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Innsbrucker Linguist analysiert Obamas Rhetorik  
  Barack Obamas Worte "Yes we can" haben dazu beigetragen, dass er zum US-Präsidenten gewählt wurde. Den Slogan und das vielfältige Rhetorik-Repertoire Obamas hat ein Innsbrucker Linguist analysiert.  
Bereit zur Selbstkritik
Er gibt Fehler zu; er stellt sich nicht als Einzelkämpfer in den Vordergrund, sondern sieht sich als Teil des Ganzen, d.h. der Nation oder sogar der Menschheit; und er sagt immer wieder dasselbe, aber mit sehr kunstvollen Mitteln der Rhetorik. Was nicht gerade klingt wie ein Erfolgsrezept, ist eines - nämlich das von US-Präsident Barack Obama.

Der Sprachwissenschaftler Manfred Kienpointner von der Universität Innsbruck analysiert, welche Faktoren in Obamas Rhetorik Vertrauen schaffen - auch wenn der US-Präsident seit einigen Wochen an Vertrauen verliert, v.a. wegen der Debatte um das Gesundheitssystem.

Bspw. die Bereitschaft zur Selbstkritik - persönliche aber auch kollektive Fehler der USA einzugestehen -, das beurteilt der Linguist Kienpointner als sehr vertrauensbildend. Als Beispiele zitierte Kienpointer im Zuge eines Seminars beim Europäischen Forum Alpbach 2009 u.a. aus Obamas Berlin-Rede: "I know my country has not perfected itself. At times, we've struggled to keep the promise of liberty and equality for all of our people. We've made our share of mistakes, and there are times when our actions around the world have not lived up to our best intentions."
->   Text der Rede im Wortlaut vom Juli 2008 in Berlin (SZ)
Yes we can
... diese drei Worte sind zu einer bekannten und im Wahlkampf auch wirkungsvollen Formel geworden. Viel steckt in diesen drei Worten, sagt Manfred Kienpointner im Gespräch mit science.ORF.at:

"In 'yes we can' steckt einerseits eine ur-amerikanische Botschaft des Optimismus - aber nicht des blinden Optimismus, sondern: Wir können die Zukunft Amerikas und der Welt positiv gestalten, obwohl sehr viel Negatives vorhanden ist in der Welt und 'wir' können das - im Sinne von 'wir alle' und nicht nur die Mächtigen, sondern auch die Minderheiten und die gesellschaftlich Marginalen."
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Manfred Kienpointner ist Univ. Prof. für Allgemeine und Angewandte Sprachwissenschaft an der Universität Innsbruck. Seine Hauptforschungsgebiete sind Rhetorik und Argumentation, Kontrastive Linguistik, Höflichkeitsforschung und Strukturelle Semantik.
->   Manfred Kienpointner
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Ring und Rhythmus, Klammer und Klang
"Yes we can" ist auch Teil einer rhetorischen Figur, die der Innsbrucker Linguist in Obamas Reden immer wieder findet und die an Martin Luther Kings "I have a dream" erinnert - die Ring-Komposition.

Kienpointner auf Radio Österreich 1: "Das geht über einfache Wiederholungsfiguren hinaus: Dass nicht etwa nur am Beginn von aufeinanderfolgenden Redepassagen Wiederholungen vorkommen, sondern dass auch am Ende des jeweiligen Paragrafens die parallele Formel hinzugefügt wird, als Klammer sozusagen und um die Ringkomposition vollständig zu machen; das wirkt natürlich sehr, sehr rhythmisch."
Tradition von Kirchenpredigten
Die Ring-Komposition sei ausgefeilter als die "Standard"-Wiederholungsfiguren (wie bspw. die gleiche Satzstruktur; dieselben Wörter am Beginn eines Absatzes; dieselben Vokale oder Konsonanten am Beginn von Worten), und gehe vermutlich zurück auf eine Predigt-Tradition in afro-amerikanischen Kirchen, so Kienpointner. Dort spiele zudem Musik und Rhythmik eine große Rolle.

Der Linguist skizziert im Gespräch mit science.ORF.at die Ring-Komposition: "In der berühmten 'Yes we can'-Rede fügt er nach 'Yes we can" bestimmte politische Inhalte an, die sich auf das amerikanische Kollektiv bezieht, und manchmal fügt er am Ende so einer Passage das 'Yes we can' als Schlussformel an, das macht das Ganze sehr rhythmisch. Redetechnisch ist das zudem ein Moment, in dem nichts Neues mehr gesagt wird und Applaus kommen kann."
Flame of hope, rock of the familiy
Obamas Rhetorik-Repertoire ist groß: Alliterationen, Wiederholungen, Bilder, Sprech-Rhythmus, Metaphern (bspw. "the rock of the Obama familiy" = Michelle Obama). Wer so viel Energie in die Art und Weise des Sprechens steckt, muss keinesfalls ein Blender sein, der Form vor Inhalt stellt, meint Manfred Kienpointner auf Ö1:

"Das Phänomen Obama ist, dass über dieses rhetorische Arsenal hinaus in einem hohen Ausmaß vermitteln kann, dass er dieses Arsenal authentisch einsetzt; dass keine Kluft ist, keine große zumindest, zwischen dem, was er verkündet und dem, was er dann in der Politik macht."
"Stupid" ist stupid
Kürzlich unterlief Obama ein rhetorischer Patzer: Er bezeichnete die Verhaftung eines afro-amerikanischen Harvard-Professors als "stupid", als "dumm" - keine geschliffene Ausdrucksweise. Seine Gegner rutschen rhetorisch noch tiefer ab - ihnen fällt beispielsweise nur ein Bild von Obama mit Hitlerbart und der umgewandelte Spruch "I have changed" ein.

Barbara Daser, Ö1 Wissenschaft, 8.9.09
Manfred Kienpointner auf science.ORF.at:
->   "Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser"
 
 
 
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01.01.2010