News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Technologie .  Gesellschaft 
 
Soziale Netzwerke in der öffentlichen Verwaltung
Abschied von der josephinischen Hochbürokratie?
 
  Ob Facebook, LinkedIn oder Xing: Web-2.0-Anwendungen erfreuen sich immer noch wachsender Beliebtheit. Probleme mit Datenschutz und -missbrauch sind allgemein bekannt, dennoch überwiegen für viele die Vorteile des Mitmachens. Die Frage, ob sich auch die öffentliche Verwaltung solcher Online-Netzwerke zur Erledigung ihrer Aufgaben bedienen soll, war Gegenstand einer Diskussion beim diesjährigen Europäischen Forum Alpbach.  
Eine gewisse Müdigkeit
Der IT-Experte Andrea di Maio sprach von einer "eGovernment fatigue", die sich nach mehr als zehnjährigem Bemühen, die öffentliche Verwaltung durch IT-Unterstützung und eServices bürgernäher zu machen, eingestellt habe. Parallel zu dieser Entwicklung begann der Siegeszug der Social Networks, die völlig neue Kommunikationsmöglichkeiten eröffneten, bislang aber in der öffentlichen Verwaltung kaum Beachtung fanden.

Obwohl Österreich im EU-E-Government-Benchmark Platz 1 belegte, dürfe es sich auch die österreichische Verwaltung nicht erlauben, die Impulse unberücksichtigt zu lassen, die von Web-2.0-Services ausgehen, so der Vice President von Gartner Research.
->   EU-E-Government-Benchmark
Externe soziale Netzwerke nutzen
Wollen Regierung und Verwaltung am Leben ihrer Bürger dran sein, so müssten sie die Möglichkeiten der modernen Information- und Kommunikationsmethoden ausschöpfen. Dazu müsse es Beamten auch erlaubt sein, externe soziale Netzwerke zu nutzen. Als Informationsquellen und insbesondere in zeitsensiblen Angelegenheiten - etwa bei Naturkatastrophen oder Konflikten - als schnelle Kommunikationskanäle hätten sie große Bedeutung.

Ein insofern besser: einschneidender Ansatz, als doch für Verwaltungsorganisationen eine streng hierarchische Top-Down-Struktur und eingleisige Kommunikationskanäle geradezu typisch sind, die sich mit der Natur sozialer Netzwerke nur schwer in Einklang bringen lassen.

Oder etwa doch nicht? "The government has to be on the customers' ground, not wait until they come to theirs", meint jedenfalls di Maio.
...
Ein Arbeitskreis der Technologiegespräche im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach 2009 widmete sich dem "Digital Government im Spannungsfeld zwischen Bürger und Verwaltung".
->   Technologiegespräche Alpbach
...
Lieber mit Menschen kommunizieren als mit Ämtern
Da Menschen mit Individuen lieber kommunizieren als mit "gesichtslosen Institutionen", sollten laut dem IT-Experten Ämter in Social Networks von ihren Beschäftigten repräsentiert werden.

Wenn diese gleich ihr privates Profil verwenden, wird es zu einem Umdenken in einem heiklen Punkt kommen: Nicht der Beschäftigte wird die Arbeitgeberorganisation fragen müssen, ob er Facebook benützen darf; die Behörde wird nun ihn ersuchen, damit zu arbeiten.

Gleichzeitig schränkt di Maio aber ein, dass viele Behörden noch nicht bereit sind, ihre Bediensteten zur Nutzung solcher Tools zu ermächtigen, im Wesentlichen weil sie Kontrollverlust befürchten. Freilich müsse es beim Umgang mit sozialen Netzwerken Grenzen geben, innerhalb dieser ein freier Informationsfluss aber möglich sein muss, und zwar auch auf Kosten eines Kontrollverlustes.

Generell gelte, dass Social Networks dort auf Akzeptanz stoßen und genutzt werden, wo es einen Nutzen gibt; Vertrauen entwickle sich anschließend.
Citizen-centrism vs. citizen-driven
Bisherige eGovernment-Bemühungen zeichneten sich durch "citizen-centrism" aus, bei dem sich die Verwaltung bemüht, mit (selbstgewählten) Informationsflüssen und Diensten dem Bürger zur Seite zu stehen. Nur sind die Methoden, mit denen die Verwaltung das Leben der Bürger "begleitet", für diese selbst oft nicht von großer Bedeutung: Sie benötigen rasche Unterstützung, Verwaltungsabläufe interessieren sie höchstens hinterher. Brauchen sie etwa eine dringende Operation, so wenden sie sich nicht zuerst an Regierungsseiten, sondern suchen Rat in Peer Groups oder sozialen Netzwerken.

Was der Bürger also wirklich möchte, seien mehr Möglichkeiten, um all seine täglich in Anspruch genommenen Dienste (z.B. von Banken, Händlern, Suchdiensten) besser verknüpfen und abrufen zu können. Dieses Modell, bei dem der Kunde der Verwaltung aktiv selbst bestimmt, wie diese Dienstleistungen ihn erreichen sollen ("configurable service model"), bezeichnet di Maio als "citizen-driven".

Um es realisieren zu können, müssten neue Dienstleistungen und Prozessgestaltungsmöglichkeit geschaffen werden. Technologie könne dabei hilfreich sein, doch im Wesentlichen hänge es davon ab, wie Verwaltungen ihre Arbeitsmethoden ändern und auf welche Weise sie zusammenarbeiten.
Facebook sprengt Hierarchien
Eine ähnliche Position nimmt Peter Parycek, der Leiter des Zentrums für E-Government der Donau-Universität Krems, ein. Dadurch, dass das Internet in der Lage ist, alle herkömmlichen Kommunikationsmethoden zu vereinen, schaffe es neue Werte in der neuen Generation, ein Bekenntnis zum "gemeinsamen Produzieren". Bereits 70 Prozent der heute 14-Jährigen nützten Social Networks, die mittlerweile sieben der Top-Ten-Sites auf Alexa stellen.

Die Politik hingegen verwende nach wie vor die klassischen unidirektionalen Kommunikationskanäle. Parycek räumt zwar ein, dass erhöhte Dialogbereitschaft und Feedback-Schleifen mit Kontrollverlust einhergehen können und dass die interne Verwendung etwa von Facebook Hierarchien sprengt und damit Spannungen innerhalb der Organisationen hervorrufen kann.

Nur, wenn man diesen Weg geht, seien aber jene großen Effekte erzielbar, die man etwa aus Obamas Wahlkampf kennt.
Das "Web 2.0 am Ende als Basisdemokratie schlechthin"
Im eGovernment steckt für Achim Kaspar, dem General Manager von Cisco Systems Austria, die Chance zu einer Demokratisierung der Verwaltung. Behörden und Bürger sollen "über Blogs, Wikis, interaktive Websites mit Rückkanal" näher zusammenrücken, Bürger untereinander über Interessengemeinschaften und Mashup-Nutzung besseren Zugang zur Verwaltung finden. Innerhalb der Behörden sollen 2.0-Tools zum Ideenmanagement und zur Expertenfindung eingesetzt werden. Arbeit in virtuellen Teams mit Video und Slide Sharing sei die Zukunft.

Ämter müssten geographisch unabhängig werden und behördenübergreifend agieren, so Kaspar. "1.0-Politiker" müssten umdenken: Die neue Generation der BürgerInnen ist bei neuen Technologien Vorreiter - bald werden nahezu 100 Prozent der Bevölkerung das Internet nutzen -, Politik und Verwaltung müssen nachziehen.

Der Umgang mit Social Networks müsse schrittweise erlernt werden, sei ein neues Handwerk. Künftig sollte es auch in den Basisschulunterricht aufgenommen werden. Inwieweit Social Networks tatsächlich in der öffentlichen Verwaltung eingesetzt werden können, "muss wie ein Pendel austariert werden", so Kaspar.
Klare Rollenverteilung
Dass dieses Pendel noch nicht besonders ausgeschlagen hat, beweisen die Reaktionen der in Alpbach anwesenden Vertreter der Verwaltung.

Arthur Winter, Sektionschef im Finanzministerium, ortet Konflikte mit dem Datenschutz und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Ähnlich ablehnend Manfred Matzka, Sektionschef im Bundeskanzleramt, auf die Frage, ob soziale Netzwerke Teil der heimischen Verwaltung werden sollen: "Die starke Rolle des Staates muss erhalten bleiben."

Ob gleiche Augenhöhe in der seit Jahrhunderten gewachsenen österreichischen Verwaltung immer noch fehl am Platz ist? Die Entwicklungen unserer Zeit werden dieses Kapitel jedenfalls offenhalten.

Martin Kirnbauer, 11.9.09
...
Martin Kirnbauer ist Student des Studiengangs für Informationsberufe in Eisenstadt und war Stipendiat bei den Technologiegesprächen in Alpbach.
...
->   Andrea di Maio, Gartner Research
->   Peter Parycek, Leiter des Zentrums für E-Government der Donau-Universität Krems
->   Achim Kaspar, General Manager der Cisco Systems Austria GmbH
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Technologie .  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010