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Haben Menschen den Neandertaler gegessen?  
  Die Analyse eines Knochenfunds bringt einen Forscher auf eine gewagte These: Der Homo sapiens könnte Neandertaler verspeist haben und so zumindest mitschuldig an deren Verschwinden sein.  
Laut den Forschern ist das ein Hinweis darauf, dass das Aussterben der Art unter Umständen gewaltsamer war als bisher angenommen.
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Die Studie "Cutmarked human remains bearing Neandertal features and modern human remains associated with the Aurignacian at Les Rois" von Fernando Rozzi et al. ist im "Journal of Anthropological Sciences" (Bd. 87, 2009) erschienen.
->   Zur Studie (pdf-Datei)
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Ungeklärtes Aussterben
Der Neandertaler tauchte vor etwa 300.000 Jahren in Europa auf, überlebte einige Eiszeiten und verschwand dann vor 30.000 Jahren endgültig von der Bildfläche, ungefähr zur selben Zeit als der moderne Mensch aus Afrika in unseren Breiten ankam.

Warum er verschwunden ist, ist noch immer nicht restlos geklärt. Manche Forscher meinen, sie hätten einen radikalen Klimawandel nicht überlebt. Neuere Studien vermuten allerdings, dass er dem Menschen im Kampf um Ressourcen nicht gewachsen war.

Das relativ zeitgleiche Auftreten und Verschwinden der beiden Arten war jedenfalls schon bisher Anlass für viele Spekulationen über die Art ihrer kurzen Koexistenz.
->   Studie: Neandertaler nicht durch Eiszeit ausgestorben (12.9.07)
Verräterische Schneidespuren
Laut Fernando Rozzi vom Paris's Centre National de la Récherche Scientifique haben die Neandertaler und die Mensch keineswegs friedlich nebeneinander gelebt und der Kampf war mitunter auch blutig. Mehr noch: Manchmal hätten die Menschen ihre Konkurrenten sogar verspeist.

Die Analyse eines Knochenfunds aus Les Rois in Südwestfrankreich scheint seiner Vermutung jetzt recht zu geben. Die Forscher haben Funde aus der Höhle nochmals untersucht. Bisher war man davon ausgegangen, es handle sich um menschliche Überreste.

Wie die neue Untersuchung zeigte, war aber auch der Kieferknochen eines Neandertaler-Kindes darunter. Darauf fanden sich Schneidespuren, ähnlich jenen, die entstehen, wenn das Fleisch eines Hirsches oder anderen Tieres mit Hilfe von Steinwerkzeugen entfernt wird.
Gewaltsames Ende
Für Rozzi ein klarer Beleg, dass Menschen Neandertaler attackierten, sie manchmal töteten und den Kadaver dann mit in ihre eigene Höhle nahmen. Dort sollen sie dann das Fleisch verspeist haben. Die Kieferreste dienten als Trophäen, Zähne wurden auf Ketten gefädelt. So jedenfalls die Theorie des Anthropologen. Er glaubt, dass die ausgestorbene Art durch menschliche Hände ihr Ende fand.

Es gibt aber auch andere Meinungen in seinem Team. So meint etwa Francesco d'Errico vom Prähistorischen Institut in Bordeaux im englischen "The Observer", dass eine einzige derartige Spur ein recht geringer Beweis für echten Kannibalismus sei. Vielleicht hätten die Menschen den Knochen auch nur gefunden und dann daraus den Schmuck gefertigt.

Die Bestätigung der These wird also vermutlich noch einige Belege brauchen. Dennoch zeigt die Studie laut Chris Stringer vom Natural History Museum in London, dass Menschen und Neandertaler in irgendeiner Form interagiert haben müssen, manchmal vielleicht auch gewaltsam. Es werde jedenfalls immer wahrscheinlicher, dass das Verschwinden der Art mit dem Menschen zu tun gehabt haben muss.

[science.ORF.at, 19.5.09]
->   Centre national de la recherche scientifique
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->   Kannibalistische Riten bei Neandertalern (5.12.06)
->   Homo sapiens hatte Sex mit Neandertalern (31.10.06)
->   Neandertaler lebten länger als angenommen (14.9.06)
 
 
 
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01.01.2010