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Die ältesten Faustkeile Europas  
  Bis jetzt dachte man, dass Faustkeile vor etwa 500.000 Jahren das erste Mal auf europäischem Gebiet verwendet wurden, etwa eine Million Jahre später als in Afrika. Die neuerliche geologische Untersuchung zweier bekannter Grabungsstellen in Spanien legt nun nahe, dass die dort gefundenen Werkzeuge deutlich älter sind als vermutet, nämlich zwischen 900.000 und 760.000 Jahre.  
Damit verringert sich auch der erhebliche Abstand zwischen der frühmenschlichen Entwicklungsgeschichte in Afrika und Europa.
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Die Studie "The oldest hand-axes in Europe" von Gary R. Scott und Luis Gibert ist in der aktuellen Ausgabe von "Nature" (DOI: 10.1038/nature08214) erschienen.
->   Zum Abstract der Studie
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Frühzeitliche Allzweckwerkzeuge
Steinwerkzeuge zählen zu den ersten Zeugen menschlicher Kultur. Zu Beginn verwendeten die frühen Hominiden kaum bearbeitete Steine als Allzweckwerkzeuge, bspw. als Waffe für die Jagd, aber auch um Knochen zu spalten oder rohes Fleisch zu verarbeiten - also Dinge, für die menschliche Zähne nicht geeignet sind.

Die ersten nennt man "Chopper" oder "Chopping Tools". Ihre Schneidkante war meist nur unregelmäßig und spärlich bearbeitet, verwendet wurden sie bereits in der Altsteinzeit, also vor mehr als zwei Millionen Jahren, zur Zeit des Homo habilis, des Homo ergaster und des Homo erectus.
"Schweizer Messer"
 
Bild: Nature, Michael Walker

Die ältesten europäischen Faustkeile

Einige Tausend Jahre später, vor etwa 1,5 Millionen Jahren tauchen das erste Mal ovale oder birnenförmige Faustkeile auf. Diese bereits deutlich elaborierteren Werkzeuge sind zweiseitig bearbeitet. Sie besitzen eine runde Basis und eine spitze Seite, was ihre Handlichkeit entscheidend verbesserte. Die ältesten Funde stammen aus Afrika. Verwendet wurde das frühgeschichtliche "Schweizer Messer" - vermutlich wegen seiner Vielseitigkeit - bis vor 40.000 Jahren.

Die ältesten Exemplare außerhalb Afrikas stammen aus Israel und Asien. In Westeuropa - dachte man zumindest bisher - haben Hominiden erst vor etwa 500.000 Jahren Faustkeile verwendet.
Falsche geologische Datierung
Nun haben die US-Forscher Gary R. Scott und Luis Gibert - angeregt durch eine geologische Studie in Spanien, die zu einer deutlichen Umdatierung einer archäologischen Fundstelle geführt hatte -, beschlossen zwei weitere in der Nähe gelegene Ausgrabungsorte, Solana del Zamborino und Estrecho del Quípar, erneut auf ihr Alter zu untersuchen.

Die Funde in Solana del Zamborino stammen bereits aus den 1970er Jahren, darunter Zähne, Knochen von Säugetieren, Kohle und einige Faustkeile. Laut den Forschern ist man bisher von einer falschen erdgeschichtlichen Datierung des umgebenden Gesteins ausgegangen.
Erdgeschichtliche Datierung
Mit Hilfe verschiedener stratigrafischer Methoden, haben die Wissenschaftler nun versucht, die Fundstätten exakter historisch einzuordnen. Mit der Magnetostratigraphie lässt sich anhand der wechselnden Polarität des Erdmagnetfelds die zeitliche Anordnung von Gesteinsschichten analysieren.

Mit der Lithostratographie kann man feststellen, wie die räumliche und strukturelle Gliederung von Gesteinseinheiten ausschließlich aufgrund ihrer materiellen Eigenschaften zustande kommt. Beide Methoden zusammen dienen der relativen Datierung von Sedimentschichten. Sie ermöglichen eine absolute Altersbestimmung und damit eine erdgeschichtliche Einordnung.

Für die Fundstätte Solana del Zamborino ermittelten die Geologen damit ein ungefähres Alter von 900.000 Jahren. Für das Sediment, in welchem die Faustkeile aus Kalkstein in Estrecho del Quíbar gefunden wurden, sind es immerhin noch etwa 760.000 Jahre. Das Alter aller Fundstücke hat sich damit um einige hunderttausend Jahre nach hinten verschoben.
Frühmenschliche Spuren in Europa
Laut den Forschern bedarf es daher ganz generell einer genaueren geologischen Redatierung zahlreicher archäologischer Ausgrabungsorte in Europa, das gilt vor allem für räumlich isolierte Orte.

Jedenfalls spreche vieles dafür, dass die Faustkeil-Technologie schon viel früher außerhalb Afrikas verbreitet war und dass damit auch die Wurzeln der menschlichen Frühgeschichte in Westeuropa weiter zurück liegen, als bisher vermutet.

Eva Obermüller, science.ORF.at, 3.9.09
->   Stratigraphie (Wikipedia)
->   Berkeley Geochronology Center
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   Steinzeitliche Ingenieure
->   Steinzeit-Äxte von Mammut-Jägern gefunden
->   Europäer stammen nicht von Steinzeit-Bauern ab
 
 
 
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01.01.2010