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Sozialleben lässt Gehirn nicht wachsen  
  Evolutionäre Theorien besagen, dass das Sozialleben wesentlich zum Wachstum des Gehirns bei Säugetieren beigetragen hat. Eine aktuelle Studie stellt diese Annahme nun infrage: Der Vergleich zahlreicher Arten legt nämlich nahe, dass das Gehirn mancher Tiere unabhängig von ihrem Sozialverhalten gewachsen und manchmal auch wieder geschrumpft ist.  
Zumindest stimmt das laut US-Forschern für mehrere der untersuchten lebenden und auch ausgestorbenen fleischfressenden Arten.
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Die Studie "Brain-size evolution and sociality in Carnivora" von John A. Finarelli und John J. Flynn ist in der aktuellen Ausgabe der "Proceedings of the National Academy of Sciences" (26. Mai 2009, DOI: 10.1073/pnas.0901780106) erschienen.
->   Zum Abstract der Studie (sobald online)
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Anforderungen des Zusammenlebens
 
Bild: Paddy Ryan, AMNH

Afrikanische Wildhunde leben in Gruppen und haben ein großes Gehirn.

Tiere, die in Gruppen leben, müssen ähnlich wie Menschen miteinander interagieren und ihr Zusammenleben organisieren. Studien zu diesem Thema vermuten, dass die dafür notwendigen kognitiven Fähigkeiten wesentlich zur Entwicklung ihres Gehirns beigetragen haben.

Demnach hätte das Leben in komplexen sozialen Gefügen zum Anwachsen der Großhirnrinde geführt. Das würde auch erklären, warum etwa Primaten und Menschen so große Gehirne besitzen, zumindest im Verhältnis zu ihren Körpern. Dieser Größe wiederum verdankten sie unter anderem ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten.

Tatsächlich gibt es laut John A. Finarelli von der University of Michigan und John J. Flynn vom American Museum of Natural History einige Indizien dafür, dass das Wachstum des Gehirns mit einer größeren Flexibilität im Verhalten einherging und die Anpassung an neue Umgebungen erleichterte. Das zeigen etwa Studien an Hunden, Affen und Vögeln.
Evolutionäre Veränderung der Gehirngröße
Um die breitere Gültigkeit dieser These zu überprüfen, haben die Forscher nun erstmals Daten verschiedener fleischfressender Landtiere verglichen, insgesamt 289, die Hälfte davon stammten von bereits ausgestorbenen Arten. Die noch lebenden Fleischfresser bestanden aus 15 Familien, darunter unter anderem Hunde, Katzen und Bären.

Für alle Arten wurden Gehirngröße und Körpermasse erfasst, um die relative Gehirngröße zu bestimmen. Dann wurde die Entwicklung innerhalb der einzelnen Arten nachgezeichnet. So wollten die Wissenschaftler einen möglichst kompletten evolutionären Baum der gesamten Tiergruppe rekonstruieren.
Unterschiedliche Entwicklungsmuster
Bild: Miles Roberts, AMNH
Soziale Erdmännchen mit kleinem Gehirn
Die Ergebnisse zeigten, dass die Gehirnentwicklung in Bezug auf die Größe bei den einzelnen Familien sehr unterschiedlich verlief.

So blieb die Gehirngröße mancher Arten über einen relativ langen Zeitraum gleich groß, wie etwa bei den Katzenartigen, der neben den Katzen u.a. Hyänen angehören. Nur das Gehirn der kleinen Katzen ist deutlich gewachsen. Bei anderen Familien schrumpfte das Hirn sogar.

Hundeartige hingegen haben erst vor relativ kurzer Zeit eine sprunghafte Vergrößerung durchlaufen. Entfernt man letztere aus der Gesamtanalyse, bleibt laut den Forschern überhaupt kein statistischer Zusammenhang zwischen Gehirngröße und Geselligkeit über.

Und selbst bei Hunden sei nicht klar, ob das Zusammenleben die Gehirnentwickelung tatsächlich befördert hat oder es nicht selbst ein Nebenprodukt gewesen ist.
Lieber allein - trotz großem Gehirn
 
Bild: R. Mickens, AMNH

Der Brillenbär: lieber allein, trotz großem Gehirn

Nicht nur im entwicklungsgeschichtlichen Vergleich, sondern auch beim Vergleich heute lebender Fleischfresser zeigten die Studie große Unterschiede. Denn wenn das Sozialleben die Ursache für ein großes Gehirn wäre oder umgekehrt große Gehirne ein derartiges Zusammenleben fördern, müssten auch Bären, Katzen und Wiesel in Gruppen leben. Die allerdings bevorzugen das Einzelgängerdasein.

Es gibt aber auch Gegenbeispiele: Hyänen und Mungos haben ein relativ kleines Gehirn. Dennoch leben manche in Gruppen.

In jedem Fall sollte man nach Ansicht der Forscher andere Erklärungen für die Entwicklung des Gehirns von Säugetieren suchen, auch wenn das Zusammenleben für manche Arten dabei eine Rolle gespielt haben mag.

Eva Obermüller, science.ORF.at, 26.5.09
->   John A. Finarelli
->   John J. Flynn
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01.01.2010