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Die Zukunft der Stammzellforschung
Erstmals verjüngte menschliche Nervenzellen
 
  Stammzellforschung gehört momentan zu einer der Disziplinen mit den meisten Fortschritten. Bei den Technologiegesprächen des Europäischen Forums Alpbach trafen sich zwei führende Köpfe der Zunft: Der Brite Martin Evans, der für Grundlagenforschung zum Thema 2007 den Nobelpreis für Medizin bekommen hat, und Hans Schöler, einer der bekanntesten Stammzellforscher der Gegenwart.  
Wie es der Zufall so will, erscheint diesen Freitag eine weitere Studie von Schöler. Erstmals ist es ihm und seinem Team dabei gelungen, menschliche Nervenzellen so zu manipulieren, dass sie sich ähnlich wie embryonale Stammzellen verhalten. Dies könnte ein weiterer Schritt sein in Richtung personalisierter, patientenspezifischer Therapien, hofft Schöler.
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Das Thema der bis Samstag laufenden Technologiegespräche lautet "Vertrauen in der Krise - Zukunft gestalten". Schwerpunkte der Veranstaltung sind heuer neben der Stammzellenforschung u.a. Kreativität und der Beitrag von Forschung zur Überwindung der Wirtschaftskrise.
->   Technologiegespräche 2009
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Nobelpreis wie ein Tor bei der Fußball-WM
Bild: ORF/Johannes Cizek
Sir Martin Evans
Als Martin Evans vor zwei Jahren mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden war, verglich er das mit einem Torerfolg bei einer Fußball-Weltmeisterschaft. "Das ist etwas genauso Einmaliges", verriet er damals einem Vertreter des Nobelpreiskomitees am Telefon.

Dem zum Sir geadelten Biomediziner war es mit einem Kollegen Anfang der 1980er Jahre gelungen, erstmals embryonale Stammzellen (ES) von Mäusen zu züchten, die nicht mehr zur Entstehung von Krebs beitrugen. Bis dahin waren die Stammzellen von Hoden-Karzinomen der Tiere abgeleitet worden - mit entsprechenden Konsequenzen für die Mäuse, die man damit gezüchtet hatte.

Von nun an konnten embryonale Stammzellen ohne Tumorgefahr im Labor kultiviert werden - eine Technik, die für das zielgerichtete Ausschalten von Genen entscheidend war und zur Bildung von Knockout-Mäusen geführt hat.
Alternativen zu embryonalen Stammzellen
Sein Tor hatte Evans also bereits vor über 25 Jahren geschossen, doch die "Fußballweltmeisterschaft Stammzellforschung" ist unverdrossen weiter gegangen. Embryonale Stammzellen (ES) können sich in jede Art von Gewebe entwickeln und gelten deshalb als "Wundertüte" für mögliche Therapien der Zukunft, etwa gegen Parkinson, Herzinfarkt und Diabetes. Da ihre Herstellung bzw. Verwendung beim Menschen aber ethisch umstritten ist, standen in den vergangenen Jahren vor allem Versuche im Mittelpunkt, Alternativen zu finden.

Einer der führenden Wissenschaftler dabei ist der Biomediziner Hans Schöler vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster. Bei den Technologiegesprächen des Forums Alpbach gab er einen Überblick über die enormen Fortschritte der vergangenen Jahre.

"Induzierte pluripotente Stammzellen (ipS-Zellen)" lautet der Oberbegriff, unter dem sich seine Forschungsgruppe und andere weltweit um den Ersatz für embryonale Stammzellen bemühen.
Reprogrammierung normaler Zellen
Bild: ORF/Johannes Cizek
Hans Schöler
Dabei werden auf die ein oder andere Weise ältere Zellen "verjüngt" oder "reprogrammiert" - und zwar in einen Zustand, der dem von ES ähnelt. Erstmals gelungen ist dies vor drei Jahren den japanischen Forschern Kazutoshi Takahashi und Shinya Yamanaka - bei ihnen wie bei Schöler wäre es kein Wunder, wenn sie eines Tages auch vom Nobelpreiskomitee geehrt werden würden.

Techniken der Zellverjüngung gibt es mittlerweile mehrere, vor allem kann die Einschleusung einiger oder einzelner Gene dazu führen. Aber auch die Zugabe bestimmter Proteine und die Veränderung der Kulturbedingungen in der Petrischale haben bereits zu den gewünschten künstlichen pluripotenten Stammzellen geführt.

Ein besonderes Unterfangen ist es, Nervenzellen in diesen Zustand der Pluripotenz zu bringen. Was Hans Schöler und seinen Kollegen bisher nur bei Mäusen gelungen war, ist laut einer neuen, in Alpbach angesprochenen Studie nun auch bei Menschen geglückt. Mit Hilfe eines einzigen Gens (OCT4) konnten sie fötale Nervenstammzellen in den Zustand der Pluripotenz reprogrammieren.
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Die Originalstudie "Direct reprogramming of human neural stem cells by OCT4" erscheint am 28.8. online in "Nature" (doi: 10.1038/nature08436).
->   Abstract der Studie (sobald online)
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Zukunft fraglich, eines ist sicher ...
Anwendungsgebiete seiner Forschung sieht Schöler in der Entwicklung personalisierter Medikamente und der Untersuchung individueller Krankheitsaspekte im Labor, speziell was die Entstehungsgeschichte betrifft.

Ob bei Menschen tatsächlich auf ipS-Zellen basierende Therapien entwickelt werden können, hält er für fraglich. Das Problem sei die "alte DNA", bei Menschen liege das "genetische Ablaufdatum" - also der Zeitpunkt, an dem die Mutationsrate bei der Zellteilung zu hoch wird -, bei 45 Jahren. Eine Alternative dazu könnte Blut aus der Nabelschnur sein, "frischeres Blut" und somit jüngere Zellen gebe es nicht.
... "der Mensch ist alles"
Ob die künstlich pluripotent gemachten Zellen jemals embryonale Stammzellen für die Forschung ersetzen können, ist laut Schöler zum derzeitigen Standpunkt nicht zu beantworten. Bis die Zweifel beseitigt sind, brauche die Forschung die embryonalen Stammzellen zum Vergleich.

Ethischen Bedenkenträgern hat Sir Martin Evans dazu in Alpbach etwas ins Stammbuch geschrieben: "Eine individuelle Zelle ist nichts, der Mensch ist alles."

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 27.8.09
->   Hans Schöler, MP-Institut für molekulare Biomedizin
->   Sir Martin Evans (nobelprize.org)
Aktuelles zu den Alpbacher Technologiegesprächen 2009:
->   Forschungsbudget: Zehn Jahre per Gesetz
->   Rudolf Burger: "Ich frage mich, warum man Rankings machen soll"
->   Kreativität: "Man muss Gelegenheit für offene Lösungen geben"
 
 
 
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01.01.2010