ich bin nicht sicher, ob ich Unterschiede zwischen dem Einfluss von Müttern und Vätern erwarten würde, aber das wäre natürlich eine interessante Frage."

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 13.5.09
->   Chatlab von Nicola Yuill, Universität Sussex
->   The Office, BBC
->   Ricky Gervais, Wikipedia
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Intelligenzvergleich Affe-Mensch: Sozialfaktor sticht
->   Der soziale "Ausschluss" greift um sich
 
 
 
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01.01.2010