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Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
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Von Walt Disney bis science.ORF.at
Eine Geschichte der Wissenschaftskommunikation
 
  Die Wissenschaft braucht nicht nur den Diskurs ihrer Community, sondern auch die Öffentlichkeit. Dafür gibt es die Wissenschaftskommunikation, die in den USA der 1950er wichtige Impulse bekommen hat. Walt Disney persönlich hat damals Filme gedreht, um die schöne neue Welt der Atomkraft zu erklären.  
In Filmen wie "Our Friend, the Atom" kamen auch echte Wissenschaftler vor, wie der deutsche Physiker Heinz Haber. Er war es auch, der die amerikanische Popularisierung von Wissenschaft in den deutschen Sprachraum transferierte: als "Fernsehprofessor" und Gründer der Zeitschrift "Bild der Wissenschaft".

Welche Unterschiede es dennoch gegeben hat und gibt, beschreibt die deutsche Wissenschaftshistorikerin Ina Heumann in einem science.ORF.at-Interview.
Bild: YouTube
Der "Atomgeist" ist aus der Flasche (Disneyfilm)
science.ORF.at: Sie sind nun schon seit vier Jahren in Wien und haben sicher schon die Anti-Atom-Stimmung in Österreich mitbekommen. Hätte Walt Disney im Jahr 2009 eine Chance, die Österreicher von den Segnungen der Atomenergie zu überzeugen so wie in den USA der 1950er Jahre?

Ina Heumann: Ich glaube nicht. Disney hat damals die Sehnsüchte der Zeit bedient und auch geschaffen: die Euphorie für den Weltraum, die Erschließung neuen Raums etc. Und mit Atomkraft sollten die Raketen betrieben werden. Diese Utopien sind nicht mehr vorhanden.

Rein formal: Kann man mit Comics im TV heute noch jemandem hinter dem Ofen des Unwissens hervorholen?

So wie alle Filme von Disneys Tomorrowland-Serie bestand auch "Our Friend, the Atom" aus erklärenden Passagen im Labor mit Heinz Haber als Wissenschaftler und Trickfilmsequenzen. Das ist heute altmodisch. Damals hat es aber ein unglaubliches Medienecho verursacht, hatte tolle Quoten, wurde in der Schule eingesetzt etc.


Walt Disney präsentiert "Our Friend, the Atom"
Bild: YouTube
Heinz Haber in "Our Friend, the Atom"
Wie ist die Filmreihe ursprünglich entstanden?

Als Teil einer Medialisierung von flugtechnischem und -medizinischem Wissen durch Wissenschaftler, die die Amerikaner aus Nazi-Deutschland mitgenommen hatten: u.a. Wernher von Braun, Hubertus Strughold und eben Heinz Haber. Das Wochenmagazin "Collier's" brachte Anfang der 1950er Jahre eine bildreiche und kreative Serie über die Möglichkeiten des bemannten Raumflugs, von Braun und Heinz Haber waren darin prominent vertreten.

Darauf wurde Walt Disney aufmerksam und er engagierte die beiden samt Willi Ley als Moderatoren. Die Filme entsprangen Disneys Vorstellung von nationaler Stärke, die auch über Technologie funktioniert hat. Im Hintergrund der Filme stand ein Gemisch aus militärischen, politischen und industriellen Interessen, die nicht zuletzt dem Kalten Krieg entsprangen.
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Vortrag in Wien
Ina Heumann hält am 27. Mai, 18 Uhr c.t. den Vortrag "Stile der Wissenschaftskommunikation. Deutsch-amerikanische Transfergeschichten von 1945 bis in die 1970er Jahre".
Ort: Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien
->   Mehr über den Vortrag
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Würden Sie sagen, die Filme waren typisch amerikanisch?

In gewisser Weise ja. Beim Transfer der Idee nach Deutschland sieht man, dass es in den USA eine ganz andere Tradition von Bildung und Wissenschaftsjournalismus gibt. Bildung ist dort nicht so stark an bildungsbürgerliche Werte und Distinktionsbedürfnisse gebunden, es gibt weniger Scheu, Wissen konsumierbar und populär zu machen. Die Sorge, dass man Wissen nicht runterbrechen darf, weil dadurch wesentliche Bestandteile verlorengehen: Diese Angst ist im deutschen Sprachraum in besonderer Weise ausgeprägt, die bis in die Gegenwart reicht.

Das Gegenbeispiel ist das Wissenschaftsmagazin "Scientific American", das als ältestes bis heute bestehendes Periodikum der USA gilt, gegründet 1845 ...

Ja, wobei es ursprünglich ein Forum für neue Erfindungen und Patente war. Um Wissenschaftskommunikation im heutigen Sinne ging es erst seit den 1940er Jahren, als das Blatt an zwei "Life"-Redakteure verkauft wurde. Die haben ihre Programmatik stark am wissenschaftspolitischen Schlagwort des "reinen Wissens" (pure science) ausgerichtet, um vom handwerklichen Charakter des alten "Scientific American" Abstand zu nehmen. D.h., sie konzentrierten sich vor allem auf die Veröffentlichung von Wissen jenseits seiner Anwendung.
Zugleich sollte ein breites Publikum angesprochen werden?

Programmatisch ja. Das Motto lautete: Vor den unendlichen Weiten des Wissens ist jeder ein Laie. Wenn man sich aber die Leserbriefschreiber ansieht, sind das selbst immer Wissenschaftler. Der "interessierte Laie" war mehr Forscher als Laie. Als der "Scientific American" 1986 an den deutschen Holtzbrinck-Verlag verkauft wurde, gab es noch einmal eine Verschiebung dessen, was wissenswert ist.

 
Bild: Ina Heumann

Sie haben mir das erste "Bild der Wissenschaft" und ein zeitnah erschienenes Exemplar des "Scientific American" mitgebracht ...

Ja, da sieht man schon auf den ersten Blick eine starke Ähnlichkeit, die von Heinz Haber auch gewünscht war. Er war selbst Autor des "Scientific American" und wollte davon eine deutsche Version machen. Das lehnten die damaligen Herausgeber allerdings ab, und so hat Haber "Bild der Wissenschaft" gegründet. Wenn man die Hefte vergleicht, ist die Übereinstimmung wirklich frappierend: vom Cover über die Themen bis zu den Rubriken.

Der "Scientific American" hatte keine Probleme mit dieser Nachahmung?

Es gibt leider keine Quellen, die mir zugänglich sind, weil das Blatt mit dem Verlagswechsel 1986 sein Archiv weitgehend aufgelöst hat. "Bild der Wissenschaft" begann aber mit einer Auflage von 40.000 und war weit weg: Ich nehme an, dass das einfach nicht relevant genug war. Als dann 1978 mit dem "Spektrum der Wissenschaft" die richtige deutsche Version des "Scientific American" gestartet wurde, hat man sich natürlich als Konkurrenz empfunden, aber beide bekamen ihre Leser.
Worin bestehen die inhaltlichen Verbindungen?

Grundsätzlich im Bemühen, Wissenschaft aus ihrem Elfenbeinturm herauszubringen. Legitimiert wurde das mit einer Rhetorik, wonach man sich nur demokratisch nennen kann, wenn man eine Ahnung von Wissenschaft hat. Die Umsetzung erfolgte in Deutschland aber anders, da Haber hier auf ein stark geisteswissenschaftlich gebildetes Bildungsbürgertum traf. Es galt also zuerst einmal, die Naturwissenschaften als Teil der Bildung zu definieren.

Haber verfolgte dabei zwei Strategien. Erstens: Geisteswissenschaften kommen im "Bild der Wissenschaft" gar nicht vor. Zweitens: Er grenzt sich sehr stark vom Begriff der Populärwissenschaft ab und bevorzugte "öffentliche Wissenschaft", eine Kopie des amerikanischen Public-Science-Konzepts.

Die Widersprüchlichkeit des Versuchs zeigt sich schon an dem Heft hier, wo das Cover ein Bild des Disneyfilms "Our Friend, the Atom" zeigt. Denn wenn es etwas Populäres gibt, dann Walt Disneyfilme. Wissenschaft vermitteln ohne populär zu sein, elitär sein und gleichzeitig von allen gelesen werden wollen: Das ist paradox.
Der Grundwiderspruch zwischen Wissenschaft und Journalismus besteht ja in der Genauigkeit der einen und der Zuspitzung der anderen. Wie hat Haber dieses Paradox real versucht zu lösen?

Die "Wahrheitsgarantie" bestand im ersten Jahrzehnt darin, dass die Beiträge ausschließlich von Wissenschaftlern selbst stammten: von Leuten wie Otto Hahn, Hans Nachtsheim und Adolf Butenandt, die am Anfang der Hefte mit ihren wissenschaftlichen Biografien und ihren wissenschaftlichen Entdeckungen vorgestellt wurden.

Sie haben Exemplare von "Bild der Wissenschaft" aus drei Jahrzehnten verglichen, ist das Heft immer populärer geworden?

Mit dem Begriff "populär" wird man solchen Medien nicht gerecht. Interessanter scheint mir die Frage, warum wir etwas als Wissenschaft lesen. Und wie haben sich die Strategien geändert, dieses Wissen als wahres Wissen zu legitimieren?
Bild: IFK
Die Wissenschaftshistorikerin Ina Heumann
Daneben gibt es aber immer auch den Aspekt, dass sich Hefte verkaufen sollen, am besten immer mehr ...

Natürlich geht es letztlich darum, konsumierbar zu sein und einen Geschmack des Publikums zu treffen. In den 1970er Jahren fand eine Öffnung zu einer breiter definierten Öffentlichkeit statt, weil das "Bild der Wissenschaft" mit einer anderen Zeitschrift fusioniert wurde. Das Blatt wird bildreicher, enthält reine Bildgeschichte, es werden mehr Diskussionen abgedruckt mit Wissenschaftlern, Politikern und Journalisten. Bild der Wissenschaft wird ein Forum für politiknahe Experten.

Diesen Widerspruch zwischen Wissenschaft und Journalismus, zwischen Genauigkeit und Zuspitzung - haben Sie den auch schon mal erlebt?

Man erlebt ihn immer, wenn man ausspricht, was man im Kopf hat. Da fängt es an, dass man Dinge vereinfachen muss. Der Wissenschaftstheoretiker Ludwik Fleck bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: "Durch jede Mitteilung wird ein Wissen populärer. Man müsste sonst an jedes Wort eine Fußnote mit Einschränkungen und Explikationen anschließen."

Komplexitätsreduktion ist notwendiger Bestandteil von Kommunikation und damit auch von Wissensproduktion. Es ist immer die wissenschaftliche Rationalität, die Genauigkeit einklagt, aber die journalistische Rationalität ist eben eine andere.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 26.5.09
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Ina Heumann studierte Geschichte, Europäische Ethnologie und Philosophie in Berlin und Nottingham. Von 2005 bis 2008 war sie Wissenschaftliche Assistentin in Ausbildung am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. Zurzeit ist sie Junior Fellow am IFK Wien.
->   Ina Heumann, IFK
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->   Heinz Haber, Wikipedia
->   Schwerpunkt: Sprechen Sie Wissenschaft? (2008)
 
 
 
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01.01.2010