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Biomechanik: Aufschlag mit dem Dornenschwanz  
  Die vor rund 10.000 Jahren ausgestorbenen Riesengürteltiere hatten einen riesigen, knöchernen Schwanz, den sie als Waffe einsetzten. Forscher aus Uruquay haben diesen nun analysiert - mit einer Methode, die üblicherweise im Tennis angewandt wird.  
Der Fall Federer
Warum Roger Federer seit Jahren das Herrentennis nach Belieben, ja fast mühelos dominiert, scheint angesichts der körperlichen Fähigkeiten seiner Konkurrenten ein Rätsel. Rafael Nadal etwa führt seine Grundlinienschläge mit unglaublicher Wucht aus und hält sein kraftraubendes, aggressives Spiel auch im fünften Satz mit unverminderter Intensität durch.

Der 2,08 Meter große Ivo Karlovic , gegenwärtig die Nummer 28 der Welt, feuert den Ball beim Service mit bis zu 240 km/h in das gegnerische Feld, bei den French Open dieses Jahres schoss er in einem einzigen Match 55 Asse. Das war Weltrekord.
Eleganz sticht Kraft
Und dennoch: Die unumstrittene Nummer eins im Tenniszirkus ist Federer, der Elegante, dessen Stil stets so wirkt, als gäbe er seinen (hechelnden) Gegnern eine Trainerstunde. Eine mögliche Erklärung für seine Überlegenheit: Er ist der Einzige, der selbst unter schwierigsten Bedingungen den sogenannten Sweetspot trifft.

Als "Sweetspot" bezeichnen Sportwissenschaftler jenes Areal auf Tennis-, Golf- und Baseballschlägern, das Schläge mit größter Wirkung und Kontrolle ermöglicht. Auch der Kraftaufwand ist an diesem Punkt minimal, ebenso wie die Rückwirkung auf Handgelenk, Arm und Schulter.

Der Sweetspot macht das Spiel also nicht nur ökonomisch, er schützt auch vor Verletzungen. Dass Federer während seiner Karriere nie schwer verletzt war, Kraftspieler vom Typus Nadal indes regelmäßig zwischen Reha- und Turnierphasen wechseln, dürfte kein Zufall sein.
Spektakuläre Fossilien
Szenenwechsel, Universität Montevideo. Rudemar Blanco ist studierter Physiker, seine wissenschaftliche Leidenschaft gilt jedoch ausgestorbenen Tieren der spektakulären Sorte. Letztes Jahr publizierte er etwa einen Bericht über das größte Nagetier der Welt namens Josephoartigasia monesi.

Wie er mit seinem Kollegen, dem Biologen Andres Rinderknecht, in den "Proceedings of the Royal Society" (Bd. 275, S. 923) berichtete, erreichte der Nager ein Körpergewicht von einer Tonne und war Zeitgenosse gefürchteter Prädatoren, den Terrorvögeln und Säbelzahnkatzen.

"Wenn man ein Nagetier ist, kann man nicht sonderlich gut laufen, also muss man mit diesen Fleischfressern kämpfen", sagt Blanco. "Vermutlich hat das Tier aus diesem Grund eine solche Körpergröße erreicht."
Die 70-Kilo-Keule
 
Bild: Rudemar Blanco et al.

Auch heuer haben Blanco und Rinderknecht eine Arbeit in den "Proceedings of the Royal Society" platziert (Abstract, sobald online), diesmal geht es um Riesengürteltiere, die bis Ende der letzten Eiszeit in Amerika lebten.

Zwei Besonderheiten sind für diese Tiergruppe typisch: ein knöcherner Panzer, der ihren massigen Körper schützen sollte, sowie ein ebenfalls knöcherner, dornenbewehrter Schwanz - offensichtlich eine Schwungwaffe, mit der die Riesengürteltiere wuchtige Schläge austeilten.

Die Details dieser Bewegung sind nicht uninteressant, wenn man bedenkt, dass der Schwanz bei der Art Doedicurus clavicaudatus (Bild oben) rund 70 Kilogramm wog. Wo die Verteidigungsschläge trafen, da wuchs kein Gras mehr, so viel ist sicher. Sofern sie aber das Ziel nicht erreichten, konnten sie ihrem Urheber auch schnell zum Nachteil gereichen: Hier drohten enormer Kraftverlust, mitunter gar schlimme Verletzungen am eigenen Körper.
Duell der Panzertiere
Um in dieser Hinsicht klar zu sehen, suchten Blanco und Rinderknecht auf dem Gürteltierschwanz nach dem Sweetspot - und fanden ihn per biomechanischer Berechnung: Er liegt just dort, wo auch die größten Dornen aus Hornsubstanz wuchsen. Was den Schluss zulässt, dass die knöchernen Waffen in biomechanischer Hinsicht wohlgeformt waren und ihre Besitzer auch damit umzugehen wussten.

Nicht ganz klar ist bislang, ob die gefährliche Waffe Fressfeinden galt oder aber Konkurrenten aus der eigenen Art. Blanco und Rinderknecht tippen auf Letzteres: Die Tiere waren zu behäbig und ihre Keulen zu schwer, als dass sie damit Treffer auf wendigen Gegnern hätten landen können.

Schläge mit dem Dornenschwanz können eigentlich nur in äußerst statischen Duellen gewinnbringend eingesetzt worden sein, argumentieren die beiden. Also am wahrscheinlichsten: gegenüber Artgenossen, die auch über den entsprechenden Schutzmantel verfügten.

Vielleicht haben Urmenschen während der letzten Eiszeit noch so einen donnernden Kommentkampf beobacht, bei dem zwei Riesengürteltiere einander auf den Panzer hämmerten, sodass es noch in einigen Kilometern Entfernung zu hören war. In einer Hinsicht war es wohl wie beim Tennis: Wer den Sweetspot traf, entschied das Match für sich.

Robert Czepel, science.ORF.at, 26.8.09
->   Universidad de Montevideo
->   Sweetspot - Wikipedia
->   Glyptodon - Wikipedia
 
 
 
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01.01.2010