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Mäuse mit Menschengen piepsen tiefer  
  Forscher haben Mäuse mit der menschlichen Version des "Sprachgens" foxp2 ausgestattet. Die Nager begannen daraufhin zwar nicht zu plaudern, aber der Eingriff führte zu deutlichen Änderungen der Hirnstruktur. Und: Ihre Rufe hatten plötzlich eine andere Tonlage.  
foxp2, der Promifaktor
Rund 25.000 Gene gibt es im menschlichen Erbgut, ihre Sequenz ist längst bekannt und kann mit nur wenigen Mausklicks aus dem Internet heruntergeladen werden. Aber es ist eine anonyme Heerschar von Molekülen, die in den einschlägigen Datenbanken gespeichert ist. Von kaum einem Erbfaktor hat die Öffentlichkeit jemals Notiz genommen und die abstrakten Bezeichnungen der einzelnen Gene sind auch nicht gerade dazu angetan, an diesem Umstand etwas zu ändern.

Eine Ausnahme ist da allerdings foxp2, das vor einigen Jahren als "Sprachgen" einige Prominenz erlangt hat. Das kam so: 2001 berichtete eine britische Forschergruppe von einer Familie, für die das Sprechen so mühselig war, wie das Gehen für ein Kleinkind. Die Familienmitglieder konnten sich nur äußerst undeutlich artikulieren, auch die Grammatik machte ihnen große Schwierigkeiten. Schuld an diesem Unvermögen war offenbar eine Mutation in einem Gen auf Chromosom Nummer 7 - foxp2.

Es dauerte nicht lange, da wurde spekuliert: Das könnte jener Erbfaktor sein, der den Menschen vom Tierreich abhebt und ihn zum Homo loquens, zum sprechenden Wesen macht.
Der kleine Unterschied
Im Jahr darauf fand eine Gruppe um den deutschen Biologen Wolfgang Enard heraus, dass es tatsächlich Unterschiede zwischen der menschlichen Ausgabe des Gens und jener unserer nächsten Verwandten, den Schimpansen, gibt, wenn auch ziemlich geringe. Gerade mal zwei Aminosäuren sind in dem Protein, das durch das Gen kodiert wird, unterschiedlich, der Rest ist ident (Nature, Bd. 418, S. 869).
Genetisches Tuning
Nun beantwortet Enard im Fachblatt "Cell" (Bd. 137, S. 961) die naheliegende Frage: Was passiert, wenn man einem Tier die menschliche Variante von foxp2 einsetzt? Er und seine Kollegen haben Mäuse an dieser einen Stelle im Erbgut "humanisiert" und dann nach möglichen Folgen des Eingriffs gesucht.

Die Tiere waren gesund, alle Organe völlig normal, bis auf eines: das Gehirn. Dort war die Konzentration des Neurotransmitters Dopamin herabgesetzt, die Neuronen in den Basalganglien hatten längere Auswüchse und reagierten flexibler auf Reize - eine Reaktion, die wichtig für Lernen und Gedächtnis ist.

Auch das Verhalten der Mäuse hatte sich messbar verändert: Die "humanisierten" Tiere hielten sich öfter in der Gruppe der Artgenossen auf anstatt alleine auf Erkundungsreise zu gehen. Und bei den Mäusekindern hatten sogar die Alarmrufe eine etwas verringerte Tonhöhe, sofern sie von der Mutter entfernt wurden.
"Affen würden auch nicht zu reden beginnen"
Das klingt spektakulär, Enard warnt jedoch im Gespräch mit science.ORF.at vor voreiligen Schlüssen: "Als wir die Unterschiede bei den Rufen gefunden hatten, dachte ich mir: Ah, jetzt haben wir's! Aber in Wahrheit können wir nicht sagen, was es bedeutet. Wir wissen einfach noch zu wenig über die Kommunikation von Mäusen. Nach allem, was bisher bekannt ist, müssen wir davon ausgehen, dass die Laute von Mäusen angeboren sind. Artgenossen imitieren können Mäuse ziemlich sicher nicht. Das beherrschen neben dem Menschen nur Wale, Delfine, Papageien und Singvögel."

Dennoch würden die Ergebnisse zeigen, dass der Austausch weniger Buchstaben im foxp2-Gen durchaus weitreichende Änderungen nach sich ziehe. Möglich sei etwa, dass die Mutationen im menschlichen "Sprachgen" zu einer besseren Koordination der dafür notwendigen Muskeln geführt habe - das sei zwar nur ein Aspekt des Phänomens Sprache, aber ein durchaus wichtiger.

Noch aussagekräftiger wäre freilich, wenn man den Versuch auch mit Primaten, Makaken etwa, durchführen würde. Sind solche Experimente in Planung? "Mit den heute verfügbaren Mitteln wäre das technisch gar nicht möglich", sagt Enard. "Ich würde das aber auch aus ethischen Gründen nicht machen wollen." Und wenn es jemand anders täte? "Dann würden die Affen auch nicht zu reden beginnen. Das lässt sich mit einer so einfachen Änderung nicht herstellen. Unter anderem, weil man dazu ein größeres Gehirn benötigt. Aber: Aspektweise würden sich wohl die Affen unseren Verhältnissen annähern."

Robert Czepel, science.ORF.at, 29.5.09
->   Wolfgang Enard - MPI für Evolutionäre Anthropologie
->   FOXP2 - Wikipedia
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01.01.2010