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"Ökologische" Strategien der Krebsbekämpfung  
  Gängige chemische Therapien versuchen, Krebs definitiv zu heilen. Ein US-Forscher schlägt nun einen alternativen Denkansatz vor: Anstatt die Krankheit komplett auszumerzen, sollte man sie gezielt in Schach halten. Das könnte die Überlebenschancen von Patienten erhöhen.  
Als Vorbild für seine These dient dem Mediziner Robert A. Gatenby der ökologische Kampf gegen gebietsfremde invasive Arten.
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Der Aufsatz "A change of strategy in the war on cancer" von Robert A. Gatenby ist in der aktuellen Ausgabe von "Nature" (Bd. 459, 28. Mai 2009) erschienen.
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Wundermittel noch nicht gefunden
Vor 100 Jahren entwickelte der deutsche Nobelpreisträger Paul Ehrlich das erste spezifisch wirkende Chemotherapeutikum und begründete damit die Chemotherapie. Seine Grundidee war es Medikamente zu entwickeln, die gezielt Tumorzellen vernichten, ohne die gesunden zu schädigen. Dennoch wurde bis heute kein Wundermittel gegen die diversen Formen von Krebs gefunden, wie es etwa bei Bakterien durch die Erfindung von Antibiotika gelungen ist.

Vieles deutet darauf hin, dass es nie möglich sein wird, bereits gestreuten Krebs tatsächlich auszumerzen, wie der Robert A. Gatenby vom Moffitt Cancer Center in seinem Essay schreibt. Unter Umständen könnte dieser Versuch das Ganze noch schlimmer machen. Ähnlich wie der Kampf gegen invasive biologisch Arten wenig erfolgreich war und häufig zu Resistenzen geführt hat.
Bedrohliche invasive Arten
Seit der zunehmenden Globalisierung der Welt haben sich zahlreiche Arten auf unserer Erde verbreitet. Manche gliedern sich in ihre neue Umgebung ein, andere hingegen stören das ökologische Gleichgewicht. Sie sind manchmal robuster als ihre heimische Konkurrenz und bedrohen so die Biodiversität. Andere stellen vor allem für landwirtschaftliche Nutzpflanzen eine Gefahr dar, wie etwa die Reblaus, die weltweit große Weinbestände vernichtet hat.

Als Beispiel nennt Gatenby die Kohlschabe oder Plutella xylostella. Das ursprünglich aus dem Mittelmeerraum stammenden Insekten war vor etwas mehr als 100 Jahren das erste Mal in den Vereinigten Staaten aufgetaucht. Seine Larven ernähren sich vor allem von Kohl und Kohlsprossen. Heute kommen sie sogar in Asien und Australien vor.
Schädlinge werden in Schach gehalten
Es gab zahlreiche Versuche, den Schädling chemisch zu vernichten, aber in den 1980er Jahren wurden die ersten Resistenzen festgestellt. Die komplette Vernichtung war damit unmöglich geworden. Es entstanden andere Ideen der Bekämpfung, Insektizide werden nur mehr dann verwendet, wenn der Befall eine bestimmte Grenze überschritt.

Kombiniert mit physikalischen oder biologischen Methoden gelingt es laut dem Mediziner heute hunderte invasive Arten in Schach zu halten. Das heißt, sie verschwinden zwar nicht völlig, aber der Schaden lässt sich in erträglichen Grenzen halten.
Anpassungsfähige Krebszellen
Invasive Arten und bösartiger Krebs sind sich laut Gatenby in gewisser Weise recht ähnlich. Auch Krebs wandert ausgehend von einem primären Tumor in andere Körperregionen, verbreitet sich und bildet Wucherungen. Außerdem könne er sich ebenfalls an unterschiedlichste Umgebungen anpassen, sogar an giftige Chemikalien.

Und die vollständige Auslöschung ist genauso selten wie bei Schädlingen. Nur das Hodgkin-Lymphom, Hodenkrebs und Akute myeloische Leukämie können demnach mit Chemotherapie komplett geheilt werden. Offenbar sprechen deren Zellen besonders gut auf die Behandlung an. Alle anderen Krebsarten sind bis heute nicht chemisch heilbar.
Immer größere Dosen sind kontraproduktiv
Allein die Zellen einer einzelnen Krebsart sind laut Gatenby so unterschiedlich, sowohl genetisch als auch in ihren Eigenschaften. Das mache sie schwer greifbar. Außerdem seien die Tumore selbst komplexe Ökosysteme. An manchen Stellen sind sie sehr schlecht durchblutet, von Chemotherapeutika daher kaum erreichbar.

Meist wird versucht, möglichst viele Tumorzellen zu töten, um die Krankheit zu heilen oder zumindest das Leben des Patienten zu verlängern, gearbeitet wird dabei mit immer größeren Dosen. Aber anders als beabsichtigt und ähnlich wie Schädlinge gewöhnen sich die Zellen an die Therapie. Es sieht also so aus, als wäre es sinnlos mit immer noch größeren Mengen auf den Tumor zu "feuern".
Maßgeschneiderte Chemotherapie
Gatenby schlägt daher eine trickreichere Lösung vor. Wenn die Tumorzellen Resistenzen entwickeln, kostet sie das Energie. Laborexperimente hätten gezeigt, dass diese dadurch oft langsamer wachsen sowie weniger beweglich und bösartig sind als ihre nicht-resistenten Geschwister.

Letztere verbreiten sich also sozusagen auf Kosten der Resistenten. Zerstört man aber die für Drogen empfänglichen Zellen mit steigenden Dosen, bleiben die resistenten Zellen über und können sich trotzdem verbreiten, was den Kampf langfristig erschwert.

Gatenby schlägt daher vor, die Chemotherapie so maßzuschneidern, dass der Tumor ein stabiles und erträgliches Volumen beibehält. Das könnte die Überlebenschancen erhöhen. Das hätten zumindest Experimente an Mäusen und mathematische Modelle bestätigt. Bis zum kompletten Design einer derartigen "ökologischen" Therapie seien allerdings noch einige Randbedingungen zu klären.

Eva Obermüller, science.ORF.at, 28.5.09
->   Moffitt Cancer Center
->   Mehr zum Thema Krebstherapie im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010