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Der größte Physiker des Google-Universums  
  Zwei Physiker behaupten, der "Google-Test" spiegle die Exzellenz eines Forschers wider. Zumindest gelte das für die Physiknobelpreisträger vor dem Ersten Weltkrieg: Klare Nummer eins ist demnach Albert Einstein. Auf den Plätzen folgen Max Planck und Marie Curie.  
Szientometrie im Nebenberuf
Eigentlich betreiben Mikhail Simkin und Amit Roy-Chowdhury ganz normale Physik. Am Department für Department für Elektrotechnik der University of California in L.A. beschäftigen sich die beiden mit Thermoelektrik, Kameranetzwerken und ähnlichen, eher trockenen Fachgebieten. Aber hin und wieder machen die beiden auch etwas ganz anderes.

Etwa vor drei Jahren, als sie im "Journal of Mathematical Sociology" (Bd. 30, S. 33) berichteten, dass die Exzellenz von Kampfpiloten des ersten Weltkriegs recht gut durch Nennungen im Internet abgebildet wird. Ersteres hatten die beiden durch die Zahl abgeschossener Flugzeuge bestimmt, letzteres durch die Zahl von Treffern in der Suchmaschine Google. Nun schlagen die beiden vor, man könnte die Google-Methode auch für die Beurteilung wissenschaftlicher Exzellenz einsetzen.
Gesucht: Eine Maßzahl
Hintergrund des ungewöhnlichen Vorschlags ist eine Frage, auf die es bis heute keine wirklich befriedigende Antwort gibt: Kann man die Qualität von Wissenschaft messen? Lösungsvorschläge gibt es wie Sand am Meer, das Problem ist allerdings, dass sich immer Fälle finden lassen, bei denen die vorgeschlagene Methode versagt.

Nimmt man beispielsweise die Zahl an Publikationen als Maß für wissenschaftliche Güte, lassen sich schnell einige Einwände finden. Bei Büchern funktioniert die Sache ohnehin nicht, wie etwa der Vergleich von Jean Piaget und Ludwig Wittgenstein zeigt. Piaget hat Zeit seines Lebens mehr als 100 Bücher veröffentlicht, Wittgenstein nur eines, den Tractaus logico-philosophicus (bzw. zwei, wenn man ein Wörterbuch für Volksschulen mitrechnet). Aber daraus zu schließen, Piagets Beitrag zur Geistesgeschichte sei (100 Mal?) größer als der von Wittgenstein gewesen, ist offenkundig absurd.

Üblicherweise wendet man daher die Zählmethode nur in jenen Fächern an, wo neue Erkenntnisse scheibchenweise in Form von Papers publiziert werden, also etwa in der Physik. Allerdings zeigt die Affäre um die beiden Physiker Igor und Grichka Bogdanov, dass man auch durch unsinnige Aneinanderreihungen von Fachbegriffen recht ansehnliche Publikationslisten erzeugen kann.
->   Die "Bogdanov-Affäre" beschäftigt die Wissenschaft
Zitieren und Googeln
 
Bild: Google

Ebenfalls vorgeschlagen wurde, nicht die Zahl von Papers als Qualitätskriterium heranzuziehen, sondern die Zahl der Zitate, die sich auf bestimmte Arbeiten beziehen. Diese Idee hat sich mittlerweile institutionalisiert. Auf der Website "ISI Highly Cited" kann man nach besonders häufig zitierten Forscher suchen - implizite Botschaft der Übung: Wer in dieser List vorne liegt, hat auch wissenschaftlich Bedeutendes geleistet.

So gesehen ist es vielleicht gar nicht so absurd, nun auch das Google-Ranking für ähnliche Zwecke heranzuziehen. Laut Simkin und Roy-Chowdhury ist Albert Einstein unter den Physik-Nobelpreisträgern vor dem zweiten Weltkrieg die klare Nummer eins, gefolgt von Max Planck, Marie Curie, Niels Bohr und Enrico Fermi. Ein Österreicher findet sich auch unter den Top Ten, und zwar Erwin Schrödinger auf Platz acht (zur vollständigen Liste siehe die Studie auf dem Preprintserver arXiv).
Mögliche Verzerrungen
Dass sich Simkin und Roy-Chowdhury bei ihrem Vergleich auf die Zeit vor 1939 beschränkt haben, ist zunächst durchaus nachzuvollziehbar. Zeitgenössische Physiker kommen naturgemäß im WWW relativ häufiger vor als solche, die vor der Erfindung des Internet gelebt haben. Das Zeitlimit ist daher der Versuch, unnötige Verzerrungen durch die schnelllebige Medienlandschaft zu vermeiden.

Dennoch fallen einem ad hoch sehr schnell andere Faktoren ein, die das Ergebnis einseitig beeinflusst haben könnten. Die Internet-Präsenz der Max-Planck-Institute etwa dürfte für das gute Abschneiden des deutschen Physikers wohl nicht ganz unwesentlich sein. Andererseits könnte man argumentieren, dass es bei allen Stars der Physik solche Multiplikatoren gibt (z.B. Curie-, Schrödinger- und Heisenberg-Institute) und dass sie ebenfalls die historisch Bedeutung der Namensgeber widerspiegeln.
Die Weisheit der Vielen
Simkin und Roy-Chowdhury bieten sogar eine Formel an, die die Nennungen im Internet in eine Maßzahl wissenschaftlicher Bedeutung umrechnet, wobei Einstein das Maximum mit dem Wert 1 definiert - der Schwede Nils Dalen, Nobelpreisträger 1912, indes den Nullpunkt, weil er im Google-Ranking abgeschlagen den letzten, 45. Platz einnimmt. Erwin Schrödinger erreicht dieser Rechnung zufolge 0,519 "Einsteins", bei Niels Bohr sind es 0,709 und bei Max Planck immerhin 0,911.

Bemerkenswerterweise deckt sich die Umrechnung in "Einsteins" gut mit einer logarithmischen Skala, die der russische Physiker Lev Landau in den 1930er Jahren entwickelt hat. Auch er hatte versucht, den wissenschaftlichen Beitrag seiner Zeitgenossen zu quantifizieren und kam mit völlig anderen Methoden zu einem recht ähnlichen Ergebnis, nämlich Einstein auf Platz eins, danach Planck, Bohr, Heisenberg, Schrödinger und Dirac.

Simkin und Roy-Chowdhury schließen daraus: Die Übereinstimmung von Landaus Expertenmeinung mit der Google-Statistik zeige, dass es eine "Weisheit der Vielen" gebe.

[science.ORF.at, 29.6.09]
->   Mikhail Simkin
->   Roy-Chowdhury
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01.01.2010