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"Crowdsourcing" - die Macht der User  
  "Crowdsourcing" nennt sich die Strategie von Unternehmen, Forschungs- und Entwicklungsprojekte an eine Schar von - meist unbezahlten - Personen außerhalb der Organisation auszulagern. Man kann das auch umgekehrt ausdrücken und von der zunehmenden "Macht von Usern" sprechen, die stärker und direkter an der Entwicklung neuer Produkte beteiligt sind.  
Die Ökonomin Marion Pötz von der Kopenhagen Business School beschäftigt sich seit Jahren mit diesen Änderungen der Innovationskultur. In den USA - so eines ihrer Beispiele im science.ORF.at-Interview - werden bereits 80 Prozent aller Unternehmen für Babyprodukte von Vätern und Müttern gegründet. Diese "User" wissen offenbar am besten über die Bedürfnisse der Kinder Bescheid.

Bei den Alpbacher Technologiegesprächen hat die 33-Jährige Pötz an einem Arbeitskreis zum Thema "Kreativwirtschaft" teilgenommen, der versucht hat, den Inhalt der neuen User-Beteiligung mit seiner Form zu verbinden: Alle Teilnehmer fertigten Zeichnungen und Skulpturen aus den Ergebnissen ihrer Diskussionen an.
Bild: ORF/Lukas Wieselberg
Marion Pötz in Alpbach, vor einem der Diskussionsresultate
Wie hat der Arbeitskreis zu ihren Forschungsarbeiten gepasst?

Hervorragend. Die User, also die Workshop-Teilnehmer haben bestimmt, wie das Ergebnis aussieht. Das passt zu meiner Arbeit, der Demokratisierung von Innovationsprozessen. D.h. wenn Organisationen etwas wirklich Neues entwickeln, ist es oft sinnvoll, nicht nur die interne Expertise zu verwenden, sondern die Organisationsgrenzen zu überschreiten und mit Externen zusammenzuarbeiten. User sind dabei eine wichtige Innovationsquelle.

Zuerst fallen einem dabei Internetuser ein - Menschen, die sich etwa online die Farbe der Bänder ihrer Sportschuhe aussuchen, wer sind die User aber wirklich?

Das ist kontextabhängig. Jeder kann im Prinzip je nach Situation einmal User und einmal Hersteller sein. Wenn jemand von einer Innovation profitiert, dadurch dass er sie verwendet, ist er ein User. Wenn jemand von einer Innovation durch ihren Verkauf profitiert, ist er ein Hersteller. Wir dürfen dabei auch nicht nur an den End-User denken, wenn man von Userinnovation spricht. Es gibt auch User im Business-to-Business-Bereich, in den Industriegütermärkten, wo die Kunden Unternehmen sind.

Open-Source hat der User-Innovationsbewegung einen großen Antrieb gegeben, Apache-Software hat z.B. mittlerweile jede proprietäre Software längst überholt. Dennoch: Das User-Prinzip, gemeinsam etwas zu entwickeln, gibt es auch außerhalb des Software-Bereichs.
Sind Sie auch eine Anhängerin der "wisdom of the crowds"?

Ja, diese "crowd" kann sich aber aus verschiedenen Personen zusammensetzen: User, Experten, Universitäten etc. Es kommt darauf an, was man erreichen möchte. Für alle Open-Innovation- Initiativen, ist es wichtig sich zu fragen: Was ist meine Ausgangsposition, was ist mein Ziel? Und sich dann zu überlegen, ob ich meine User oder Experten mit "Crowdsourcing" finde oder eine andere Suchmethode bevorzuge. Man soll eine Methode nicht allem überstülpen.
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Das Thema der Technologiegespräche im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach lautet "Vertrauen in der Krise - Zukunft gestalten". Ein von der arge creativ wirtschaft austria veranstalteter und vom Business Theater Wien betreuter Arbeitskreis widmete sich dem Thema "Creative Industries vs. Old Economy: Wohin steuert die Wirtschaft?". Marion Pötz war Teilnehmerin des Arbeitskreises.
->   Technologiegespräche 2009
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Als "User" verrichten wir eigentlich die Arbeit von Unternehmen - warum tun wir das?

Für einen Ökonomen ist das natürlich erst einmal sinnlos: Man macht etwas, ohne Geld zu bekommen, bezahlt vielleicht sogar noch etwas. Oder man gibt frei Ideen weiter, mit denen ein anderer Geld verdient. Aber es gibt eben auch nichtmonetäre Motive etwas zu tun. In einer Open Source Community lässt sich das noch relativ leicht erklären. Hier gibt's verschiedene Prinzipien, wie z.B. Reziprozität: Ich mache etwas für dich, dafür bekomme ich etwas zurück. Dazu kommen Anerkennung, Standardsetzung und Spaß an der Sache. Oder der Nutzen: Ich mache etwas, das ich selbst brauche, und stelle es zur Verfügung, damit andere es verbessern.
Wenn User mit Unternehmen zusammenarbeiten, dann ist es nicht mehr so klar: Warum sollte jemand nicht nur seinem Peer helfen, sondern einem Unternehmen?

Zum Teil sind die Erklärungen aus dem Open-Source-Bereich übertragbar. Etwa was die Anerkennung betrifft. Es gibt eine Studie dazu von Lars Bo Jeppesen und Lars Frederiksen: Why do Users contribute to firm-hosted communities? Auch in einem laufenden Forschungsprojekt von mir geht es um die Motivation von Usern. Bei Handy-Services hat sich dabei z.B. gezeigt, dass User die Dienste sehr gerne für ihre Bedürfnisse anpassen, wodurch das Unternehmen natürlich profitiert. Unsere Pilotstudien zeigen, dass es für die User von Unternehmens-Communities durchaus auch ökonomische Motive gibt: Wenn sie sich hier einbringen, zeigen sie, dass sie gut sind.
Wie wirkt sich das aus?

Nur ein Beispiel: Ich habe mit dem Rolltreppenhersteller Schindler mehrere Projekte durchgeführt. Einer ihrer Lead-User hat an einer wirklich spannenden Innovation mitgearbeitet. Schindler setzt sie nun um und der Lead-User ist als Entwicklungspartner dabei. Es müssen also nicht immer direkte monetäre Gegenleistungen sein, sie können auch auf Umwegen über zukünftige Kooperationen erfolgen. Microsoft macht das auch, die haben eine Community und rekrutieren aus ihr regelmäßig die besten Leute. Das ist ein ökonomisches Prinzip: Wenn ich zeige, was ich kann, dann bin ich einer der ersten, der einen guten Job kriegt.
Das denken sich vermutlich viele.

Natürlich, deshalb gibt es auch in Communities Wettbewerb. Aber in erster Linie geht es eher darum: Ich als User habe eine Idee, vielleicht einen Prototypen, verfüge aber gar nicht über die Ressourcen das umzusetzen, ich möchte eigentlich nur mein eigenes Problem lösen. Dieser Use-Benefit ist ein sehr dominantes Motiv, das die Menschen dazu treibt, ihr Wissen weiterzugeben.

Mittlerweile findet auch immer häufiger ein Wechsel vom User-Innovator zum User-Entrepreneur statt, User erkennen den Wert ihrer Innovation und machen sich damit selbständig. Laut einer Studie aus den USA stammen 80 Prozent der neugegründeten Unternehmen für Babyprodukte von Usern - also von Vätern und Müttern, die sich mit ihrer Idee selbständig gemacht haben. Daraus ist u.a. der in den USA überaus beliebte Jogging-Stroller entstanden, ein Kinderwagen, mit dem man joggen kann.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 30.8.09
->   Marion Pötz, Copenhagen Business School
->   The Rise of Crowdsourcing (Wired)
->   Creativwirtschaft.at
->   Business Theater Wien
Aktuelles zu den Alpbacher Technologiegesprächen 2009:
->   Computer verändern unser Gehirn
->   Die Zukunft der Stammzellforschung
->   Forschungsbudget: Zehn Jahre per Gesetz
->   Kreativität: "Man muss Gelegenheit für offene Lösungen geben"
 
 
 
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01.01.2010