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Shakespeare für die Quantenwelt  
  Was hat Shakespeare mit Quantenphysik zu tun? Ein serbischer Physiker weiß es: Er hat soeben den "Quanten-Hamlet-Effekt" entdeckt, der in formelfreier Variante so lautet: "Zerfallen oder nicht zerfallen - das ist hier die Frage."  
Innen- vor Außenwelt
Rascheln die Blätter der Bäume auch dann, wenn niemand im Wald ist, um sie zu hören? George Berkeley hätte diese Frage sicherlich mit Nein beantwortet. "Esse est percipi - Sein ist Wahrgenommen werden!" lautete der Wahlspruch des irischen Philosophen. Er war davon überzeugt, nur das Ich würde wirklich existieren - Bäume und raschelnde Blätter hingegen nur insofern, als sie Teil einer Wahrnehmung sind.

Das wurde von vielen als erkenntnistheoretische Spitzfindigkeit angesehen, die zwar kaum zu widerlegen ist, aber unserem Alltagsempfinden von der Realität "da draußen" eben radikal zuwiderläuft.
Ein physikalisches Echo
200 Jahre später ertönte ein Echo des Berkeley'schen Subjektivismus, wo man es am allerwenigsten erwartet hätte, nämlich in der Physik. Die hatte gerade die Quantenmechanik hervorgebracht, und deren Architekten - Heisenberg, Dirac, Bohr u.a. - verkündeten:

Die Messung erzeugt das Sein, der Aufenthaltsort eines um den Atomkern rasenden Elektrons wird erst dann real, wenn ihn ein Physiker bestimmt. Bestimmt er ihn nicht, ist er auch nicht. Zumindest nicht als klar umrissenes, punktförmiges Ding.
Wenn die Theorie zerbröselt
Das war eine schwer zu schluckende erkenntnistheoretische "Krot", aber sie musste runter. Denn die Quantenmechanik erwies sich als extrem erfolgreich, ihre Voraussagen wurden tausendfach getestet - und bestätigt. Durch den experimentellen Rückenwind animiert haben Physiker in den letzten Jahren immer paradoxere Phänomene in der Welt der Quanten entdeckt.

Einer davon ist der Serbe Vladan Pankovic, er hat erst vor ein paar Tagen einen neuen einschlägigen Effekt auf dem Preprintserver "arXiv" (Abstract) vorgestellt: Wie Pankovic berichtet, können Messungen an einem Quantensystem die Vorhersagemöglichkeit der Theorie so weit erodieren, dass nichts mehr davon übrig bleibt.
Atome ohne Schicksal
Das könnte beispielsweise für die Frage gelten, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Uranatom zerfällt. An sich ist das berechenbar, aber unter gewissen Bedingungen darf man nicht nachsehen (messen), ob das Atom noch ganz ist oder nicht, wie Pankovic schreibt. Tut man das dennoch, dann weiß der Physiker zwar, was der Fall ist. Aber die Prognose für das weitere Verhalten löst sich förmlich in Luft auf. Mit anderen Worten: Die Theorie hat dann nichts mehr zur Zukunft dieses Atoms zu sagen, es ist quasi sich selbst überlassen.

Allein, wie das Uranatom nun ist, helfen ihm selbst die Naturgesetze nicht mehr weiter bei der Frage: "Zerfallen oder nicht zerfallen?" Pankovic hat diese Situation offenbar an die berühmte Szene aus Shakespeares Hamlet - dritter Aufzug, erste Szene - erinnert, sodass er den Effekt nach dem dänischen Prinzen benannt hat. Freilich dürfte auch die Suche nach einem guten Wording die Entscheidung beeinflusst haben, reiht sich doch sein Effekt in eine Runde von Quantenphänomenen mit ebenfalls klingenden Namen ein.
Messungen an Kochtöpfen
Beispielsweise der Quanten-Zeno-Effekt, demzufolge Messungen die natürliche Entwicklung von Quantensystemen so hemmen können, dass sie quasi einfrieren. Ein Uranatom, das jede Sekunde zerfallen könnte, würde durch die Neugierde des Physikers daran gehindert, genau das zu tun. Ungeduld führt eben nicht immer zum Ziel, was man in England treffenderweise so ausdrückt: "A watched pot never boils."

Im Übrigen kennen Physiker auch einen Anti-Zenon-Effekt. Er besagt: Wann immer man den Topf öffnet - das Wasser beginnt augenblicklich zu kochen. Wäre für die schnelle Küche sehr praktisch, gibt es jedoch leider nur in der Quantenwelt.

Robert Czepel, science.ORF.at, 25.8.09
->   Quanten-Zeno-Effekt - Wikipedia
->   Quanteneffekte - Welt der Physik
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01.01.2010